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BFH IX R 15/19, 26.05.2020: keine Steuerbarkeit von „Verdienstausfall“ bei 12-jährigem Unfallopfer

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am Rhein
Steuerbarkeit einer als "Verdienstausfall" bezeichneten Versicherungsleistung bei einem 12-jährigen Verkehrsunfallopfer
Leitsatz
Erhält ein im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses 12-jähriges Verkehrsunfallopfer von der Versicherung des Schädigers nach Schweizer Recht Ersatz für den verletzungsbedingt erlittenen, rein hypothetisch berechneten Erwerbs- und Fortkommensschaden, kommt eine Anwendung von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG nicht in Betracht, wenn die Vereinbarung der an der Schadensregulierung Beteiligten --trotz der Bezeichnung der gewährten Versicherungsleistung als "Verdienstausfall"-- nicht dahin gedeutet werden kann, dass damit Ersatz für steuerbare Einnahmen aus einer konkreten, d.h. bestimmten oder jedenfalls hinreichend bestimmbaren Einkunftsquelle i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG gezahlt werden sollte.
Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 3. Januar 2019, Az: 3 K 1497/18, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 03.01.2019 - 3 K 1497/18 aufgehoben.

Der Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 06.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.05.2018 wird dahin geändert, dass die der Klägerin gewährte Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € nicht mehr als steuerbare Entschädigung für entgehende Einnahmen (§§ 19, 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes) angesetzt wird und die bislang als Werbungskosten behandelten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
I.
1
Streitig ist die Steuerbarkeit einer der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) im Streitjahr (2015) zugeflossenen Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €.

2
Die im Jahr 1991 geborene Klägerin wurde in 2003 Opfer eines schweren Autounfalls in der Schweiz und leidet seitdem unter irreversiblen körperlichen und geistigen Folgeschäden (Grad der Behinderung 100 %; Merkzeichen G, H); aufgrund ihrer Schädigung ist sie zeitlebens nicht in der Lage, eine Ausbildung zu beginnen oder Arbeitseinkommen zu erzielen. Nach langjährigen juristischen Auseinandersetzungen leistete die Versicherungsgesellschaft des Schädigers im Streitjahr u.a. eine als "Verdienstausfall" bezeichnete Zahlung in Höhe von 695.094 €, die die Klägerin in ihrer Einkommensteuererklärung als steuerpflichtige Einnahme i.S. der §§ 19, 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG) auswies; in diesem Zusammenhang machte die Klägerin Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als Werbungskosten geltend.

3
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) führte die Veranlagung erklärungsgemäß durch und erließ unter dem 06.04.2017 einen nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, in dem die als "Verdienstausfall" bezeichnete Versicherungsleistung nach § 34 Abs. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung unterworfen wurde; die danach festgesetzte Einkommensteuer belief sich auf 252.560 €, der Solidaritätszuschlag auf 13.890,80 €.

4
Mit ihrem hiergegen gerichteten Einspruch machte die Klägerin geltend, die Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € sei nicht steuerbar. Der von der Versicherung des Schädigers geleistete "Verdienstausfall" sei in Orientierung an einem rein fiktiven Nettolohn in Höhe von 30.180 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 20. bis 50. Lebensjahr sowie in Höhe von 35.000 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 51. bis 67. Lebensjahr vereinbart worden. Die Leistung sei mithin nicht im Zusammenhang mit einer real existierenden oder auch nur geplanten Erwerbstätigkeit der seinerzeit zwölfjährigen Klägerin, sondern als sog. "hypothetischer Erwerbsausfallschaden" im Rahmen der "Genugtuung" nach schweizerischem Zivilrecht gezahlt worden und stelle damit eine --nicht steuerbare-- Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzleistung dar. Infolgedessen seien die 57.110 € Rechtsanwaltskosten auch nicht als Werbungskosten abziehbar, sondern als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.

