Hallo,
da sich ja eine Vielzahl von Usern mit medizinischen Gutachten im Rahmen des Sozialgerichtsverfahrens beschäftigen hier mal der Versuch einer Checkliste zur Überprüfung medizinischer Gutachten
1. Beweisanordnung des Gerichts
• Sind die Beweisfragen entscheidungserheblich und vollständig?
• Trägt die Beweisanordnung den Besonderheiten des zu entscheidenden Falles ausreichend Rechnung?
Zum Beispiel: Handelt es sich im einen erstmaligen Anspruch auf Leistungen oder einen Verschlimmerungsantrag bzw. ein Herabsetzungsverfahren gem. § 48 SGB X?
• Ist der berufliche Werdegang des Klägers zutreffend skizziert?
• Sind alle Umstände des Unfallhergangs ermittelt bzw. die „Exposition" geklärt?
2. Qualifikation des Gutachters
• Hat das Gericht den „geeigneten Gutachter" ausgewählt?
• Verfügt der Sachverständige über die erforderliche Fachkunde im Sinne des § 407a Abs. 1 ZPO?
• Ist z.B. ein psychologisches Zusatzgutachten erforderlich, um die Umstellungs und Anpassungsfähigkeit zu überprüfen?
• Sind spezielle arbeitsmedizinische Erfahrungen, z. B. beim Berufskrankheiten-Verfahren, gefragt?
• Ist an Stelle des Internisten ein Lungenfacharzt oder Kardiologe geeigneter?
• Bedarf es ergänzender Fachkunde z. B. bei der Interpretation von Röntgenaufnahmen oder CT-Befunden?
3. Gutachterauswahl
• Liegen Gründe vor, weshalb der beauftrage Arzt von der Sachverständigentätigkeit ausgeschlossen ist, etwa soweit er früher schon einmal am Verfahren beteiligt war?
• Besteht die Besorgnis der Befangenheit, z. B: weil der Gutachter ständig mit der Gegenseite zusammenarbeitet oder eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Probanden zu befürchten ist?
Rügefrist: 2 Wochen gem. § 406 Abs. 2 ZPO, also noch vor Erstellung des Gutachtens!
4. Überprüfung des Gutachtens
• Hat der beauftragte Arzt selbst die erforderlichen Untersuchungen und Auswertungen vorgenommen oder hat er unter Verstoß gegen § 407a Abs. 2 ZPO den Auftrag an Dritte weitergegeben?
• Inwieweit hat er nachgeordnete Ärzte zu sog. „Hilfstätigkeiten" herangezogen?
• Hat der Sachverständige den gesamten Akteninhalt, also sämtliche Vorgutachten, Befundberichte und weitere ärztliche Unterlagen, vollständig mitgewürdigt und in seiner Beurteilung diskutiert oder bestehen nicht auflösbare Widersprüche zwischen der Beurteilung des Sachverständigen und den Vorbefunden bzw. den Vorgutachten?
• Wurden die Gutachten des Medzinischen Dienst der Krankenkassen und des Arbeitsamtsarztes beigezogen und ausgewertet?
• Hat der Sachverständige die seiner Beurteilung vorgreiflichen sog. „Anknüpfungstatsachen" zutreffend berücksichtigt, (z. B. Unfallhergang, Exposition bezüglich einer streitigen Berufskrankheit oder Anforderungen, die eine bestimmte berufliche Tätigkeit von dem Arbeitnehmer verlangt)?
• Hat der Sachverständige alle Klagen des zu Untersuchenden zur Kenntnis genommen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers?
• Hat der Sachverständige alle Fragen nachvollziehbar und vollständig beantwortet, gegebenenfalls seine von den Vorgutachtern abweichende Meinung begründet oder widersprechen sich die einzelnen Antworten?
