Grüß Dich, Moenle!
Herrje, da fehlts aber weit. Da könnte ich jetzt ein kleines Buch schreiben. Fangen wir mal mit zwei Punkten an:
- Bekommt Deine Tochter wirklich nur das, was notwendig ist?
- Was hast Du für die Hilfe zu bekommen, die Du Deiner Tochter dafür gibst, dass sie überhaupt leben kann? Und was hat das mit der Pflegeversicherung zu tun?
(I) "Notwendige" Aufwendungen:
01 Grundsatz:
Deine Tochter bekommt alle (!) Mehraufwendungen ersetzt, die ein vernünftiger Mensch haben will, um möglichst den Stand zu erzielen, der wäre, wenn der Unfall weggedacht würde.
02 "Nicht notwendig"
Nun kommt oft als Gegenargument, das sei nicht notwendig. Nun, das mag schon stimmen, dass Vieles nicht notwendig ist. Notwendig ist nicht viel. Jeder Zisterziensermönch kommt z.B. ohne Urlaub aus. Mehrkosten für Urlaub der behinderten Tochter etwa wollen Versicherer ungern bezahlen: Da nicht notwendig.
03 Na und?
Darauf kommt es nicht an. Im Gesetz steht nämlich nicht, dass der Schaden nur soweit zu ersetzen ist, dass es zum Überleben langt. Im Gsetz steht, dass der entstandene Schaden ersetzt wird, § 249 BGB.
Wenn der E-Rollstuhl der Kasse zu schrottig ist, dann wird man auf Kosten der Versicherung den Mehraufwand für ein vernünftiges Modell erstattet verlangen.
Ich mach mal ein Beispiel aus dem Bereich, den wir alle kennen, da wird's dann deutlich:
Wir nehmen einen etwas heftigen Auffahrunfall vor der roten Ampel an. Schuld ist der, der aufgefahren ist. Getroffen hat es Deinen Mercedes 600 SEL, 1 Jahr alt, 40.000 km auf dem Tacho. Sagen wir mal, der war vorher noch 100.000,00 Euro wert, jetzt ist er Schrott(Wert: sagen wir: 10.000,00 Euro).
KEIN MENSCH käme auf die Idee, zu sagen: "Du kriegst 12.000 Euro, das langt für'n Fiat Panda, sogar einen neuen."
Natürlich bekommt der Geschädigte 90.000,00 Euro, (Zeitwert abzüglich Restwert)! Der hatte vorher Mercedes 600 SEL, dann hat er hinterher auch Mercedes 600 SEL.
Wem das nicht passt ("Ausgerechnet so ein teueres Auto!"): Der soll sich vorher überlegen, wem man getrost reinfahren kann und beim wem man's besser bleiben lässt.
04 Hat das gar keine Grenze?
Hat es. Das ist die Schadensminderungspflicht. Es ist der Ausdruck von Vernunft und Fairness, schlichter Hausverstand. Man soll den vollen Schaden ersetzt bekommen, aber nicht zur Unvernunft und Schadenstreiberei übergehen.
Und was heißt das?
(a)
Unfall weggedacht, wäre Deine Tochter z.B. wahrscheinlich in Urlaub gefahren, das ist normal so (worauf es ankommt, § 287 ZPO). Das wollen wir jetzt auch.
Es gilt in Deutschland allgemein nicht als unvernünftig, in Urlaub zu fahren. Dieser Wunsch ist normal. Wenn die Behinderung für ein paar Hunderter Mehrkosten sorgt, dann ist es eben genau so.
Und wer zahlt die bei Deiner Tochter notwendige Begleitperson?
Die Versicherung. Da gibt's ein nettes Urteil, das das bestätigt: Amtsgericht Cottbus, 43 C 214/11 vom 04.04.2013.
(b)
"Kann die Grenze noch ein wenig klarer gezogen werden?"
Aber ja!
(ba)
Wo nur Sachwerte zu entschädigen sind, ist schnell Schluss. Nimm an, Dein über alles geliebte Auto wird zu Schrott gefahren. Aber nur knapp. Du verstößt nicht gegen die Schadensminderungspflicht, wenn Du ihn trotzdem reparieren lässt, obwohl sich das nicht lohnt. Aber: Das darf maximal 130 % dessen Kosten, was das Auto vor dem Unfall wert war. Da ist die Grenze der Schadensminderungspflicht. Das heißt: Wenn die o.a. Reparatur des Mercedes durchgeführt würde für, sagen wir mal, 124.000,00 Euro: Das müsste der Versicherer zahlen, und zwar in voller Höhe. Weil das nicht mehr kostet als 130 % dessen, was das Auto vor dem Unfall wert war.
(bb)
Wo aber nicht nur das gottverdammte heilige Blechla getroffen ist, sondern Deine Person, da greift die Schadensminderungspflicht so schnell nicht.
Beispiel:
Ein Schwerstverletzter sagte: "Ich will nicht ins Heim, ich hab vorher zu Hause gewohnt, da will ich es jetzt auch noch. Ich will meinen Ausblick über das Donautal genießen".