5
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Es vertrat die Auffassung, die streitige Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € sei eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, weil sie einen Erwerbs- und Fortkommensschaden i.S. des § 842 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) der Klägerin ausgleichen sollte und von den Beteiligten des zivilrechtlichen Rechtsstreits ausdrücklich als "Verdienstausfall" bezeichnet damit als Ersatz für entgehende Einnahmen (in Gestalt des in der Zeit vom 28.07.2011 bis zum 67. Lebensjahr fiktiv erzielbaren Erwerbseinkommens) gewährt worden sei. Der Lohnausfallschaden sei mithin nicht Teil des von der Versicherung gewährten Schmerzensgeldes. Dass die Klägerin noch nie in einem Arbeitsverhältnis stand und demnach auch noch nie einen Anspruch auf Arbeitslohn hatte, führe zu keinem anderen Ergebnis.

6
Mit Ihrer hiergegen gerichteten Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG begründe keine eigene Einkunftsart; vor diesem Hintergrund liege eine Entschädigung i.S. der Vorschrift nur vor, wenn das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis beendet werde bzw. wenn die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretende Ersatzleistung auf einer neuen Rechtsgrundlage oder einer Billigkeitsgrundlage beruhe. Rechtsprechung und herrschende Literatur setzten somit ein bestehendes Arbeitsverhältnis mit Einkünften i.S. des § 19 EStG voraus, welches beendet werde. Im vorliegenden Fall habe zum Zeitpunkt des Unfalls kein Arbeitsverhältnis vorgelegen, überdies sei auch weder ein Ausbildungs- noch ein Arbeits- oder irgendwie geartetes Erwerbsverhältnis von der im Schädigungszeitpunkt 12 Jahre alten Klägerin, die seinerzeit noch die Schule besucht hatte, intendiert gewesen. Die Voraussetzungen des § 19 EStG und damit auch des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG lägen daher nicht vor; an diesem Ergebnis ändere auch der Umstand nichts, dass nach schweizerischen Zivilrecht die vom Schädiger geschuldete "Genugtuung" nach einem hypothetischen Arbeitsverhältnis zu berechnen sei.

7
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil des FG vom 03.01.2019 - 3 K 1497/18 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 06.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 04.05.2018 mit der Maßgabe zu ändern, dass die der Klägerin gewährte Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € nicht als steuerbare Einkünfte (Entschädigung für entgehende Einnahmen i.S. der §§ 19, 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) angesetzt wird und die bislang als Werbungskosten behandelten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.

8
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
II.
9
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die der Klägerin im Streitjahr zugeflossene Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € steuerbar ist. Die von der Klägerin getragenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € sind als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

10
1. Zu den Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 EStG gehören auch Entschädigungen, die gewährt worden sind als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG).

11
a) Bei den Einnahmen, deren Ausfall ersetzt werden soll, muss es sich um steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen handeln; sie müssen --hypothetisch, aber auch eindeutig-- einer bestimmten Einkunftsart (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG) unterfallen. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG schafft keine eigene Einkunftsart; Leistungen, die nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen ersetzen sollen, sind auch nicht nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbar. Kommen mehrere Einkunftsarten in Betracht oder kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entschädigung auch als Ersatz für entgangene nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen gewährt worden sein könnte, ist die Vorschrift nicht anwendbar (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12.09.1985 - VIII R 306/81, BFHE 145, 320, BStBl II 1986, 252; vom 09.01.2018 - IX R 34/16, BFHE 260, 440, BStBl II 2018, 582; vom 20.07.2018 - IX R 25/17, BFHE 262, 143, BStBl II 2020, 186; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 19. Aufl., § 24 Rz 3; Blümich/Fischer, § 24 EStG Rz 2a).