• Ergibt sich aus der Beurteilung, dass der Sachverständige Rechtsbegriffe seinerseits auslegt und damit seine Kompetenz überschreitet oder seiner Beurteilung ein falsches rechtliches Vorverständnis zu Grunde legt?
• Hat er sich beispielsweise die Grundsätze über die Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung oder das Gebot der „Integration" von Einzel-Minderung der Erwerbsfähigkeit-Werten beachtet?
• Hat es die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 56 Abs. 2 SGB VII mit den Invaliditätsgraden gem. § 8 Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Unfallversicherung (private Versicherung) verwechselt oder Anforderungen an die Leistungsprüfung gemäß den Bedingungen der privaten Lebensversicherung (Berufsunfähigkeitszusatzversicherung - BUZ) mit denen der §§ 43, 44 SGG VI verwechselt? Liegt ein sog. „Seltenheitsfall" vor?
• Entspricht die Beurteilung durch den Sachverständigen den Erfahrungssätzen der Sozialmedizin?
• Reichen die Ergebnisse des Belastungs-EKG wirklich aus, um das Leistungsvermögen nach dem zweiten Herzinfarkt sachgerecht zu beurteilen, oder müssen noch Aspekte der psychischen Belastbarkeit berücksichtigt werden?
• Sind die von Sachverständigen beschriebenen Depressionen oder Neurosen wirklich „bewusstseinsnah", also bei Anspannung aller Kräfte überwindbar?
5. Anwaltliche Reaktion
• Rücksprache mit dem Mandanten über die tatsächlichen Grundlagen, die Befunderhebung und die Beurteilung. Information des Mandant darüber, welche Schlüsse das Gericht aus dem Gutachten ziehen wird/muss.
• Gezielte Anfrage an die behandelnden Ärzte mit der Bitte um ergänzende Stellungnahme, auch aus der Sicht therapeutischer Bemühungen in der Vergangenheit.
• Vorlage neuer Befundberichte, Klinikentlassungsberichte, Gutachten anderer Leistungsträger, z. B. Arbeitsamt, Versorgungsamt oder Berufsgenossenschaft.
• Detaillierte Kritik, z. B. anhand der Angaben des Mandanten über die Behinderung schon im Alltagsablauf, bei der Verrichtung leichter Tätigkeiten (etwas i. S. d. § 14 IV SGB XI) ohne Stress usw..
• Hinweis auf Beweislastverteilung, z. B. wenn es um Rentenentziehung nach § 48 SGB X oder um Probleme der überholenden Kausalität („Vorschaden") in der Unfallversicherung geht.
• Zeugenangebote betreffend den Pflegebedarf gem. §§ 14, 15 SGB XI. In Betracht kommen die Angehörigen oder die Pflegeperson i.S.d. § 19 SGB XI bzw. das Pflegepersonal des Heimes.
• Hinweis auf anders lautende Grundsätze der Sozialmedizin.
• Einholung eines Privatgutachtens?
• Antrag auf Anhörung des Sachverständigen gem. §§ 397, 411 III ZPO?
• Beweisantrag nach §§ 103, 106 SGG oder Gutachten nach § 109 SGG mit Begründung: z. B. Hinweis auf weiter gehende Funktionseinschränkungen und dazugehöriges medizinisches Fachgebiet, gegebenenfalls verbunden mit Hinweis auf berufskundliche Erkenntnisse (z. B. anhand der von der BA für Arbeit erstellten Tätigkeitsbeschreibung).
• Klagerücknahme? Gegebenenfalls kommt auch später ein neuer Antrag, z. B. bei Verschlimmerung, in Betracht; Hinweis auf anderweitige Sozialleistungen, z. B: Arbeitslosengeld anstellt Rente, Rehamaßnahmen, Sozialhilfe, Gleichstellungsantrag an Arbeitsamt gem. § 2 SchwbG.
