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Medizinische Gutachten im Gerichtsverfahren

seenixe

Super-Moderator
Mitarbeiter
Registriert seit
31 Aug. 2006
Beiträge
8,874
Ort
Berlin
Hallo,
da sich ja eine Vielzahl von Usern mit medizinischen Gutachten im Rahmen des Sozialgerichtsverfahrens beschäftigen hier mal der Versuch einer Checkliste zur Überprüfung medizinischer Gutachten

1. Beweisanordnung des Gerichts

• Sind die Beweisfragen entscheidungserheblich und vollständig?
• Trägt die Beweisanordnung den Besonderheiten des zu entscheidenden Falles ausreichend Rechnung?
Zum Beispiel: Handelt es sich im einen erstmaligen Anspruch auf Leistungen oder einen Verschlimmerungsantrag bzw. ein Herabsetzungsverfahren gem. § 48 SGB X?
• Ist der berufliche Werdegang des Klägers zutreffend skizziert?
• Sind alle Umstände des Unfallhergangs ermittelt bzw. die „Exposition" geklärt?

2. Qualifikation des Gutachters

• Hat das Gericht den „geeigneten Gutachter" ausgewählt?
• Verfügt der Sachverständige über die erforderliche Fachkunde im Sinne des § 407a Abs. 1 ZPO?
• Ist z.B. ein psychologisches Zusatzgutachten erforderlich, um die Umstellungs und Anpassungsfähigkeit zu überprüfen?
• Sind spezielle arbeitsmedizinische Erfahrungen, z. B. beim Berufskrankheiten-Verfahren, gefragt?
• Ist an Stelle des Internisten ein Lungenfacharzt oder Kardiologe geeigneter?
• Bedarf es ergänzender Fachkunde z. B. bei der Interpretation von Röntgenaufnahmen oder CT-Befunden?

3. Gutachterauswahl
• Liegen Gründe vor, weshalb der beauftrage Arzt von der Sachverständigentätigkeit ausgeschlossen ist, etwa soweit er früher schon einmal am Verfahren beteiligt war?
• Besteht die Besorgnis der Befangenheit, z. B: weil der Gutachter ständig mit der Gegenseite zusammenarbeitet oder eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Probanden zu befürchten ist?
Rügefrist: 2 Wochen gem. § 406 Abs. 2 ZPO, also noch vor Erstellung des Gutachtens!

4. Überprüfung des Gutachtens
• Hat der beauftragte Arzt selbst die erforderlichen Untersuchungen und Auswertungen vorgenommen oder hat er unter Verstoß gegen § 407a Abs. 2 ZPO den Auftrag an Dritte weitergegeben?
• Inwieweit hat er nachgeordnete Ärzte zu sog. „Hilfstätigkeiten" herangezogen?
• Hat der Sachverständige den gesamten Akteninhalt, also sämtliche Vorgutachten, Befundberichte und weitere ärztliche Unterlagen, vollständig mitgewürdigt und in seiner Beurteilung diskutiert oder bestehen nicht auflösbare Widersprüche zwischen der Beurteilung des Sachverständigen und den Vorbefunden bzw. den Vorgutachten?
• Wurden die Gutachten des Medzinischen Dienst der Krankenkassen und des Arbeitsamtsarztes beigezogen und ausgewertet?
• Hat der Sachverständige die seiner Beurteilung vorgreiflichen sog. „Anknüpfungstatsachen" zutreffend berücksichtigt, (z. B. Unfallhergang, Exposition bezüglich einer streitigen Berufskrankheit oder Anforderungen, die eine bestimmte berufliche Tätigkeit von dem Arbeitnehmer verlangt)?
• Hat der Sachverständige alle Klagen des zu Untersuchenden zur Kenntnis genommen, gegebenenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers?
• Hat der Sachverständige alle Fragen nachvollziehbar und vollständig beantwortet, gegebenenfalls seine von den Vorgutachtern abweichende Meinung begründet oder widersprechen sich die einzelnen Antworten?
• Ergibt sich aus der Beurteilung, dass der Sachverständige Rechtsbegriffe seinerseits auslegt und damit seine Kompetenz überschreitet oder seiner Beurteilung ein falsches rechtliches Vorverständnis zu Grunde legt?
• Hat er sich beispielsweise die Grundsätze über die Kausalität in der gesetzlichen Unfallversicherung oder das Gebot der „Integration" von Einzel-Minderung der Erwerbsfähigkeit-Werten beachtet?
• Hat es die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 56 Abs. 2 SGB VII mit den Invaliditätsgraden gem. § 8 Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Unfallversicherung (private Versicherung) verwechselt oder Anforderungen an die Leistungsprüfung gemäß den Bedingungen der privaten Lebensversicherung (Berufsunfähigkeitszusatzversicherung - BUZ) mit denen der §§ 43, 44 SGG VI verwechselt? Liegt ein sog. „Seltenheitsfall" vor?
• Entspricht die Beurteilung durch den Sachverständigen den Erfahrungssätzen der Sozialmedizin?
• Reichen die Ergebnisse des Belastungs-EKG wirklich aus, um das Leistungsvermögen nach dem zweiten Herzinfarkt sachgerecht zu beurteilen, oder müssen noch Aspekte der psychischen Belastbarkeit berücksichtigt werden?
• Sind die von Sachverständigen beschriebenen Depressionen oder Neurosen wirklich „bewusstseinsnah", also bei Anspannung aller Kräfte überwindbar?