12
b) Nach der zu inländischen Sachverhalten ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dem Grunde nach in Betracht, wenn der Steuerpflichtige infolge einer schuldhaften Körperverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit erleidet, für die der Schädiger Ersatzleistungen erbringt. Dies gilt indes nur im Hinblick auf Zahlungen, die nach Maßgabe der Bestimmungen des § 842 BGB einen Erwerbs- und Fortkommensschaden ausgleichen sollen; Leistungen, mit denen andere schadensbedingte Folgen ausgeglichen werden (Arzt- und Heilungskosten, verletzungsbedingte Mehraufwendungen, Schmerzensgeld), fallen von vornherein nicht unter die Vorschrift (BFH-Urteile vom 21.01.2004 - XI R 40/02, BFHE 205, 129, BStBl II 2004, 716; vom 11.10.2017 - IX R 11/17, BFHE 259, 529, BStBl II 2018, 706, und in BFHE 262, 143, BStBl II 2020, 186). Aber auch soweit Leistungen des Schädigers zivilrechtlich einen Erwerbs- und Fortkommensschaden des Geschädigten ausgleichen sollen, ist stets zu prüfen, ob die Zahlung unmittelbar dazu dient, diesen Schaden durch den Ersatz steuerbarer und steuerpflichtiger Einnahmen zu ersetzen (BFH-Urteil vom 08.08.1986 - VI R 28/84, BFHE 147, 370, BStBl II 1987, 106); das bedeutet, dass zwischen Entschädigung und entgangenen Einnahmen eine kausale Verknüpfung bestehen muss (BFH-Urteil vom 21.08.1990 - VIII R 17/86, BFHE 162, 62, BStBl II 1991, 76; Mellinghoff in Kirchhof, a.a.O., § 24 Rz 3). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist der Ersatz des Erwerbs- und Fortkommensschadens ebenso steuerfrei wie die durch ihn ersetzten Leistungen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 262, 143, BStBl II 2020, 186, zur Entschädigung wegen Erwerbsunfähigkeit bei Arbeitslosigkeit). Bei der insoweit vorzunehmenden tatrichterlichen Gesamtwürdigung kommt sowohl den Vereinbarungen der Beteiligten, deren Auslegung (§§ 133, 157 BGB) wie auch den weiteren Umständen des Einzelfalles Indizwirkung zu (vgl. BFH-Urteil in BFHE 262, 143, BStBl II 2020, 186).

13
c) § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erfasst auch Entschädigungen, die nicht vom Schädiger, sondern von dritter Seite, z.B. von einer Versicherung geleistet werden, wenn der leistende Dritte dem Geschädigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteil vom 12.07.2016 - IX R 33/15, BFHE 254, 568, BStBl II 2017, 158).

14
2. Zu Unrecht hat das FG angenommen, dass es sich bei der streitigen Versicherungsleistung schon deshalb um eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1a EStG handele, weil sie den Erwerbs- und Fortkommensschaden der Klägerin habe ausgleichen sollen "und damit als Ersatz für entgehende Einnahmen gewährt wurde". Auch die Würdigung des FG, die Steuerbarkeit der Versicherungsleistung nach § 24 Nr. 1a EStG folge aus den insoweit getroffenen vertraglichen Vereinbarungen der Beteiligten, die die Ersatzleistung ausdrücklich als "Verdienstausfall" bezeichnet hätten, hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

15
a) Das FG hat in diesem Zusammenhang schon nicht berücksichtigt, dass die der Klägerin gewährte Versicherungsleistung nicht nach den rechtlichen Maßstäben des bundesdeutschen Zivilrechts, sondern nach Schweizer Recht gewährt und bemessen wurde (vgl. hierzu Art. 46, 47 des Bundesgesetzes betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches - Fünfter Teil: Obligationenrecht vom 30.03.1911, SR 220, sowie die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Hilfe an Opfer von Straftaten vom 23.03.2007, SR 312.5). Die vom FG angewandte Rechtsvorschrift des § 842 BGB wäre überdies dahin zu verstehen, dass jeder Einsatz der Arbeitskraft, mit der eine sonst am Markt nur gegen Entgelt erhältliche Dienstleistung erbracht wird, als Vermögensschaden zu werten ist, der vom Schädiger zu ersetzen ist; vor diesem Hintergrund entstünde ein (abstrakter) Erwerbs- und Fortkommensschaden nach inländischem Rechtsverständnis auch dann, wenn der Geschädigte überhaupt nicht beabsichtigt, einen Beruf zu ergreifen, oder über eine derartige Absicht noch nicht entscheiden konnte oder aber aus altruistischen Motiven eine Tätigkeit ohne Entgelt anstrebt (Staudinger/Vieweg, BGB, § 842 Rz 146, 148). In jedem dieser Einzelfälle wäre im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu prüfen, ob eine Zahlung des Schädigers unmittelbar dazu dient, diesen Vermögensschaden durch den Ersatz steuerbarer und steuerpflichtiger Einnahmen auszugleichen. Dabei ist zu beachten, dass bei Verletzungen im Kindesalter etwaige Prognosen, ob und gegebenenfalls welche Erwerbstätigkeit der Geschädigte aufgenommen hätte, ohnehin mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und daher --so auch im Streitfall-- rein spekulativ sind.

