hallo elster,
diese Ohnmachtgefühle, diese Hilflosigkeit, diese Berge von Tätigkeiten, nicht wissen wie und ob und wann und was usw. das kennen so viele von uns.
Ersteinmal kein Tag hat mehr als 24h und ein Weg, neben den anderen, die ich nach und nach für mich erprobt habe, ist eine tägliche Aufgabe ein wichtiger Weg jeden Tag sich selbst ganz bewußt etwas Gutes tun.
Du selber weißt am besten, was dir gut tut. Jeder Schüler hat einen Stundenplan, mache dir einen Plan und trage dir täglich MEINE ZEIT ein, mindestens 30 min. Entscheide jeden Tag ganz frisch und neu, was du da für dich tun willst. Faulenzen, lesen, den Himmel anstarren, turnen, Fotos schießen, Vollbad, Eis essen, jemanden anderen helfen, in Erinnerungen schwelgen, ein einziges Gedicht lesen usw wichtig dabei, es sollen GUTE Momente sein. Egal was deine Umgebung dazu sagt: Ich habe jetzt meine Auszeit-MEINEZEIT.
Ein anderer Weg war, bei den kritischen Phasen alles mal aufschreiben, egal ob es nachts um 2Uhr war oder tagsüber. Ich habe ein Din A 5 Büchlein am Bett liegen, worin ich alle Sorgen, Nöte, Ängste eintrage. Am Tag oder in einer ruhigen Minute lese ich mir das dann durch und stelle fest, wie die sich die Intensität entwickelt hat, welche Stärke sich verändert hat. Habe ich immer noch so Angst vor Bewegungen die zu heftigen Nacken-Schmerzen führen, wie kann ich mir anders behelfen. Geschriebenes machen Gedanken klarer. Ist es noch so, wie vor 4 Wochen, wo stehe ich heute.
Ganz wichtig: Kann ich Aufgaben anderen übertragen, die machen das vielleicht nicht so optimal, wie ich es früher für mich als selbstverständlich erachtet habe, aber so dass ich mit den niedrigeren Ansprüchen leben kann. Wenn es mir besser geht, dann kann ich das Niveau wieder hochfahren. Vorschlag: Putzfrau, Wäsche aus dem Haus geben, nur zwingendes Bügeln, Kleidung bügelfrei kaufen, Fertignahrung nutzen, Tiefkühlkost, Mitbewohner einspannen, Getränke anliefern lassen usw.
Außer meinem Sorgenbüchlein liegt am Bett eine große Packung Zellstofftücher, denn es gibt immer die Momente zum Losheulen, dass das alte Leben vorbei ist, Wünsche, Ziele so selbstverständliches sind endgültig über Bord geworfen. Hier mal meine kleinen und großen Abschiede: Fahrradfahren, Wanderungen, Skifahren, schlafen egal ob Luftmatraze oder Hängematte, und vieles mehr geht nicht mehr, vermutlich nie mehr.
Große Probleme bereitet mir die persönliche Zuverlässigkeit. In meinem Beruf musste ich auf die Minute parat sein, beobachtet von 30 Schülern zwischen 10 und 16 Jahren alt meine Lehrtätigkeit ausüben, spontan reagieren, hellwach und vorplanen und nacharbeiten war jahrzehntelang mein Ding und ich habe es gerne gemacht und durch die Rückmeldungen der Schüler, Eltern und Kollegen auch recht erfolgreich. Dagegen lebe ich jetzt damit: Nicht zu wissen ob ich in einer Stunde in der Lage sein werde eine Verabredung einzuhalten, oder wegen Schmerzphase außer Gefecht bin. Die Hälfte des Gesprochenen sich nicht merken können, es sofort vergessen, als ob jemand die Tafelaufschriebe weggewischt hat. Das ist mein Leben heute.
Eines liebe Elster ist wichtig: du brauchst Zeit, viel Zeit, meine Verhaltenstherapie habe ich 5 Jahre nach dem Unfallcrash begonnen, sie lief anfangs in der Reha mehrmals wöchentlich, dann ambulant einmal pro Woche, dann pro Monat, dann alle zwei Monate über ca 2,5 Jahre lang.
Heute lebe ich mit meinen Einschränkungen, ich versuche hier und heute mir einen guten Tag zu gestalten, meine Beruf musste ich an den Nagel hängen (Schnüff, schnüff) ich versuche jeden Tag den Teil des Glases, das zur Hälfte gefüllt ist wahrzunehmen und nicht ständig mit dem Teil mich zu beschäftigen der leer geworden ist. Jede Minute die ich mit dieser Leere, mit dem Verzicht, mit dem Unmöglichen mich beschäftige, diese Minute fehlt für die Zeit das Vorhandene wahrzunehmen, das Mögliche zu versuchen.
Wenn diese schlimmen Gedanken kommen und einen lähmen, setze dir bewußt ein Stoppschild und wende dich etwas Gutem zu, ablenken, CD hören, mitsingen, einen abtanzen, raus lassen dann bleibt mehr Zeit übrig für die wichtigen Dinge.
Daher diese Idee Auszeit in einer stationären Reha zu nehmen eine richtig gute und dort Zeit zu haben sich unter erfahrener Anleitung neu kennenzulernen, was geht nicht, aber was geht. Dort von Alltagssorgen enthoben, an gedeckten Tischen Mahlzeiten genießen, Neues auszuprobieren und dann zu Hause das weiterführen, was in ins neue Leben passt ich kann dir nur dazu raten.
Eines ist wichtig: es gibt kein zurück ins alte Leben, sondern jeder Tag ist ein neuer in ein anderes Leben, als du dir noch vor kurzem vorgestellt hast. Es ist wichtig zu wissen, welche Schritte sicher sind und das herauszufinden auf was du dich bei dir selber verlassen kannst.
Nimm dir Zeit und dadurch den Druck raus wieder, so funktionieren zu müssen, wie früher, das sind Illusionen. Nimm das an was hier und heute geht. Stück für Stück in kleine Schritten:
Kannst du nicht wie der Adler fliegen, gehe nur Schritt für Schritt bergan, den wer mit Mühen den Gipfel erklam, hat auch die Welt zu Füßen liegen.
Fühl dich feste umarmt, weißt du, du bist schon auf dem richtigen Weg, du hast hier das Forum gefunden du kümmerst dich um dich, das ist gut, mach so weiter.
Lieben Gruß
Teddy