5. Anwaltliche Reaktion
• Rücksprache mit dem Mandanten über die tatsächlichen Grundlagen, die Befunderhebung und die Beurteilung. Information des Mandant darüber, welche Schlüsse das Gericht aus dem Gutachten ziehen wird/muss.
• Gezielte Anfrage an die behandelnden Ärzte mit der Bitte um ergänzende Stellungnahme, auch aus der Sicht therapeutischer Bemühungen in der Vergangenheit.
• Vorlage neuer Befundberichte, Klinikentlassungsberichte, Gutachten anderer Leistungsträger, z. B. Arbeitsamt, Versorgungsamt oder Berufsgenossenschaft.
• Detaillierte Kritik, z. B. anhand der Angaben des Mandanten über die Behinderung schon im Alltagsablauf, bei der Verrichtung leichter Tätigkeiten (etwas i. S. d. § 14 IV SGB XI) ohne Stress usw..
• Hinweis auf Beweislastverteilung, z. B. wenn es um Rentenentziehung nach § 48 SGB X oder um Probleme der überholenden Kausalität („Vorschaden") in der Unfallversicherung geht.
• Zeugenangebote betreffend den Pflegebedarf gem. §§ 14, 15 SGB XI. In Betracht kommen die Angehörigen oder die Pflegeperson i.S.d. § 19 SGB XI bzw. das Pflegepersonal des Heimes.
• Hinweis auf anders lautende Grundsätze der Sozialmedizin.
• Einholung eines Privatgutachtens?
• Antrag auf Anhörung des Sachverständigen gem. §§ 397, 411 III ZPO?
• Beweisantrag nach §§ 103, 106 SGG oder Gutachten nach § 109 SGG mit Begründung: z. B. Hinweis auf weiter gehende Funktionseinschränkungen und dazugehöriges medizinisches Fachgebiet, gegebenenfalls verbunden mit Hinweis auf berufskundliche Erkenntnisse (z. B. anhand der von der BA für Arbeit erstellten Tätigkeitsbeschreibung).
• Klagerücknahme? Gegebenenfalls kommt auch später ein neuer Antrag, z. B. bei Verschlimmerung, in Betracht; Hinweis auf anderweitige Sozialleistungen, z. B: Arbeitslosengeld anstellt Rente, Rehamaßnahmen, Sozialhilfe, Gleichstellungsantrag an Arbeitsamt gem. § 2 SchwbG.