16
Nicht berücksichtigt ist ferner, dass eine auf Ersatzansprüche entfallende steuerliche Belastung, wie sie das FG im angefochtenen Urteil angenommen hat, nach inländischem Rechtsverständnis ihrerseits einen Schaden darstellen kann, den der Geschädigte gegen den Schädiger geltend zu machen berechtigt ist (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 10.04.1979 - VI ZR 151/75, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1979, 1501, m.w.N.; vgl. auch FG Baden-Württemberg vom 20.11.2017 - 10 K 3494/15, Entscheidungen der Finanzgerichte 2018, 217, rechtskräftig; Staudinger/Vieweg, BGB, § 842 Rz 146, 57, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund wäre nicht ohne weiteres --d.h. jedenfalls nicht ohne konkrete, dahin gehende tatrichterliche Feststellungen-- davon auszugehen, dass ein geschädigter Steuerpflichtiger eine Leistung als (hinreichenden) "Ersatz für entgehende Einnahmen" angenommen habe, wenn über den Ersatz des "Steuerschadens" keine vertragliche Vereinbarung (sog. "Bruttoabfindungsvereinbarung") mit dem Schädiger getroffen wurde.

17
Nicht hinreichend geprüft hat das FG überdies, ob zwischen Entschädigung (nach eidgenössischem Recht) und entgangenen steuerbaren Einnahmen aus einer bestimmten Einkunftsart ein kausaler Zusammenhang besteht. Steht einem im Kindesalter geschädigten Steuerpflichtigen nach dem insoweit einschlägigen (nationalen) Schadenersatzrecht auch der Ersatz eines solchen (abstrakten) Erwerbs- und Fortkommensschadens zu --etwa weil ohne konkrete Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein junger Mensch auf Dauer seine Möglichkeiten, gewinnbringend tätig zu sein, nicht nutzen und ohne Einkünfte bleiben wird (vgl. BGH-Urteil vom 14.01.1997 - VI ZR 366/95, NJW 1997, 937)-- und wird damit im Ergebnis lediglich eine dem Geschädigten entzogene Chance, sich ein Erwerbsleben aufzubauen, im Wege der Schadensregulierung entgolten (zu Einzelheiten im deutschen Recht vgl. Staudinger/Vieweg, BGB, § 842 Rz 21, 41), kann --entgegen der Auffassung des FG-- aus einem im Rahmen dieser Regulierung erforderlichen prognostizierten Verlauf eines rein hypothetischen Erwerbslebens grundsätzlich weder auf eine bestimmte Einkunftsart (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG) noch auf die Steuerbarkeit der hierbei lediglich abstrakt unterstellten Einkünfte geschlossen werden. Es fehlt insoweit schon an einer bestimmten (d.h. möglichen) Einkunfts- bzw. Erwerbsquelle der Klägerin und mithin auch an der erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen (Blümich/Fischer, § 24 EStG Rz 13; Horn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 24 EStG Rz 33). Diese Grundsätze sind auch auf die im Streitfall nach ausländischem Recht gewährte Entschädigung entsprechend anzuwenden.

18
b) Da das Urteil des FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, kann es keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.

