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OLG Hamm 20. Zivilsenat 17.03.1993
20 U 360/92
Einbeziehung neuer Versicherungsbedingungen in einen laufenden Versicherungsvertrag
1. Ein Versicherer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, im Rahmen eines laufenden Versicherungsvertrages seinem Versicherungsnehmer die Einbeziehung neuer (hier: AUB 88) anstelle der ursprünglich vereinbarten AVB anzubieten. Dies gilt auch nach Abgabe einer geschäftsplanmäßigen Erklärung durch die der Versicherer angekündigt hat, die Bestände "bei sich bietender Gelegenheit" umzustellen.
Gründe
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Unfallversicherung in Anspruch.
Der Versicherungsvertrag wurde im Jahre 1979 unter Einbeziehung der AUB 61 geschlossen. Mit Wirkung ab 01.04.1982 wurde ein Ersatzvertrag geschlossen, der u.a. eine Dynamisierungsvereinbarung hinsichtlich der Versicherungssummen enthielt.
Am 25.07.1991 erlitt der Kläger einen Unfall und büßte dabei die Sehkraft seines linken Auges ein. Die Beklagte entschädigte diesen Versicherungsfall gemäß § 8 II Abs. 2 c AUB 61 in Höhe von 27.900,00 DM (30 % der Invaliditätssumme von 93.000,00 DM).
Mit der Klage begehrt der Kläger die Zahlung weiterer 18.600,00 DM. Er bezieht sich auf § 7 I Abs. 2 a AUB 88, wonach als fester Invaliditätsgrad für den Verlust eines Auges 50 % der Invaliditätssumme anzunehmen sind. Er vertritt die Auffassung, der Beklagten habe es im Rahmen ihrer vertraglichen Fürsorgepflichten oblegen, ihn darauf hinzuweisen, daß ab 1988 die neuen Versicherungsbedingungen im Leistungsbereich für den Versicherungsnehmer wesentliche Verbesserungen - so insbesondere für den Verlust eines Auges - gebracht hätten. Insoweit verweist er auf die Veröffentlichung des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (BAV) zur Einführung der AUB 88 (VerBAV 1987, 417 ff.), in der es u.a. heißt:
"Mit den Genehmigungsanträgen zur Geschäftsplanmäßigen Verwendung der AUB 88 ist folgende geschäftsplanmäßige Erklärung abzugeben:
1. Wir werden in der Allgemeinen Unfallversicherung künftig nur noch die AUB 88 (bzw. die Besonderen und Zusatz-Bedingungen in der an die AUB 88 angeglichenen Fassung) verwenden und die Bestände bei sich bietender Gelegenheit umstellen, jedoch nicht ohne schriftliches Einverständnis des Versicherungsnehmers.
..."
Die Beklagte verweigert weitere Zahlungen. Sie meint, dem Kläger gegenüber nicht verpflichtet gewesen zu sein, während der Laufzeit des Versicherungsvertrages die Einbeziehung der neuen AUB 88 anstelle der ursprünglich vereinbarten AUB 61 anzubieten.
Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete zulässige Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Die Beklagte hat den Kläger ausreichend entschädigt.
1. Die AUB 88 und damit auch deren § 7 I Abs. 2 a, aufgrund dessen der Kläger die erhöhte Entschädigungsleistung für den Verlust seines linken Auges beansprucht, sind nicht Bestandteil des zwischen den Parteien geschlossenen Unfallversicherungsvertrages geworden.
Vertragsinhalt wird die bei Abschluß des jeweiligen Versicherungsvertrages gültige Fassung der AVB (BGH VersR 1955, 481; Prölss-Martin, VVG, 25. Aufl., Vorbem. Anm. I 6 B b m.w.N.). Unstreitig sind bei Vertragsschluß im Jahre 1979 die AUB 61 vereinbart worden. Daran hat sich auch beim Abschluß des Ersatzvertrages im Jahre 1982 nichts geändert.
Die Einbeziehung seitens des Versicherers geänderter Allgemeiner Versicherungsbedingungen in laufende Versicherungsverträge setzt als Vertragsänderung eine vertragliche Vereinbarung voraus. Eine solche ist unstreitig nicht erfolgt.
Von der Möglichkeit, die Geltung der AUB 88 auch für laufende Versicherungsverträge verbindlich anzuordnen (vgl. § 81 a S. 2 VAG und die VO über die Anwendung Allgemeiner Versicherungsbedingungen von 1940) hat das BAV keinen Gebrauch gemacht.
