Behandlungsfehler bei Auswertung einer Computertomographie ohne Neurologen
Arzthaftungsrecht,
Medizinrecht
(30 Bewertungen)
Das
Oberlandesgericht (
OLG)
Hamm hat mit dem
Urteil vom 12.08.2013 (
Az.: 3 U 122/12) entschieden, dass ein Krankenhaus und der behandelnde Chefarzt haften, weil sie es behandlungsfehlerhaft versäumt haben, rechtzeitig einen Neurologen zur Beurteilung der Bildgebung einer Computertomographie hinzuzuziehen und deswegen ein massiver Hirnstamminfarkt einer Patientin zu spät erkannt wurde.
Zum Sachverhalt: schwerwiegende Lähmung als Folge eines zu spät erkannten Hirnstamminfarktes
Die im Jahre 1934 geborene Patientin wurde seit dem Jahre 2002 wegen Herzerkrankungen mehrfach stationär behandelt, und zwar u.a. im beklagten Krankenhaus in der Abteilung des ebenfalls beklagten Chefarztes.
Im November 2005 wurde die Patientin dann mit einer Halbseitenlähmung als Notfall in das beklagte Krankenhaus eingeliefert, in dem sie bewusstlos ankam und kurz darauf einen Krampfanfall erlitt. Am Tag der Aufnahme veranlassten die behandelnden Ärzte eine native Computertomographie (= Aufnahme ohne Verwendung von Kontrastmitteln), deren Bildgebung ohne Hinzuziehen eines Neurologen beurteilt wurde. Bei den an den nächsten Tagen abgehaltenen neurologischen Beratungen zeigte die Patientin das Bild eines sog. Locked-in-Syndroms (= schwerwiegende Lähmung) als Folge eines - anfangs nicht erkannten - massiven Hirnstamminfarkts. Die Klägerin war insoweit wach, konnte hören, sehen und riechen, sich aber bis auf Augenbewegungen nicht bewegen. Dieser Zustand änderte sich bis zum Tode der Patientin im Juli 2006 nicht mehr.
Daraufhin erhob der Sohn und Erbe der Patientin Klage gegen das Krankenhaus und den behandelnden Chefarzt auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Die Entscheidung des OLG: 50.000,00 € Schmerzensgeld wegen eines groben Behandlungsfehlers
Das OLG gab der Klage zweitinstanzlich statt und sprach u.a. ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000,00 Euro zu.
Denn nach Auffassung des OLG hatten es die behandelnden Ärzte der Beklagten behandlungsfehlerhaft versäumt, noch am Aufnahmetag einen Neurologen zur Beurteilung der Bildgebung der nativen Computertomographie hinzuzuziehen. Ein Neurologe hätte den massiven Hirnstamminfarkt der Patientin erkennen und dessen rechtzeitige Behandlung innerhalb eines noch „geöffneten 12-Stunden-Zeitfensters" verlassen müssen. Wäre dies unterblieben, läge ein grober Behandlungsfehler vor. Dieser Verlauf begründe im Prozess eine Beweiserleichterung zugunsten des Klägers.
Die versäumte Behandlung der Patientin sei - so die im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen - geeignet gewesen, ihre schwerwiegende Lähmung (Locked-in-Syndrom) und ihren späteren Tod zu vermeiden. Das sei den Beklagten anzulasten, weil sie nicht bewiesen hätten, dass die Patientin bei rechtzeitiger richtiger Behandlung identische Beeinträchtigungen erlitten hätte.
Fazit:
Die - noch nicht rechtskräftige - Entscheidung des OLG bestätigt wieder einmal die in der jüngeren Vergangenheit von der Rechtsprechung entwickelte und seit Anfang 2013 durch den Gesetzgeber in § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB bestätigte Rechtsfigur der „unterlassenen Befunderhebung": Der (grundsätzlich beweisbelasteten) Patientenseite kommt im Haftungsprozess gegen den Behandelnden eine Beweislastumkehr zugute, wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wär