19
Nach den den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG im angefochtenen Urteil stand die im Schädigungszeitpunkt 12 Jahre alte Klägerin in keinem Arbeitsverhältnis; sie hat altersbedingt auch weder ein Ausbildungs- noch ein Arbeits- oder irgendwie geartetes Erwerbsverhältnis angestrebt. Nicht feststellen konnte das FG demgegenüber, dass sich die Beteiligten im Rahmen der Schadensregulierung auf den Ersatz eines der Klägerin durch die mögliche Festsetzung von Steuern auf die Ersatzleistung entstehenden Steuernachteils geeinigt hätten. Vor diesem Hintergrund können die Vereinbarungen der an der Schadensregulierung Beteiligten --trotz der Bezeichnung der der Klägerin gewährten Versicherungsleistung als "Verdienstausfall"-- nicht schlüssig dahin gedeutet werden, dass damit Ersatz für steuerbare inländische Einnahmen aus einer konkreten --d.h. bestimmten oder jedenfalls hinreichend bestimmbaren-- Einkunftsquelle (i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG) gezahlt werden sollte. Vielmehr stellt der der Klägerin zugeflossene, für eine rein hypothetische Erwerbstätigkeit gezahlte "Verdienstausfall" lediglich Ersatz für die der Klägerin genommene Möglichkeit, sich überhaupt für ein Erwerbsleben zu entscheiden oder ein solches anzustreben, dar. Es fehlt hiernach an der nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG erforderlichen kausalen Verknüpfung zwischen der nach Schweizer Recht gewährten Entschädigung und entgangenen steuerbaren Einnahmen.

20
3. Die von der Klägerin für ihre anwaltliche Vertretung aufgewendeten Kosten in Höhe von 57.110 € sind als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG zu berücksichtigen.

21
a) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes, wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG, sog. außergewöhnliche Belastung). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Die Kosten einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung sind zwangsläufig, wenn diese existenziell wichtige, lebensnotwendige Bereiche berührt (§ 33 Abs. 2 Satz 4 EStG).

22
b) Nach diesen Maßstäben sind die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung mit der Versicherungsgesellschaft des Schädigers als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Denn nach den Feststellungen des FG ist die unter irreversiblen geistigen und körperlichen Folgeschäden leidende Klägerin zeitlebens auf fremde Hilfe angewiesen. Der mit der Versicherungsgesellschaft ausgehandelte Vergleich diente in diesem Zusammenhang dazu, die Kosten dieser notwendigen Hilfe und damit die weitere Existenz der Klägerin wirtschaftlich abzusichern.

23
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Quelle: Rechtsprechung im Internet - Entscheidungssuche
 
Hallo,

danke für die Einstellung!

Ich habe zur Ergänzung noch die Vorinstanz:

Landesrecht online Rheinland-Pfalz

Quelle:



Gericht:Finanzgericht Rheinland-Pfalz 3. Senat
Entscheidungsdatum:03.01.2019
Streitjahr:2015
Aktenzeichen:3 K 1497/18
Dokumenttyp:Urteil


Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand


1
Streitig ist die Steuerbarkeit einer Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €.
2
Die Klägerin, geboren am 28. Juli 1991, wurde am 20. Dezember 2003 Opfer eines schweren Unfalls in der Schweiz und leidet seitdem unter irreversiblen Folgeschäden (Grad der Behinderung 100 % mit Merkzeichen G und H). Nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit der Versicherungsgesellschaft des Schädigers erhielt die Klägerin verschiedene Leistungen, u.a. zur Abgeltung des „Haushaltsschadens“ (317.878 €), des „Betreuungsschadens“ (885.490 €) und eines „Rentenminderungsschadens“ (85.200 €).
3
Außerdem erhielt die Klägerin eine als „Verdienstausfall“ bezeichnete Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €, die ihre Steuerberaterin in der Einkommensteuererklärung für 2015 als steuerpflichtige Einnahme nach §§ 19, 24 Nr.1a EStG erklärte und dazu Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als Werbungskosten geltend machte. Mit der Steuererklärung legte ihre Steuerberaterin ein Schreiben des Rechtsanwalts … (an Herrn Steuerberater …) vom 15. Mai 2015 vor, in dem Folgendes ausgeführt wird:
4
Er vertrete die Klägerin und ihren Vater zur Regulierung der ihnen zustehenden Schadensersatzansprüche aufgrund des in der Schweiz erlittenen schweren Unfalles infolge eines Frontalzusammenstoßes, welcher vom Fahrer eines in Italien zugelassenen und versicherten Lkw verursacht worden sei. Bezüglich beider Mandanten sei das Schmerzensgeld (in der Schweiz: „Genugtuung“) und der Sachschaden bereits erledigt. Zu erledigen sei noch der Lohnausfallschaden für beide Mandanten sowie Betreuungskosten und Haushaltsschaden-Ersatzleistungen für die infolge des Unfalls schwerbehinderte Klägerin, welche künftig keinerlei Arbeitseinkommen mehr erzielen könne. Der „Haushaltsschaden“ sei ein Schaden, den die Geschädigte ersetzt erhalte, um lebenslang eine Hilfskraft für 2 Stunden Haushaltsarbeit täglich entlohnen zu können. Das gleiche gelte für den „Betreuungsschaden“. Mit diesem Entschädigungsbetrag könne die Klägerin lebenslang eine Betreuungsperson finanzieren. Für den eigentlichen „Erwerbsausfallschaden“ für die Zeit ab 28. Juli 2011 bis Alter 67 seien 695.174 € berechnet und vereinbart worden, für den kapitalisierten Rentenschaden ab Alter 67 lebenslang 85.200 €, insgesamt somit für Erwerbsausfall lebenslang 780.294 €.
5
Der Beklagte führte die Veranlagung mit Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 6. April 2017 erklärungsgemäß durch, wobei er die Entschädigungsleistung nach § 34 Abs. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung unterwarf.
6
Dagegen legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 28. April 2017 Einspruch ein. Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2017, mit dem ein Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 AO gestellt wurde, machten sie geltend, in Höhe von 695.094 € sei die Versicherungsleistung nicht steuerbar. Der „Erwerbsausfallschaden“ sei in Orientierung an einen fiktiven Nettolohn in Höhe von 30.180 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 20. bis 50. Lebensjahr sowie 35.000 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 51.b bis 67. Lebensjahr geleistet worden. Die Leistung sei nicht im Zusammenhang mit einer real existierenden Erwerbstätigkeit der seinerzeit zwölfjährigen Klägerin gezahlt worden, sondern im Rahmen der „Genugtuung“ nach schweizerischem Zivilrecht. Die Leistung stelle damit eine Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzleistung dar. Eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG liege nur vor, wenn das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis beendet werde bzw. wenn die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretenden Ersatzleistungen auf einer neuen Rechtsgrundlage oder einer Billigkeitsgrundlage beruhten. Rechtsprechung und herrschende Literatur setzten somit ein bestehendes Arbeitsverhältnis mit Einkünften im Sinne des § 19 EStG voraus, welches beendet werde. Im vorliegenden Fall habe zum Zeitpunkt des Unfalls kein Arbeitsverhältnis vorgelegen, die Voraussetzungen des § 19 EStG und damit auch des § 24 Nr. 1a EStG lägen daher nicht vor. Infolgedessen seien die 57.110 € Rechtsanwaltskosten nicht weiter als Werbungskosten abzugsfähig, allerdings als Folgekosten des schweren Unfalls als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