Daß die Tatsache der Veröffentlichung der Neufassung der AUB durch das BAV (VerBAV 1987, 417, 418 ff) eine unmittelbare Auswirkung auf das Vertragsverhältnis der Parteien gehabt hat, behauptet auch der Kläger mit Recht nicht (vgl. OLG Saarbrücken VersR 1989, 245, 246 - Revision des dortigen Klägers vom BGH nicht angenommen). Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick auf die vom BAV geforderte Geschäftsplanmäßige Erklärung der Unfallversicherer (VerBAV 1987, 417). Bereits der letzte Halbsatz verdeutlicht, daß bei laufenden Versicherungsverträgen eine Umstellung nur auf vertraglicher Grundlage gemäß § 305 BGB erfolgen soll (vgl. auch § 41 Abs. 3 S. 1 VAG).
2. Die Beklagte hat sich dem Kläger auch nicht wegen positiver Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig gemacht, indem sie ihm nach Einführung der AUB 88 ab 01.02.1988 eine Einbeziehung dieser neuen Bedingungen in das Versicherungsverhältnis anstelle der ursprünglich vereinbarten AUB 61 nicht angeboten hat.
a) Grundsätzlich ist ein Versicherer, der während der Laufzeit eines Vertrages neue AVB einführt, nicht verpflichtet, den Versicherungsnehmer auf die AVB-Änderung hinzuweisen und sich ggfs. auf die Einbeziehung der neuen AVB in den Vertrag einzulassen (OLG Saarbrücken a.a.O., Prölss-Martin, a.a.O., Vorbem. I 6 B b, e m.w.N.; kritisch Voit VersR 1989, 834). Dies gilt auch unter Berücksichtigung des im Versicherungsvertragsrecht in besonderem Maße Beachtung verlangenden Grundsatzes von Treu und Glauben jedenfalls dann, wenn die nunmehr mögliche Vertragsänderung für den Versicherten nicht ausschließlich, sondern nur per Saldo günstiger ist, die neuen AVB also auch Verschlechterungen, nicht zuletzt auch in der Prämienbemessung, enthalten (vgl. OLG Hamburg VersR 1988, 620; Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl. K IV Rdn. 9, 10).
Danach läßt sich im Streitfall eine Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine Auswechselung der Versicherungsbedingungen anzubieten, nicht feststellen. Der Versicherungsvertrag lief noch bis zum 01.04.1992. Selbst wenn man die Vereinbarung einer 1O-Jahres-Vertragsdauer für unzulässig halten wollte (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1991, 989; weitere Nachweise bei Prölss-Martin a.a.O., § 8 VVG Anm. 9), war der Vertrag mangels Kündigungserklärung des Klägers zum Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles jedenfalls noch nicht beendet. Ob die Einschätzung des Klägers, die AUB 88 stellten alles in allem eine Verbesserung des Versicherungsschutzes dar, zutreffend ist, ist bereits zweifelhaft, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Eindeutig ist, daß die Neufassung der AVB nicht ausschließlich für den Versicherungsnehmer günstiger ist. Dies wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
b) Ob und inwieweit eine andere Beurteilung geboten ist, wenn die Vertragsparteien Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung führen (vgl. BGH VersR 1982, 37; Martin a.a.O. K I Rdn. 9 ff), bedarf im vorliegenden Fall keiner Erörterung. Durch die aufgrund der vereinbarten Dynamik regelmäßig vorgenommenen Vertragsänderungen in Form von Erhöhungen der Versicherungssummen ist eine Vertragsverlängerung nämlich nicht vereinbart worden.
c) Auch die von der Beklagten mit ihrem Genehmigungsantrag zur geschäftsplanmäßigen Verwendung der AUB 88 vom 01.12.1987 dem BAV gegenüber abgegebene Geschäftsplanmäßige Erklärung, die wörtlich der vom BAV (VerBAV 1987, 417) geforderten Geschäftsplanmäßigen Erklärung entspricht, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Diese Geschäftsplanmäßige Erklärung hat im Verhältnis der Parteien keine vertragliche Verpflichtung der Beklagten begründet, anläßlich der nach Einführung der AUB 88 anstehenden Vertragsänderungen aufgrund der Dynamik-Vereinbarung die nunmehrige Geltung der neuen AVB anstelle der AUB 61 anzubieten. Die Geschäftsplanmäßige Erklärung ist eine an das Aufsichtsamt gerichtete Erklärung, durch die Versicherungsunternehmen Verpflichtungen gegenüber der vom Aufsichtsamt vertretenen Allgemeinheit übernehmen.
Nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 1988, 1063, 1065; 1976, 383, 384) können sie allerdings auch Rückwirkungen auf das private Versicherungsverhältnis haben. Inwieweit der einzelne Versicherungsnehmer ein eigenes Recht auf Beachtung der Geschäftsplanmäßigen Erklärung erwirbt, ist entsprechend den in § 328 Abs. 2 BGB genannten Kriterien zu beurteilen. Bei dieser Prüfung kommt dem Umstand, daR die Geschäftsplanmäßige Erklärung im Amtsblatt (VerBAV) veröffentlicht ist, besondere Bedeutung zu. Dadurch wird deutlich, daß die Geschäftsplanmäßige Erklärung nicht nur das Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Aufsichtsamt betrifft, sondern auch für Dritte von rechtlicher Bedeutung sein kann. Danach kann durch eine Geschäftsplanmäßige Erklärung mit unmittelbarer Wirkung rechtsgestaltend in das Rechtsverhältnis zwischen Versicherer und versicherten Personen eingegriffen, d.h. Rechte (auf Seiten der Versicherten) können begründet oder (auf Seiten der Versicherer) genommen werden.
Vom BGH nicht entschieden ist bisher, ob und inwieweit durch Geschäftsplanmäßige Erklärungen auch unmittelbar vertragliche Nebenpflichten (Aufklärungs- und Hinweispflichten) für einen Versicherer begründet werden können. Zumindest im Streitfall ist dies zu verneinen. Weder der Regelungsgehalt noch der Wortlaut der Geschäftsplanmäßigen Erklärung ergibt, daß damit unmittelbar vertragliche Verpflichtungen der Beklagten gegenüber ihren Vertragspartnern im Rahmen bereits bestehender Versicherungsverträge begründet werden sollen. Die Forderung des BAV nach Abgabe der in Rede stehenden Geschäftsplanmäßigen Erklärung bringt lediglich das öffentlich-rechtliche Interesse des Aufsichtsamtes an der zukünftigen Verwendung möglichst einheitlicher AVB in der Unfallversicherungssparte und den einzelnen Unfallversicherungsunternehmen zum Ausdruck. Die Aufsichtsbehörden haben wiederholt betont, daß sie, um Unklarheit und Unübersichtlichkeit - namentlich im Wettbewerb - zu verhindern, großen Wert auf die weitgehende Einheitlichkeit der AVB legen (vgl. die Nachweise bei Prölss, VAG, 10. Aufl., § 10 VAG Rdn. 8). Die hier von den Unfallversicherern verlangte Geschäftsplanmäßige Erklärung ist dementsprechend auch nicht etwa eine Besonderheit gerade im Hinblick auf die Einführung der AUB 88. Gleichlautende Geschäftsplanmäßige Erklärungen werden vielmehr bei Geschäftsplanänderungen in Form neuer AVB von den Versicherern üblicherweise abgegeben (vgl. z.B. VerBAV 1974, 106, 115 betr. VHB 74; VerBAV 1984, 279, 288 betr. VHB 84; VerBAV 1987, 330, 395 betr. AFB 87, AERB 87, AWB 87, AStB 87; VerBAV 1989, 68, 79 betr. VGB 88). Daß das BAV darauf hinwirkt, Änderungen der AVB auch den Altverträgen zugute kommen zu lassen, indem den Versicherungsnehmern eine Umwandelung der Verträge "bei sich bietender Gelegenheit" anzubieten ist, ist lediglich ein Reflex der allgemeinen Versicherungsaufsicht, die den Interessen der Versicherten in ihrer Gesamtheit dient. Die Verpflichtungsformulierung, wonach "die Bestände bei sich bietender Gelegenheit" umgestellt werden, ist auch erkennbar allein an das BAV, das diese Erklärung gefordert hatte, gerichtet. Auch nicht ansatzweise wird deutlich, daß die Beklagte sich durch eine derartige, kaum hinreichend konkretisierte Erklärung ("sich bietende Gelegenheit") unter Eingehung der Gefahr, sich ggfs. ihren Vertragspartnern gegenüber schadensersatzpflichtig zu machen, unmittelbar vertragliche Nebenpflichten in einer Vielzahl von bereits bestehenden Versicherungsverträgen hat übernehmen wollen (im Ergebnis ebenso: OLG Hamburg VersR 1988, 620 zum Wechsel der VHB 66 zu den VHB 74). Die Versicherten können sich deshalb zivilrechtlich nicht auf die Geschäftsplanmäßige Erklärung stützen, sondern sich allenfalls wegen einer etwaigen Nichteinhaltung des Geschäftsplans an die Aufsichtsbehörde wenden, die ihrerseits nach § 81 VAG gegen den Versicherer vorgehen kann (vgl. Prölss a.a.0., § 5 VAG Rdn. 24).
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Von einer Zulassung der Revision hat der Senat abgesehen, da die Voraussetzungen des § 546 Abs. 1 nicht gegeben sind. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht erkennbar.
Gruß von der Seenixe