Wer die Fragen zu seinem Gutachten entsprechend beantwortet findet, der hat schon viel gelernt ;)

Gruß von der Seenixe
 
Seenixe oder alternativ die, die sich damit auskennen, dumme Frage vllt. aber wie sieht das aus mit dem Literaturnachweis des Gutachters für seine Behauptungen im Gutachten?
Ist der Gutachter verpflichtet, einen Literaturnachweis zu führen?
Oder ist er verpflichtet, bei fehlendem Literaturnachweis auf Anfrage der Gegenpartei zum Nachweis seiner von im behaupteten Gültigkeit seiner Aussagen zwecks Überprüfung der Gültigkeit diese Nachzureichen?

Folgender Hintergrund:

[FONT=&quot]In den Leitlinien der [/FONT][FONT=&quot]Deutschen Gesellschaft für neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB) [/FONT][FONT=&quot]zu "Allgemeine Grundlagen der medizinischen Begutachtung [/FONT][FONT=&quot]AWMF-Register Nr. 094/001 Klasse: S2k" wird ausdrücklich daraufhingeweisen, daß "Die wissenschaftlich und empirisch gestützte Meinung des Gutachters muss sich auf allgemein als gesichert, zumindest als wahrscheinlich gesichert geltende medizinische Erkenntnisse stützen. Abweichungen müssen als solche gekennzeichnet und eingehend begründet werden." Gleiches formuliert das BSG in seinem Urteil vom 09.052006 - B 2U 1/05[/FONT]

Der vom Gericht bestellte Gutachter (seines Zeichens Orthopäde und Unfallchirurg) hat in seinem Gutachten so einiges daniedergeschrieben, das nachweislich (AMWF-Leitlinien, aktuelle Fachlitertur) nicht nachvollziehbar ist bzw. dem widerspricht. Ich kann nur vermuten, weil er auf den betroffenen Fachgebieten (Algesiologie, Handchirurgie, Arbeitsmedizin/Biomechanik) nicht so auf dem Stand der Dinge ist. Und dies natürlich entsprechend o.g. Empfehlung weder gekennzeichnet noch begründet.

Mein RA und ich haben im Rahmen der Stellungnahme zum Gutachten versucht dazu Aufklärungsarbeit zu leisten. Und haben dazu auch die entsprechende Fachlitertur dem Richter beigelegt.
Ich vermute mal, daß der Gutachter wieder, nun ich nenne es mal freigeistig-kreativ, gegenargumentiert (falls das Gericht ihn dazu überhaupt auffordert) und dies wieder ohne Literaturnachweis.

Wenn es eine Pflicht zum Literaturnachweis in irgendeiner Form und sei es auf Nachfrage des Nachweises seiner Behauptungen gäbe, wäre dies für uns ein Ansatz das Gutachten/die Stellungnahme grundsätzlich als Beweis abzulehnen. Mangels Beweis durch Literatur.

Gruß

Edit:
Ich habe in Netz dazu folgendes gefunden:

Ein Gutachten erfordert eine umfassende und in sich nachvollziehbare Darstellung des Erkenntnis- und Wertungsprozesses des Begutachtenden. Hierzu gehören die Angaben der von ihm herangezogenen und ausgewerteten Erkenntnismittel sowie die hierdurch erlangten Informationen [...] KG Berlin, 5. Strafsenat, Beschluss vom 11.12.1998, AZ.: 5 Ws 672/98

Ich weiß allerdings nicht, ob dieses Urteil auch auf medizinische Gutachten anwendbar ist. Und auch zum genauen Inhalt kann ich nichts sagen, da ich trotz Google-Suche keine Zugrif dazu bekomme.

Doppel-Gruß
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Buchfreundin,

also zu einer Deiner Fragen, es gibt nur Handlunsgempfehlungen wie ein medizinisches Gutachten auszusehen hat, das ist rechtlich nicht bindend.