7
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
8
Am 30. Mai 2018 hat die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten per Telefax “gegen den Einkommensteuerbescheid des Beklagten für 2015 (AZ…) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.5.2018“ Klage erhoben, eine Begründung der Klage angekündigt und als Anlage (nur) die erste Seite der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 übersandt. Auch dem am 4. Juni 2018 bei Gericht eingegangenen Original der Klageschrift war als Anlage nur die Seite 1 der Einspruchsentscheidung beigefügt.
9
Mit der Eingangsbestätigung des Gerichts vom 6. Juni 2018 wurden die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, bis 4. Juli 2018 gemäß § 65 Abs. 1 FGO den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen und die Klage zu begründen.
10
Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist forderte das Gericht die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 11. Juli 2018 unter Setzung einer Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO auf, bis zum 13. August 2018 den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Auf die Folgen einer Fristversäumnis wurde hingewiesen. Gleichzeitig wurden die Prozessbevollmächtigten aufgefordert, innerhalb gleicher Frist die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich die Klägerin beschwert fühlt (§ 79b Abs. 1 FGO). Auch hier erfolgte ein Hinweis auf die Folgen einer Fristversäumung. Die Verfügung wurde den Prozessbevollmächtigten am 13. Juli 2018 zugestellt.
11
Mit Telefax vom 21. August 2018 übersandten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ihre Klagebegründung. Sie wiederholen ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und tragen ergänzend vor, nur wenn die Ersatzleistungen aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis resultierten, stellten sie über § 24 Nr. 1a EStG Einkünfte im Sinne des § 19 EStG dar. Ein hypothetisches Arbeitsverhältnis reiche nicht aus. Nur dieses Ergebnis sei gesetzeskonform und gerecht. Niemand könne ausschließen, dass ein zwölfjähriges Mädchen, dem durch den unverschuldeten Unfall die Möglichkeit genommen werde, selbst Einkünfte zu erzielen, in seinem späteren Leben beispielsweise steuerfreie oder nicht steuerbare Einkünfte in der gezahlten Höhe erzielt hätte.
12
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 6. April 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 dahingehend zu ändern, dass die Zahlung an die Klägerin in Höhe von 695.094 € nicht als Einkünfte nach § 24 Nr. 1a EStG qualifiziert wird und die bislang als Werbungskosten behandelten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
13
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
14
Er übersandte die den Streitfall betreffende Steuerakte (mit Schreiben vom 28. September 2018) und wies darauf hin, dass das Urteil des BFH vom 9. Januar 2018 (IX R 34/16, BFHE 260,440), auf das das Gericht mit Schreiben vom 23. August 2018 hingewiesen habe (Blatt 28f. der Gerichtsakte), im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei. Dem BFH-Urteil habe insofern ein anderer Sachverhalt zu Grunde, als es dort auch um die Frage der Einheitlichkeit verschiedener Ersatzleistungen bei der steuerlichen Behandlung gegangen sei. Aus den im Veranlagungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergebe sich jedoch, dass neben der streitbefangenen als Verdienstausfall bezeichneten Entschädigung noch weitere nicht steuerpflichtige Schadensersatzleistungen von der Versicherung gezahlt worden seien. Außerdem sei ein Rentenminderungsschaden ersetzt worden, der unstreitig mit dem Ertragsanteil als sonstige Einkünfte zu versteuern sei. Nach den vorliegenden Unterlagen sei die Verdienstausfallsentschädigung eindeutig als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen aus einem (fiktiven) Arbeitsverhältnis gewährt worden. Im Übrigen werde noch auf das beim BFH anhängige Verfahren mit dem Aktenzeichen IX R 25/17 verwiesen.
15
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet (siehe Niederschrift vom 29. November 2018, Blatt 53f. der Gerichtsakte).