Wer die Fragen zu seinem Gutachten entsprechend beantwortet findet, der hat schon viel gelernt
Gruß von der Seenixe
da sich ja eine Vielzahl von Usern mit medizinischen Gutachten im Rahmen des Sozialgerichtsverfahrens beschäftigen hier mal der Versuch einer Checkliste zur Überprüfung medizinischer Gutachten
1. Beweisanordnung des Gerichts
• Sind die Beweisfragen entscheidungserheblich und vollständig?
• Trägt die Beweisanordnung den Besonderheiten des zu entscheidenden Falles ausreichend Rechnung?
Zum Beispiel: Handelt es sich im einen erstmaligen Anspruch auf Leistungen oder einen Verschlimmerungsantrag bzw. ein Herabsetzungsverfahren gem. § 48 SGB X?
• Ist der berufliche Werdegang des Klägers zutreffend skizziert?
• Sind alle Umstände des Unfallhergangs ermittelt bzw. die „Exposition" geklärt?
2. Qualifikation des Gutachters
• Hat das Gericht den „geeigneten Gutachter" ausgewählt?
• Verfügt der Sachverständige über die erforderliche Fachkunde im Sinne des § 407a Abs. 1 ZPO?
• Ist z.B. ein psychologisches Zusatzgutachten erforderlich, um die Umstellungs und Anpassungsfähigkeit zu überprüfen?
• Sind spezielle arbeitsmedizinische Erfahrungen, z. B. beim Berufskrankheiten-Verfahren, gefragt?
• Ist an Stelle des Internisten ein Lungenfacharzt oder Kardiologe geeigneter?
• Bedarf es ergänzender Fachkunde z. B. bei der Interpretation von Röntgenaufnahmen oder CT-Befunden?
3. Gutachterauswahl
• Liegen Gründe vor, weshalb der beauftrage Arzt von der Sachverständigentätigkeit ausgeschlossen ist, etwa soweit er früher schon einmal am Verfahren beteiligt war?
• Besteht die Besorgnis der Befangenheit, z. B: weil der Gutachter ständig mit der Gegenseite zusammenarbeitet oder eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Probanden zu befürchten ist?
Rügefrist: 2 Wochen gem. § 406 Abs. 2 ZPO, also noch vor Erstellung des Gutachtens!
4. Überprüfung des Gutachtens
• Hat der beauftragte Arzt selbst die erforderlichen Untersuchungen und Auswertungen vorgenommen oder hat er unter Verstoß gegen § 407a Abs. 2 ZPO den Auftrag an Dritte weitergegeben?
• Inwieweit hat er nachgeordnete Ärzte zu sog. „Hilfstätigkeiten" herangezogen?
• Hat der Sachverständige den gesamten Akteninhalt, also sämtliche Vorgutachten, Befundberichte und weitere ärztliche Unterlagen, vollständig mitgewürdigt und in seiner Beurteilung diskutiert oder bestehen nicht auflösbare Widersprüche zwischen der Beurteilung des Sachverständigen und den Vorbefunden bzw. den Vorgutachten?
• Wurden die Gutachten des Medzinischen Dienst der Krankenkassen und des Arbeitsamtsarztes beigezogen und ausgewertet?
• Hat der Sachverständige die seiner Beurteilung vorgreiflichen sog. „Anknüpfungstatsachen" zutreffend berücksichtigt, (z. B. Unfallhergang, Exposition bezüglich einer streitigen Berufskrankheit oder Anforderungen, die eine bestimmte berufliche Tätigkeit von dem Arbeitnehmer verlangt)?
• Hat der Sachverständige alle Klagen des zu Untersuchenden zur Kenntnis genommen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers?
• Hat der Sachverständige alle Fragen nachvollziehbar und vollständig beantwortet, gegebenenfalls seine von den Vorgutachtern abweichende Meinung begründet oder widersprechen sich die einzelnen Antworten?