Allerdings, wenn das Gericht eine ablehnende Entscheidung auf solch ein Gutachten gründet, das durch mangelnde Literaturverzeichnisse und (für Deine Seite) daraus resultierende mangelnde Nachvollziehbarkeit, dann ist das Urteil angreifbar.
Ich weiß es nicht bestimmt, aber ich glaube das man das Sozialgericht noch nicht einmal auf den Umstand hinweisen muss, da es dort nach dem Amtsermittlungsgrundsatz geht. Besser wäre es natürlich darauf hinzuweisen, das es mangels Literaturverweise und konkurierender Leitlinien eine nicht nachvollziehbare Schlussfolgerung des Gutachters gibt.;)

LG Rajo
 
Hallo,

zumindest sollte durch Deinen Anwalt die fehlende Kompetenz bis hin zur Ablehnung formuliert werden. Schon um die Richtigstellung der Aussagen notfalls in der nächsten Instanz zu ermöglichen. Meist haben die Richter so ihre "Lieblinge" und werden diese nicht unbedingt zur Rechenschaft ziehen, aber es sollte möglich sein in der folgenden Instanz dieses zumindest anzumerken.

Gruß von der Seenixe
 
Bei einem medizinischen Gutachten ist das Gericht verpflichtet, dem Gutachter sämtliche Anknüpfungstatsachen, insbesondere Krankenunterlagen oder Stellungnahmen der behan- delnden Ärzte zu übermitteln und ihn anzuhalten, sich mit diesen fachkundigen Stellung- nahmen auseinanderzusetzen. Weicht der Sachverständige von einer solchen Stellungnah- me ab, so muss er im Gutachten auf diese fachkundige Äußerung eingehen und den Grund für seine abweichenden Feststellungen nachvollziehbar darlegen. Andernfalls ist das Gut- achten unvollständig und deshalb fehlerhaft und nicht verwertbar (vgl. BVerwG, 2010-06- 30,2 B 72/09).
3. Die gerichtliche Aufklärungspflicht ist verletzt, wenn sich das Gericht bei der nach seiner Rechtsauffassung erforderlichen Klärung einer entscheidungserheblichen Frage mit einem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten begnügt, das objektiv ungeeignet ist, ihm die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen zu vermit- teln. Dies ist im Allgemeinen bereits dann der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein aner- kannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, unlösbare inhaltliche Widersprüche enthält oder Anlass zu Zweifeln an der Sach- kunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen gibt. Die Verpflichtung zur Ergänzung des vorliegenden Gutachtens folgt nicht schon daraus, dass ein Beteiligter dieses als Erkennt- nisquelle für unzureichend hält (Urteil BVerwG vom 06.02.85, Az. 8 C 15.84, in BVerwGE 71, 38 <45> = Buchholz 303 § 414 ZPO Nr. 1 S. 6; Beschlüsse BVerwG vom 26. 02.08, Az. 2 B 122.07, in ZBR 2008, 257 <259 f> und vom 29.05.09, Az. 2 B 3.09, in NJW 2009,2614; stRspr).

Dem Antrag einer Partei auf Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftli- chen Gutachtens hat das Gericht grundsätzlich zu entsprechen, auch wenn er das schriftli- che Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht. Ein Verstoß gegen diese Pflicht verletzt den Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör und führt im Rahmen des § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverwei- sung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Ich verweise hierzu auf den Beschluss des BSG vom 24.04.08, Az. B 9 SB 58/07 B, (Lexetius.com 12008 ,2148 ). Danach geht das Recht eines Verfahrensbeteiligten, Fragen an den Sachverständigen zu stellen, der ein schriftliches Gutachten erstattet hat, nicht mit dem Ende der Instanz verloren, wenn das erst- instanzliche Gericht den Antrag auf Anhörung fehlerhaft als verspätet ablehnte.
Rein vorsorglich verweise ich ergänzend auf die Beschlüsse des BSG vom 03.03.99, Az. 9 VJ 1/98 B - SgB 2000, 269 und vom 12.12.06 - B I3 R 427106 B - Juris).
Das Recht der Klägerin oder des Klägers, an den erstinstanzlich tätig gewordenen Sachver- ständigen, noch im Berufungsverfahren Fragen zu stellen, entfällt auch nicht deshalb, weil das Fragerecht grundsätzlich nur innerhalb des Rechtszuges besteht, in dem das Gutachten eingeholt worden ist. Außer in dem von der Rechtsprechung entschiedenen Fall (Vorliegen der Voraussetzungen nach § 411 Abs. 3 ZPO; vergleiche dazu BSG Beschlüsse vom 03.03.1999 – B 9 VJ 1/98 B - SgB 2000, 269 und vom 12.12.2006 - B I3 R 427106 B - Juris) geht das Fragerecht mit Ende der Instanz, in der das schriftliche Gutachten erstattet worden ist, auch dann nicht verloren, wenn dort Verfahrensfehler mit der Begründung unberücksich- tigt geblieben sind, es sei verspätet oder missbräuchlich geltend gemacht worden.
Beweis: BSG, Beschluss vom 12.04.05, Az. B 2 U 222/04 B, als Anlage
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ein riesen Danke schön an alle für die zügige und kompetente Antwort.

