Das Glühwürmchen
Es war einmal ein kleines Glühwürmchen. Das lebte sehr glücklich in einem Holunderbusch mit vielen anderen Glühwürmchen zusammen. Es war beliebt und kam mit allen sehr gut aus. Am Abend, wenn die Dämmerung hereinbrach, flog es mit den seinen Freunden um den Busch herum, hell erleuchtet mit dem strahlendsten Licht, das man sich nur denken kann. So lebte es Woche um Woche, Tag um Tag, Monat um Monat und Jahr um Jahr.
Eines Tages, stellte es fest, dass sein Licht nicht mehr so hell leuchtete. Es erschrak natürlich, aß an diesem Tag besonders viele Vitamine und trank besonders feines Regenwasser aus einer Rosenblüte. Unglücklicherweise half alles nichts. Sein Licht wurde von Tag zu Tag dunkler. Mittlerweile hielten sich seine Freunde auf Abstand. Es kam ihnen befremdlich vor, dass sein Licht nachließ, und anstatt sie ihm beistanden und Trost spendeten, ließen sie ihn mehr und mehr außer Acht. Bei den unterschiedlichsten Unternehmungen am Abend in der Dämmerung erzählten sie ihm nicht, was sie vorhatten und so fühlte sich das kleine Glühwürmchen mit der Zeit immer mehr alleine.
Das war ein schlimmes Gefühl. Nicht allein deswegen, weil sein Licht nur noch schwach glimmte, nein, auch seine Freunde verließen ihn, gerade weil sein Licht nicht mehr so strahlte. Nur ab und zu kamen ein paar der ganz guten Freunde vorbei und schauten nach ihm, doch mitnehmen wollten sie ihn nicht. Hätten sie ihr Licht zusammengetan, hätte es sicherlich auch für das kleine Glühwürmchen gereicht. So kam es, dass das kleine Glühwürmchen einsam auf einem Ast sitzen blieb, wenn es Abend wurde, während seine Freunde lustig umher flogen und Spaß hatten.
Traurig saß es da und irgendwann wollte es noch nicht einmal mehr zuschauen, wie die anderen Kunststücke flogen. In der Folge davon verblasste auch noch der letzte Rest von seinem Licht, je trauriger es war.
Wie es also so dasaß, alleine, krabbelte eine kleine Raupe vorbei. Eigentlich noch nicht mal eine schöne Raupe. Bisher hatten sie immer vermieden, mit diesen Raupen zu reden, wenn sie ihnen begegneten. Diese Raupe also bemerkte das kleine traurige Würmchen und sprach es an: „Hey du, was sitzt du hier so trübselig herum. Weshalb fliegst du nicht mit deinen Freunden?“ Gequält hob das Würmchen seinen kleinen Kopf und sah es mit wässrigen Augen an: „Ach du, schau doch, mein Lämpchen geht nicht mehr. Aus diesem Grund wollen meine Freunde nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie kommen mich kaum noch besuchen. Fliegen nur herum und haben Spaß,... ohne mich.“
Die Raupe kratzte sich am Kopf. Ihr tat das Glühwürmchen ein bisschen leid. Als es dann auch noch mitansehen musste, wie aus den Augen des Würmchens große Tränen kullerten, sah sie unter diesen Tränen ein nettes liebes Gesicht hervorspähen. Sie ging einige Schritte zurück und betrachtete das Glühwürmchen von Ganzem. Ein kugeliges kleines, nicht gerade schönes, Käferchen, dessen Lämpchen am Hinterteil nur schwach glimmte. Nach wenigen Sekunden meinte es: „Weißt du was, du kommst jetzt mit mir mit. Ich nehme dich mit zu meinem Treffpunkt.“ „Zu was für einem Treffpunkt?“, fragte das Glühwürmchen verdutzt. „Na eben meinem Tummelplatz. Komm mit und schau selbst. Dort wirst du sicherlich neue Freunde finden.“ Gesagt getan. Langsam bewegten sich die Beiden den Busch hinunter und hinüber zum Fliederbaum. Oben angekommen staunte das Würmchen nicht schlecht, als es sah, dass sich hier viele unterschiedliche Insekten versammelt hatten. Da saß ein Schmetterling, eigentlich hübsch, doch wenn er seinen Flügel ausbreitete, sah man, dass ihm im rechten Flügel eine ganze Ecke fehlte. Ein Tausendfüßler, der die ganze Zeit darüber lamentierte, dass er doch keine tausend Füße habe und somit doch eigentlich gar kein Tausendfüßler sei. Eine Fliege, die nur einen Flügel hatte. Ein Marienkäfer, mit nur drei Punkten usw. Viele dieser Gesellen hatten sich versammelt und redeten und quatschten und es schien, als hätten sie Spaß, trotz ihrer jeweiligen Makel.
