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Zuschlag auf Schmerzensgeld nach Lüge

seenixe

Super-Moderator
Mitarbeiter
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31 Aug. 2006
Beiträge
8,877
Ort
Berlin
Hallo,
das OLG Schleswig-Holstein hat folgende Entscheidung mitgeteilt:

Zuschlag aufs Schmerzensgeld bei Bestreiten wider besseres Wissen
Pressemitteilung 18/2012

Einem Motorradfahrer steht nach einem Unfall ein erhöhtes Schmerzensgeld gegen ein Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs zu, weil dieses die Unfallursache wider besseres Wissen vor Gericht bestritten hat. Dies hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts entschieden und das beklagte Unternehmen, die Stadtverkehr Lübeck GmbH, zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.

Zum Sachverhalt: Der klagende Motorradfahrer hatte im März vergangenen Jahres die Priwallfähre über die Trave genutzt. Er folgte beim Auffahren auf die Fähre den Anweisungen des Personals und wechselte auf der Fähre die Spur, um nach vorn zu fahren. Dabei brach das Hinterrad aus und der Motorradfahrer stürzte auf die linke Schulter. Er erlitt eine Schultergelenkssprengung mit Abriss von Bändern, wurde anschließend operiert und über mehrere Wochen nachbehandelt. Die Fähre war gerade zur Überholung in der Werft gewesen und hatte einen neuen Anstrich des Fahrbahndecks erhalten. Nach dem Unfall ließen die Verkehrsbetriebe die Fähre mit einem anderen Anstrich versehen.
Der Motorradfahrer trug vor Gericht vor, dass der neue Belag ungeeignet und bei Feuchtigkeit sehr glatt gewesen sei. Die Verkehrsbetriebe beriefen sich darauf, dass es bisher keine Probleme mit dem neuen Belag gegeben habe. Eventuell habe der Motorradfahrer zu viel Gas gegeben und sei deshalb gestürzt.
Vor dem Landgericht Lübeck hatte der Motorradfahrer zunächst keinen Erfolg. Im Verfahren vor dem Oberlandesgericht forderten die Richter die Verkehrsbetriebe auf, das Bordbuch der Fähre vorzulegen. Dieses wies für den Vortag des Unfalls folgenden Eintrag auf: "Deck bei Regen und Tau sehr glatt! Unfallgefahr".

Aus den Gründen: Die Verkehrsbetriebe haben dem Motorradfahrer die entstandenen Schäden zu ersetzen und ein Schmerzensgeld zu zahlen. "Es steht fest, dass das frisch gestrichene Fahrdeck der Fähre bei Feuchtigkeit und Nässe mehr als zu erwarten sehr glatt war. Es hätte mindestens eines deutlichen Warnhinweises an die Benutzer der Fähre bedurft, wenn die Fähre trotz der Gefährdung der Nutzer weiterhin eingesetzt wurde. Der Kläger durfte als ständiger Fährnutzer davon ausgehen, dass der Fahrbahnbelag die übliche Beschaffenheit auswies. Erschwerend und schmerzensgelderhöhend berücksichtigt der Senat (die Richter) zusätzlich das nicht hinnehmbare Verhalten der Beklagten, die im ersten Rechtszug angesichts des Dienstbucheintrags wider besseres Wissen bestritten hat, dass das Fährpersonal um die besondere Glätte bei Feuchtigkeit wusste." Aus diesem Grund erhöhten die Richter das angemessene Schmerzensgeld um 500 Euro auf 5.500 Euro.
(Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 5.09.2012, Aktenzeichen 7 U 15/12)

Das vollständige Urteil liegt leider noch nicht vor.


Gruß von der Seenixe
 
Grüß Dich, Seenixe,

ein schönes Urteil. Vielen Dank! Es gibt einige ganz ähnliche Fälle, die das Schmerzensgeld anwachsen lassen:

Wer uneinsichtig Zahlung verweigert, statt endlich zu zahlen, der verdient ein erhöhtes Schmerzsngeld. Das liegt daran: Der Bundesgerichtshof sieht vor allem im Schmerzensgeld eine Ausgleichsfunktion. Dazu kommt in geeigneten Fällen die Genugtuungsfunktion, nach BGH ist das der "Ausdruck eines verfeinerten Rachgedankens". Man mag sich wundern, wie man einen Rachgedanken verfeindern soll, folgendes ist aber entschieden:



- 5 Jahre "Bocken" verdoppelten das Schmerzensgeld (OLG Frankfurt, Urteil vom 7.1.1999, Az.: 12 U 7/98). Der Fall war aber auch besonders hinterhältig.