• Ergibt sich aus der Beurteilung, dass der Sachverständige Rechtsbegriffe seinerseits auslegt und damit seine Kompetenz überschreitet oder seiner Beurteilung ein falsches rechtliches Vorverständnis zu Grunde legt?
• Hat er sich beispielsweise die Grundsätze über die Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung oder das Gebot der „Integration" von Einzel-Minderung der Erwerbsfähigkeit-Werten beachtet?
• Hat es die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 56 Abs. 2 SGB VII mit den Invaliditätsgraden gem. § 8 Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Unfallversicherung (private Versicherung) verwechselt oder Anforderungen an die Leistungsprüfung gemäß den Bedingungen der privaten Lebensversicherung (Berufsunfähigkeitszusatzversicherung - BUZ) mit denen der §§ 43, 44 SGG VI verwechselt? Liegt ein sog. „Seltenheitsfall" vor?
• Entspricht die Beurteilung durch den Sachverständigen den Erfahrungssätzen der Sozialmedizin?
• Reichen die Ergebnisse des Belastungs-EKG wirklich aus, um das Leistungsvermögen nach dem zweiten Herzinfarkt sachgerecht zu beurteilen, oder müssen noch Aspekte der psychischen Belastbarkeit berücksichtigt werden?
• Sind die von Sachverständigen beschriebenen Depressionen oder Neurosen wirklich „bewusstseinsnah", also bei Anspannung aller Kräfte überwindbar?
5. Anwaltliche Reaktion
• Rücksprache mit dem Mandanten über die tatsächlichen Grundlagen, die Befunderhebung und die Beurteilung. Information des Mandant darüber, welche Schlüsse das Gericht aus dem Gutachten ziehen wird/muss.
• Gezielte Anfrage an die behandelnden Ärzte mit der Bitte um ergänzende Stellungnahme, auch aus der Sicht therapeutischer Bemühungen in der Vergangenheit.
• Vorlage neuer Befundberichte, Klinikentlassungsberichte, Gutachten anderer Leistungsträger, z. B. Arbeitsamt, Versorgungsamt oder Berufsgenossenschaft.
• Detaillierte Kritik, z. B. anhand der Angaben des Mandanten über die Behinderung schon im Alltagsablauf, bei der Verrichtung leichter Tätigkeiten (etwas i. S. d. § 14 IV SGB XI) ohne Stress usw..
• Hinweis auf Beweislastverteilung, z. B. wenn es um Rentenentziehung nach § 48 SGB X oder um Probleme der überholenden Kausalität („Vorschaden") in der Unfallversicherung geht.
• Zeugenangebote betreffend den Pflegebedarf gem. §§ 14, 15 SGB XI. In Betracht kommen die Angehörigen oder die Pflegeperson i.S.d. § 19 SGB XI bzw. das Pflegepersonal des Heimes.
• Hinweis auf anders lautende Grundsätze der Sozialmedizin.
• Einholung eines Privatgutachtens?
• Antrag auf Anhörung des Sachverständigen gem. §§ 397, 411 III ZPO?
• Beweisantrag nach §§ 103, 106 SGG oder Gutachten nach § 109 SGG mit Begründung: z. B. Hinweis auf weiter gehende Funktionseinschränkungen und dazugehöriges medizinisches Fachgebiet, gegebenenfalls verbunden mit Hinweis auf berufskundliche Erkenntnisse (z. B. anhand der von der BA für Arbeit erstellten Tätigkeitsbeschreibung).
• Klagerücknahme? Gegebenenfalls kommt auch später ein neuer Antrag, z. B. bei Verschlimmerung, in Betracht; Hinweis auf anderweitige Sozialleistungen, z. B: Arbeitslosengeld anstellt Rente, Rehamaßnahmen, Sozialhilfe, Gleichstellungsantrag an Arbeitsamt gem. § 2 SchwbG.
Wer die Fragen zu seinem Gutachten entsprechend beantwortet findet, der hat schon viel gelernt
Gruß von der Seenixe