Verwundert blickte das Würmchen in die Gesellschaft.
Nachdem es freundlich begrüßt worden war, mit dem ein und anderen sprach, erkannte es auf einmal recht schnell, dass es nicht darauf ankam, ob sein Lämpchen leuchtete. Sondern darauf, dass es sich wohl fühlte. Denn das tat es in dieser illustren Runde in der Tat. Es fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. So kam es, dass es von da an jeden Tag, wenn die Dämmerung hereinbrach, zu diesem Treffpunkt flog. Es freute sich, denn es konnte schließlich noch fliegen im Gegensatz zur Fliege. Nach einer Weile bekamen sie eine Idee, wie sie der Fliege helfen konnten, wieder in die Lüfte zu gelangen. Sie bauten ihr gemeinsam aus einem Stück trockenem Blatt einen Flügel, den sie ihr mit Baumharz auf den Rücken klebten. Damit konnte sie zumindest kleine Strecken ohne Hilfe leicht zurücklegen. Eins ums andere bemühte sich nun das Glühwürmchen darum, den anderen zu helfen, denen es doch eigentlich viel schlimmer ging als ihm.
Mit der Zeit, ohne dass es das bemerkt hatte, leuchtete sein Lämpchen wieder heller, von Tag zu Tag mehr. Eines Nachts, als sie lachend und kichernd den 305. Schuh vom Tausendfüßler suchten, bemerkte die Raupe, dass seine Lampe ganz schön hell strahlte. Erstaunt nahm das Würmchen dies zur Kenntnis und nahm sich vor, am nächsten Abend mit seinen ehemaligen Freunden herum zu fliegen. Doch sobald der Abend über den Garten kam, besann es sich und flog zum Flieder hinüber. Die Raupe hatte einen neuen Gesellen dabei, einen Weberknecht, der völlig am Boden zerstört war, weil ihm ein Bein fehlte. Nachdem sie ihm gemeinsam geholfen hatten, saßen die Raupe und das Würmchen nebeneinander auf dem Ast und schauten in den Sternenhimmel. Da fragte das Glühwürmchen: „Sag, warum bist du eigentlich in dieser illustren Gesellschaft?“ Die Raupe stöhnte, grinste und antwortete: „Weil ich alle sehr gerne habe. Weil ich mich nicht in einen Schmetterling verwandeln kann und keine Ahnung habe warum, und weil ich gerne helfe. Es bereitet mir einfach Freude. Schau in die glücklichen Gesichter. Es ist noch viel schöner geworden, seit du bei uns bist. Du hast allen mit deiner Hilfe so viel Fröhlichkeit gegeben.“ „Ja“, antwortete das Glühwürmchen, „du kannst dich nun zurücklehnen und durchschnaufen. Ich werde hier bleiben, auch wenn meine Lampe wieder funktioniert. Ich finde es hier viel besser und sinnvoller. Ich unterhalte mich gerne mit den anderen Insekten. Man erfährt viel, und es macht ein gutes Gefühl wenn man weiß, dass man willkommen ist und gemocht wird.“ Lächelnd lehnten sie einander an und betrachteten weiterhin den Himmel.
Am nächsten Abend gab es helle Aufregung, als Glühwürmchen beim Flieder eintraf. Ihm wurde sogleich mitgeteilt, dass Raupe verschwunden sei und schon einige losgezogen waren, um sie zu suchen. Sie seien froh, dass er endlich da sei, weil er dann leuchten könne. Völlig außer Atem kam der Tausendfüßler vom obersten Ast heruntergekrabbelt und rief: „Leute, Leute, ihr werdet es nicht glauben. Ich habe Raupe gefunden. Sie hängt dort oben im Baum. Eingesponnen in einen Kokon. Sie hat es endlich geschafft. Warten wir eine Weile, dann schlüpft sie aus und dann sehen wir, was aus ihr geworden ist.“ Jubel brach aus, alle freuten sich sehr und begannen zu singen und zu tanzen. Glühwürmchen wusste aber, weshalb es Raupe endlich gelungen war, sich um SICH zu kümmern. Er hatte es ihm gesagt. Er war ja da und kümmerte sich um die anderen so lange. Ihm wurde bewusst, dass er so glücklich war wie noch nie. Er lebte fortan in einer Gemeinschaft, in der alle füreinander da waren und jeder dem anderen half. In der man sich für den anderen freute und auch mit ihm weinte.
... und sein Lämpchen strahlte heller denn je.
Ich bedanke mich das ich auf dem Tummelplatz dabei sein durfte und wir uns gegenseitig helfen konnten