Und an die Moderatoren, falls das Anheften bleiben an diesem Ort statt Neueröffnung eines Threads nicht korrekt ist, bitte verschiebt mich. Dann habe ich es verdient.

@Elvis 64 speziell:
Ich frage explizit genauer nach, da in unserer Stellungnahme ersteinmal nur die medizinischen Fehler aufgeführt wurden und den Fakt, daß der Grund für ihr Dasein nicht begründet/kommentiert wurde.

Bedeutet der eindeutige Nachweis eines/mehrerer Fehler im Gutachten auch ohne daß diese durch einen Gutachter sondern auf Grund eigener Argumentation erfolgt sind, daß das Gutachten damit nachweislich nicht verwertnar ist?

Da du spezieller zitiert hast und damit in der Hoffnung schwanger gehend :rolleyes: auch etwas genauer Ahnung hast, ich beziehe mich auf folgenden Text aus deiner Antwort:

"Weicht der Sachverständige von einer solchen Stellungnah- me ab, so muss er im Gutachten auf diese fachkundige Äußerung eingehen und den Grund für seine abweichenden Feststellungen nachvollziehbar darlegen. Andernfalls ist das Gut- achten unvollständig und deshalb fehlerhaft und nicht verwertbar (vgl. BVerwG, 2010-06- 30,2 B 72/09). "

"Dies ist im Allgemeinen bereits dann der Fall, wenn das vorliegende Gutachten auch für den Nichtsachkundigen erkennbare Mängel aufweist, etwa nicht auf dem allgemein aner- kannten Stand der Wissenschaft beruht, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht,"

Ich erlaube mir mal an zwei Auszügen aus der Stellungnahme, zu verdeutlichen, was ich mich eindeutigem Nachweis meine:
1) Herr XY schließt in seinem Gutachten das Vorhandsein eines CRPS aus bestätigte aber eine Form der neurogen verursachten Allodynie (Seite a d. Gutachtens), ein neuropathisches Schmerzsyndrom (Seite b d. Gutachtens), eine schmerzhafte Neuropathie (Seite c d. Gutachtens) respektive ein chronifiziertes/chronisches Schmerzsyndrom (Seite d/e Antwort Frage X d. Gutachtens).
Dazu ist festzustellen, daß diese Diagnosen wie auch der Begriff Morbus Sudeck veraltete Bezeichnungen für Symptomkomplexe sind (von Herrn Prof. XY im Gutachten erwähnt). Diese werden seit 1993 unter dem Begriff CRPS als bis heute gültige offizielle Bezeichnung der IASP (Internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes) als rein deskriptive Bezeichnung mit dem Terminus "Komplex-regionales Schmerzsyndrom" (CRPS) zusammengefasst. Dementsprechend gibt es auch keinen atypischen Verlauf eines CRPS (s. Seite f d. Gutachtens) mit nicht vorhandenen, klassischen Symptomen sondern verschiedene Symptomkomplexe.
Damit bestätigt er nach offiziell gültigem Sprachgebrauch das Vorhandensein eines CRPS.
2) Zu der seitens Herr XY als beweisführend für den Ausschluss einer CRPS angeführten Diagnostik mit dem Fehlen "radiologisch typischer Veränderungen des Knochens" (Seite g d. Gutachtens) ist folgendes festzustellen. Die Literatur weist ausdrücklich daraufhin, daß ein Normalbefund im Röntgen der Hand ein CRPS keineswegs ausschließt. In der konventionellen Röntgenaufnahme zeigen sich nur bei circa 50% der Patienten nach 4 - 8 Wochen relativ charakteristische Veränderungen, 50% der Patienten zeigen diese Veränderung nicht. Da diese Untersuchung damit nur eine geringe Sensitivität aufweist, hat sie nur im Rahmen eines positiven Befundes eine Wertigkeit. Gleiches gilt für den Nachweis von Knochenveränderungen im MRT. Laut der Studie "Wertigkeit der Kernspintomographie in der Frühdiagnostik des Complex Regional Pain Syndrome Typ I (CRPS Typ I) nach distaler Radiusfraktur" gibt es darüberhinaus Anhaltspunkte, daß die o. g. Veränderungen sich im Laufe der Erkrankung zurückbilden und " [...] einen praktisch normalen MR-Untersuchungsbefund zeigten [...]".