Entscheidungsgründe
16
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne (erneute) mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
17
Dabei kann offenbleiben, ob die Klage bereits wegen fehlender Bezeichnung des Klagebegehrens unzulässig ist, denn sie ist jedenfalls unbegründet.
18
Nach § 24 Nr. 1a i.V.m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Erleidet ein Steuerpflichtiger infolge einer schuldhaften Körperverletzung (§ 823 Abs. 1 i.V.m. den §§ 842 ff. BGB) eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit, kommt eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG nur im Hinblick auf Zahlungen in Betracht, die zivilrechtlich den Erwerbs- und Fortkommensschaden (§ 842 BGB) ausgleichen sollen. Nur insoweit wird Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen geleistet. Beträge mit denen Ersatz für Arzt- und Heilungskosten oder andere verletzungsbedingte Mehraufwendungen oder Schmerzensgeld geleistet werden soll, fallen von vornherein nicht unter die Vorschrift (zuletzt BFH-Urteil vom 20. Juli 2018 IX R 25/17, BFHE 262, 143, m.w.N.). Bei den Einnahmen, deren Ausfall ersetzt werden soll, muss es sich um steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen handeln; sie müssen (hypothetisch) einer bestimmten Einkunftsart (§ 2 Abs. 2 EStG) unterfallen. § 24 Nr. 1a EStG schafft keine eigene Einkunftsart. Leistungen, die nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen ersetzen sollen, sind (auch) nicht nach § 24 Nr. 1a EStG steuerbar. Kommen mehrere Einkunftsarten in Betracht oder kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entschädigung auch als Ersatz für entgangene nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen gewährt worden sein könnte, ist die Vorschrift nicht anwendbar (BFH-Urteil vom 20. Juli 2018 IX R 25/17, a.a.O.).
19
Leistet der Schädiger Ersatz für Verdienstausfall, weil er davon ausgeht, dass der Geschädigte bei ungestörtem Verlauf (alsbald) wieder eine Anstellung gefunden hätte, unterfällt die Zahlung § 24 Nr. 1a EStG, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart in Betracht kommt (ebenda). Unerheblich ist, dass mangels Vertrags noch keine gesicherte Erwartung auf bestimmte Einnahmen bestand. Nicht nur der Ersatz für „entgangene“, sondern auch für (zukünftig) „entgehende“ Einnahmen wird von § 24 Nr. 1a EStG erfasst. Es kommt für die Besteuerung auch nicht darauf an, wie wahrscheinlich die Erzielung der (weggefallenen) Einnahmen bei objektiver Betrachtung war (ebenda). Maßgeblich ist, dass der Schädiger sie als hinreichend wahrscheinlich erachtet und deshalb Ersatz für zukünftigen Verdienstausfall geleistet hat. Beruht die Leistung auf einer Vereinbarung, muss im Zweifel durch Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände, die zum Zustandekommen der Vereinbarung geführt haben, ermittelt werden, ob der Schädiger den zukünftigen Verdienstausfall oder z.B. nur den Schaden ersetzen wollte, der darin besteht, dass der Anspruch auf steuerfreie Sozialleistungen weggefallen ist.
20
§ 24 Nr. 1a EStG erfasst auch Entschädigungen, die nicht vom Schädiger, sondern von dritter Seite, z.B. von einer Versicherung geleistet werden, wenn der leistende Dritte dem Geschädigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist (ebenda).
21
Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze handelt es sich bei der streitigen Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € um eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG, weil sie zivilrechtlich den Erwerbs- und Fortkommensschaden (§ 842 BGB) ausgleichen sollte und damit als Ersatz für entgehende Einnahmen gewährt wurde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass diese Versicherungsleistung ausdrücklich als „Verdienstausfall“ bezeichnet wurde und zusätzlich zu den anderen (ebenfalls) konkret bezeichneten Ersatzleistungen („Haushaltsschaden“ 317.878 €, „Betreuungsschaden“ 885.490 € und „Rentenminderungsschaden“ 85.200 €) gezahlt wurde. Außerdem haben sowohl Herr Rechtsanwalt … als auch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin erklärt, dass die streitige Versicherungsleistung das in der Zeit vom 28. Juli 2011 bis zum 67. Lebensjahr fiktiv erzielte Erwerbseinkommen ersetzen sollte. Den Ausführungen von Herrn Rechtsanwalt …. ist außerdem zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Lohnausfallschaden nicht als Teil des Schmerzensgeldes gesehen wurde. In seinem Schreiben (an Herrn Steuerberater …) vom 15. Mai 2015 führte er nämlich aus, dass von den der Klägerin und ihrem Vater zustehenden Schadensersatzansprüchen das Schmerzensgeld (in der Schweiz: „Genugtuung“) und der Sachschaden bereits erledigt seien. Zu erledigen sei noch der Lohnausfallschaden für beide Mandanten sowie Betreuungskosten und Haushaltsschaden-Ersatzleistungen.
22
Dass die Klägerin noch nie in einem Arbeitsverhältnis stand und demnach auch noch nie einen Anspruch auf Arbeitslohn hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der BFH hat in seinem Urteil vom 9. Januar 2018 (IX R 34/16, BFHE 260, 440, BStBl II 2018, 582) zwar ausgeführt, eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen setze begrifflich voraus, dass ein Anspruch auf Einnahmen begründet gewesen und weggefallen sei. Diese Aussage lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass jemand, der noch nie in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1a i.V.m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erhalten könne. Nach dem Urteil des BFH vom 20. Juli 2018 (IX R 25/17, a.a.O.) ist es nämlich unerheblich, wenn mangels Arbeitsvertrag noch keine gesicherte Erwartung auf bestimmte Einnahmen besteht. Maßgeblich ist nach Auffassung des BFH nur (ebenda), dass der Schädiger die Einnahmen (= das künftige Erwerbseinkommen) als hinreichend wahrscheinlich erachtet und deshalb Ersatz für zukünftigen Verdienstausfall geleistet hat. Dies ist – wie oben bereits dargelegt – hier der Fall, weil der Klägerin das in der Zeit vom 28. Juli 2011 bis zum 67. Lebensjahr fiktiv erzielte Erwerbseinkommen ersetzt werden sollte.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
24
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
 
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