Das ging. Nur stellte sich heraus: Das war zweieinhalbmal (!) so teuer wie das teuerste () Pflegeheim in der ganzen Gegend. Prompt ging ein machtvoller Rechtsstreit los. Der Versicherer meinte, das übersteige die Grenze der Schadensminderungspflicht. Eine derartige Belastung sei der Versichertengemeinschaft nicht zuzumuten. Solche Extrawürste seien mit dem Schmerzensgeld abgegolten.
Das ging bis vors Oberlandesgericht Koblenz (VersR 02/244). Der Geschädigte bekam ohne Abstriche den Schadensersatz zuerkannt. Bei so tiefen Eingriffen in das Leben ist die Schadensminderungspflicht noch nicht verletzt.
(bc)
"Ist das ein Ausreisser oder sagen das die anderen Gerichte auch?"
Das sagen die anderen auch.
Das OLG Bremen hat (VersR 99/1030 ff.) entschieden für Schadensausgleichsmaßnahmen in diesem Bereich entschieden:
"Über den zu ersetzenden Aufwand darf auf die Wahl der Lebensgestaltung nur eingeschränkt Einfluss genommen werden, wenn nämlich die Kosten in keinem vertretbaren Verhältnis zur Qualität der gewählten Versorgung stehen….zu ersetzen ist der Mehrbedarf, der tatsächlich bei sinnvoller Disposition anfällt"
DIESEN SATZ BITTE AUSWENDIG LERNEN. Den trägt in jeder Verhandlung mit der Versicherung vor sich her wie der Priester die Monstranz an Fronleichnam.
(bd)
"Hast Du nicht auch ein Urteil vom Bundesgerichtshof, so von ganz oben?"
Was-? Nur eines willst Du?
Da gibt’s mehrere, die sagen das auch so:
BGH VersR 98/366 und BGH VersR 78/149.
Ergebnis:
Seit Jahren wirst Du an der Nase herumgeführt.
(II) Was hast Du für die Hilfe zu bekommen, die Du Deiner Tochter dafür gibst, dass sie überhaupt leben kann? Und was hat das mit der Pflegeversicherung zu tun?
Das geht so:
01
Ich unterstelle mal, Deine Tochter hat eine Pflegestufe zuerkannt bekommen. Und da gibt's Pflegegeld. Das muss man sich natürlich anrechnen lassen.
02
Die Pflegeversicherung zahlt nur eine Pauschale ohne jede Rücksicht darauf, ob das reicht oder nicht. Daher kann auch niemand sagen: "Was die Pflegeversicherung zahlt, das reicht".
03
Eigentlich müsste eine Assistenz her, ein Mensch, der Deiner Tochter beim Leben hilft. So etwas ist nicht billig: Bei Leuten, die Pflege rund um die Uhr brauchen, sind das üblicherweise 9.000,00 bis 12.000,00 Euro im Monat.
04
Aber was ist, wenn keine solche Kraft angestellt wurde? Weil Du das alles selbst machst? Gibt’s dann nichts?
Nein, sagt der Bundesgerichtshof (NJW-RR 90/34), da gibts was:
Der Schädiger muss bezahlen, was die Hilfskraft (netto) bekommen hätte für die Arbeit, die die Verletzte nicht mehr tun kann.
Das nennt man "fiktive Abrechnung". Das hat die Tendenz zu 6-stelligen Beträgen.
Als: Der gesamte Arbeitsaufwand für Deine Tochter, der sich durch den Unfall einstellte, muss bezahlt werden. ACHTUNG: Es kommt NICHT darauf an, dass Du das bisher kostenlos gemacht hast. Das entlastet die Versicherung nach einhelliger Rechtsprechung nicht. Du bist nicht der kostenlose Pfleger für die Versicherung.
(05) Ein harmloses Beispiel (die Versicherung hat es bezahlt):
Eine Hausfrau hatte Mann, 2 Kleinkinder und einen Hund zu versorgen: Die Haushaltsarbeit machte sie zu ¾ und ihr Mann zu ¼. Durch den Unfall erlitt sie Verletzungen, die sie eine Weile behinderten:
- 21 Tage komplett arbeitsunfähig (100 % MdE)
- 11 weitere Tage fiel sie im Haushalt zu 70 % aus, dann
- 17 Tage war sie zu 30 %. Dann – nach 7 Wochen- war sie wieder gesund.
Sie erhielt für Ihren Ausfall im Haushalt rd. 2.500 €: Da verschätzen sich die Leute total! Das Schmerzengeld war halb so viel. Bei einem Dauerschaden kommt es nicht selten zu 6-stelligen Beträgen.
(06) Vorsicht: In diesem Bereich gibt es oft Abfindungsangebote, die viel zu niedrig liegen, eben weil sich die Leute so verschätzen.
Wahrscheinlich sitzt Du jetzt da, wie vom Donner gerührt. Das gibt's doch gar nicht! Und wie soll das alles durchgesetzt werden?
Nun, das geht. Die erste Voraussetzung ist, dass Du jetzt eisern immer im Forum bleibst, immer nachfragst, denn: Was Du da gelesen hast, das ist nur die Spitze des Eisberges, seit 23 Jahren wirst Du jetzt an der Nase rumgeführt, das werden wir beenden.
Hier muss ein munterer Dialog in Gang kommen. Wenn Du das nicht tust, dann muss ich Dir sagen: Dann verplemperst Du auf Kosten Deiner Tochter Hunderttausende.
Das wirst Du nicht wollen.
ISLÄNDER