Als Literaturnachweis unsererseits sind AMWF-Leitlinien, neuere Studie zum CRPS, div. schmerztherapuetische Fachliteratur mit Seitenzitat dazu beigefügt worden.

Gilt das als eindeutig genug?
 
F: Das professionelle Gutachten - Anforderungen aus rechtlicher Sicht. DR. jur. Peter Becker - Richter am Bundessozialgericht
Fachkompetenz:
Das der Sachverständige die notwendige Fachkompetenz besitzen muss, ist eine Selbstverständlichkeit. Rechtlich folgt die aus der Pflicht des Sachverständigen zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt ( § 407a Abs. 1 ZPO ; § 36 Abs. 1 S. 1, 2 Gew0 ) (20).Überschreitet der Sachverständige seine Fachkompetenz liegt ein Mangel des Gutachtens vor. Des weiteren muss die Sachkunde des Sachverständigen auf den neuesten Stand sein .
So muss er mitteilen , wenn ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrungen verfügt. Muss er bei Durchführung von Untersuchungen über die entsprechende apparative Ausstattung verfügen , u.s.w.

Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, Erstattung des Gutachtens nach bestem Wissen und Gewissen:
Die Pflicht zur Erstattung des Gutachtens nach bestem Wissen und Gewissen ( § 410 Abs. 1 ZPO: § 36 Abs. 1 S. 2 Gew0 ) bezieht zwar auch das Element der Fachkompetenz mit ein, entscheidend ist jedoch bei ihr ebenfalls die Erstattung des Gutachtens objektiv, frei von sachfremden Erwägungen und Einflüsse und entsprechend den eigenen Kenntnisse und Erfahrungen.
Auch rein funktional betrachtet ist die objektive, neutrale und weisungsfreie Erstattung von Gutachten wegen des großen Einflusses deren Ergebnisse für die Meinungsbildung des Auftraggeber zwingend notwendig.
In der Praxis und auch in der öffentliche Diskussion ranken sich viele Probleme um diese Unparteilichkeit bzw. Befangenheit von Sachverständigen . Die einschlägigen Darstellungen in der Literatur sind seitenlang, und es kommt immer sehr stark auf die Umstände des Einzelfalls an.

Hervorzuheben ist folgende Leitlinie:
Für eine Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige objektiv befangen ist. Es genügt jede Tatsache, die auch ein nur subjektives Misstrauen eines Beteiligten nicht seines Rechtsanwalts - in die Unparteilichkeit des Sachverständigen vernünftigerweise rechtfertigt , sog. ,, parteiobjektiver Maßstab.

