9.1.3 Offenbarungspflicht/Fragerecht
Ist man als behinderter oder chronisch kranker Mensch auf der Suche nach
einem neuen Arbeitsplatz, so muß man sich Klarheit über die Frage verschaffen,
ob und inwieweit man verpflichtet ist, von sich aus auf die chronische
Erkrankung oder die Behinderung hinzuweisen und ob und inwieweit
man verpflichtet ist, Fragen des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderteneigenschaft
zu beantworten.
(1) Grundsätzlich muß ein Schwerbehinderter (nach der Rechtsprechung des
BAG) von sich aus (d.h. ungefragt) nicht darauf hinweisen, daß er schwerbehindert
ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise nur dann, wenn die Schwerbehinderung
die Unfähigkeit nach sich zieht, die Arbeit, die auf dem neuen Arbeitsplatz
zu verrichten ist, zu übernehmen. Ebenso ist es mit der Mitteilungspflicht
in bezug auf (chronische) Krankeiten. Derjenige, der einen neuen Arbeitsvertrag
abschließen will, muß von sich aus auf (chronische) Krankheiten
hinweisen, die im Zeitpunkt des Dienstantritts voraussichtlich vorliegen werden
bzw. auf eine Kur, die für den Zeitpunkt des Dienstantritts voraussichtlich
anzutreten ist, sofern damit die Unfähigkeit verbunden ist, die neue Arbeit
tatsächlich zu übernehmen. Es besteht aber keine allgemeine Hinweispflicht
auf latente Gesundheitsgefahren.
(2) Anders sieht die Lage aber dann aus, wenn der neue Arbeitgeber konkrete
Fragen stellt. Fragt er etwa danach, ob eine Schwerbehinderung oder eine
Gleichstellung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes vorliegt, so muß diese
Frage nach der Rechtsprechung des BAG wahrheitsgemäß beantwortet
werden. Der Grund hierfür wird darin gesehen, daß der Arbeitgeber an der
Kenntnis über die Schwerbehinderteneigenschaft ein Interesse hat. Denn er
ist nach dem Schwerbehindertengesetz verpflichtet, Schwerbehinderte auf einem
bestimmten Prozentsatz der Arbeitsplätze zu beschäftigen und muß wissen,
ob er mit der Einstellung der konkret in Aussicht genommenen Person
eventuell seine Beschäftigungspflicht erfüllt oder nicht. Erfüllt der Arbeitgeber
seine Beschäftigungspflicht nicht, ist er gehalten, eine sogenannte Ausgleichsabgabe
in Höhe von 2400 DM pro Jahr zu zahlen, die er in Unkenntnis
der Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers vergeblich zahlt
(s. bei c). Leugnet der Schwerbehinderte aufgrund einer Frage des neuen Arbeitgebers
seine Schwerbehinderteneigenschaft, so kann dies für ihn weitreichende
Konsequenzen haben. Denn der Arbeitgeber kann in einem solchen
Fall möglicherweise den Arbeitsvertrag anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB) mit der
Folge, daß der Arbeitsvertrag mit Erklärung der Anfechtung als wirkungslos
anzusehen ist.
194
Bei Fragen nach chronischen Krankheiten läßt sich leider nicht ebenso klar
sagen, ob sie wahrheitsgemäß beantwortet werden müssen oder nicht. Hier
wird grundsätzlich die Auffassung vertreten, daß Fragen nach (chronischen)
Krankheiten nur insoweit zulässig sind, als sie mit einem überwiegenden Interesse
des neuen Arbeitgebers gerechtfertigt werden können. Denn solche
Fragen bedeuten einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers.
Der neue Arbeitgeber darf etwa fragen: Waren Sie in den beiden
letzten Jahren wegen einer schwerwiegenden oder chronischen Erkrankung,
die Einfluß auf die vorgesehene Arbeitsleistung haben könnte, arbeitsunfähig
krank? Diese Frage muß wahrheitsgemäß beantwortet werden. Allerdings ist
der Arbeitnehmer auch auf Fragen nicht gehalten, über Krankheiten geringerer
Bedeutung und insbesondere über Krankheiten, die sich auf das Arbeitsverhältnis
nicht auswirken können, Auskunft zu geben.