- 2 ¼ Jahre Hinhalten? 20 % Zuschlag (LG Saarbrücken ZfS 01/255).

- Das OLG Karlsruhe (NJW 73/851) sah sich die Zinsen an, die am Kapitalmarkt bei Anlage des Schmerzensgeldes verdient worden wären, und dann zur Strafe: Und von diesen Zinsen: Das Vierfache.

- Das Landgericht München I sprach 50 % Zuschlag auf das Schmerzengeld zu, weil sich der Versicherer 3 Jahre lang vernünftigen Einsichten verschlossen hat: Urteil vom 25.07.2005; Az.: 30 O 12803/02.


(2) Was aber, wenn sich die Böswilligkeit nicht beweisen lässt, etwa, weil die medizinische Lage wirklich noch fraglich war?

Auch da gibt es eine (kleinere!) Schmerzensgelderhöhung: Denn: Der Versicherer darf scon Einwendungen versuchen. Auch dann, wenn sie sich nicht als stichhaltig zeigen. Aber damit schädigt er den Gesächigten weiter. Das Recht des Verischerers, es einmal zu probieren, ist auch das Risiko des Versicherers, dass der Schuss nach hinten losgeht. Dieses Risiko hat der Versicherer zu tragen. Der Prozess belastet nämlich den Geschädigten weiter (OLG Nürnberg, VersR 98/731 ff). So auch das OLG Naumburg (NZV 02/459). Dazu entschied der BGH (durch den Nichtannahmebeschluss VI ZR 380/01): Richtig so! (Fußnote zu NZV 02/459).

03
Warum das gerade bei schweren Verletzungen immer wieder passiert, darüber kann man nur spekulieren. Eine der Erklärungen, die erklärt, wieso das gerade bei schweren Verletzungen passt, ist: Mit möglichst absurden Einwendungen soll das Unfallopfer so lage getrietzt werden, bis es endlich nichts mehr sehen und nichts hören will von der Sache. Wenn hat man es so weit, ist es, höchst angefressen, bereit ist, auch einen völlig inadäquaten Abfindungsvergleich hinzunehmen. Mag es einige Fälle geben, in denen das Opfer widerstandsfähiger ist, als gedacht, dann geht mal der Schuss nach inten los. Aber mit den vielen Fällen, in denen die Taktik funktioniert, ist das immer noch rentabel. Also geschieht es.

Wie gesagt, ob das so richtig ist, ist die Frage. Aber es fällt schon auf, dass diese Theorie in der Lage ist, die Vorkommnisse zu erklären!


Weiter viel Glück!

Isländer





Aus menschlicher Sicht ist es unser aller Aufgabe, solchen Opfern den Rücken zu stärken, damit diese Takik keine Aussiche mehr hat.
 
Hallo,

zu der von #Isländer aufgeworfenen Frage nach dem "Warum" ist seine gleich mitgelieferte Erklärung ist sie die sicher zutreffendste

Warum das gerade bei schweren Verletzungen immer wieder passiert, darüber kann man nur spekulieren. Eine der Erklärungen, die erklärt, wieso das gerade bei schweren Verletzungen passt, ist: Mit möglichst absurden Einwendungen soll das Unfallopfer so lage getrietzt werden, bis es endlich nichts mehr sehen und nichts hören will von der Sache. Wenn hat man es so weit, ist es, höchst angefressen, bereit ist, auch einen völlig inadäquaten Abfindungsvergleich hinzunehmen. Mag es einige Fälle geben, in denen das Opfer widerstandsfähiger ist, als gedacht, dann geht mal der Schuss nach inten los. Aber mit den vielen Fällen, in denen die Taktik funktioniert, ist das immer noch rentabel. Also geschieht es.

Wie gesagt, ob das so richtig ist, ist die Frage. Aber es fällt schon auf, dass diese Theorie in der Lage ist, die Vorkommnisse zu erklären!

Daneben wird dies allenfalls noch dadurch erklärt und die vertredene These gleichzeitig erhärtet, dass es wirtschaftlich nur in den Fällen Sinn macht, in denen ein einkalkuliertes mathematisch-statistisches Limit überschritten ist, es sich im Falle niedrigerer Beträge eben einfach nicht lohnt.
Zudem wird man sich in bestimmten Kreisen um die Durchsetzung kleiner Summen kaum Gedanken machen nach dem Motto "Was soll denn diese Kleinligkeiten um die paar Euro" - ein Problem dieser Kreise in Sozialkompetenz also.


Gruss

Sekundant
 
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