Gutachten entsprechend dem Gutachtenauftrag :
Dies ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wir aber nicht immer beachtet. Diese Anforderung folgt aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Sachverständigen also §§ 631 ff. BGB , dem Sachverständigen - Auftrag nach § 21 SGB X oder §§ 402 ff. ZPO ( 47 ). Unterstrichen wird diese Bindung an den Auftrag durch das Recht des Auftraggebers , dem Sachverständigen Weisungen zu erteilen ( vgl. § 404 a ZPO ).
Weicht der Sachverständige von diesen Weisungen ab, ist das Gutachten mangelhaft ( 48 ). Bei Zweifeln über den Inhalt oder Umfang des Gutachtenauftrags ist unverzüglich eine Klärung durch den Auftraggeber herbeizuführen ( § 407a Abs. 3 S. 1 ZPO ). Konkret bedeutet dies: Die vom Auftraggeber gestellten Fragen müssen in dem von diesem vorgegebenen Rahmen beantwortet werden. Außerdem muss das Gutachten innerhalb der gesetzten Frist erstellt werden ( § 411 ZPO : vgl. auch §§ 14 Abs. 5 S. 5 SGB IX : zwei Wochen.

Mangelfreiheit des Gutachtens:
Im Mittelpunkt steht der nachfolgenden Betrachtungen steht, ob der Sachverständige bei Erstellung des Gutachtens ,, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach § 276 BGB beachtet hat .
Dies bedeutet als Grundvoraussetzung für ein professionelles - mangelfreies Gutachten.
1. Vollständigkeit
2. Widerspruchsfreiheit
3. Sorgfalt und exakte Dokumentation

Für die einzelnen Teile eines Gutachtens erwachsen daraus folgende Anforderungen:
Tatsachenfeststellung , Auswertung der Unterlagen , ggf. eigene Untersuchung. Die Tatsachenfeststellung durch Auswertung der mit dem Gutachtenauftragübersandten Unterlagen und ggf. aufgrund eigener Untersuchungen ist die Grundlage des Gutachtens und der anschließenden Beurteilung. Daher muss in dem Gutachten offen gelegt werden, welche Tatsachen der Beurteilung zugrunde gelegt werden und wie sie gewonnen wurden. Das Gutachten darf nicht von falschen oder unzutreffenden Tatsachenfeststellungen bzw. fehlerhaften oder unvollständigen Befunderhebungen ausgehen , ebenso wenig darf es auf Mutmaßungen und Unterstellungen beruhen .
Folgen der Mängel eines Gutachtens:
Diese unterstreichen die Bedeutung eines professionellen Gutachtens. Denn Mängel eines Gutachtens führen zu einer eingeschränkten oder ggf. völlig entfallenden Verwertbarkeit des Gutachtens.
 
Hallo an alle

Beispiel aus meinem Fall: Dienstunfallrente:
Gutachten 2004-Überprüfung Folgen meines Unfalls von 1999 - Unfallrente rückwirkend aberkannt. Nach abgelehntem Widerspruch Klage vor dem Verwaltungsgericht 2005.

Der Gutachter begründet seine (hergeholten) Schlussfolgerung: dazu gäbe es mehrere wissenschaftlichen Untersuchungen - und sagte wort wörtlich: das können sie bei "Keidel" nachlesen. Verfahren verloren!
Antrag auf Berufung gestellt u.a. mit der Begründung, dass die wissenschaftlichen Untersuchungen vom zitierten "Keidel" sich auf Auffahrunfälle bezogen - es sich aber bei mit um eine Frontalkollision gehandelt hat. Berufung stattgegeben - neues Gutachten 2007- VGH-Urteil 2009 bemerkte: den Schlussfolgerungen des Erstgutachters seien in Teilen nicht nachvollziehbar.

Verfahren gewonnen - Dienstunfallrente rückwirkend anerkannt - lebenslang!

Also ist meine Erfahrung gewesen, auch wenn man im Gutachten keine Literaturangaben findet, war die Nachfrage meines Anwalts in der Verhandlung an den Gutachter ein Ankerpunkt für den Antrag auf Berufung.

LG Teddy
 
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