Siegfried21
Erfahrenes Mitglied
Hallo,
Quelle:
Oberlandesgericht Köln, 5 U 26/11 v.13.07.2011
Vorinstanz: Landgericht Köln, 36 O 71/10
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.12.2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 36. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 36 O 71/10 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger wei-tere 1.617,02 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.2.2010 zuzüglich außergerichtlicher Kosten in Höhe von 603,93 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.6.2010 zu zahlen.
Wegen der Zinsmehrforderung wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Kosten erster Instanz werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten tragen der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zu 11 % als Gesamtschuldner, die Beklagten zu 1) und zu 2) zu 47 % als Gesamtschuldner und die Beklagte zu 1) zu weiteren 42 % allein.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten zu 1) und zu 2) zu 47 % als Gesamtschuldner und die Beklagte zu 1) zu weiteren 42 % allein. Die außergerichtlichen Kosten der Widerbeklagten zu 2) trägt die Beklagte zu 1) zu 80 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zu 11 % als Gesamtschuldner. Im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2), findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 18 % den Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldnern und zu weiteren 82 % der Beklagten zu 1) allein auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
I.
Der Kläger und die Beklagte zu 1) verlangen im Wege von Klage und Widerklage Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 22.1.2010 in M. ereignete. Der Kläger befuhr mit seinem bei der Widerbeklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW W. die C.-straße. Die Beklagte zu 1) setzte mit ihrem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW N. rückwärts aus einer Parktasche auf die C.-straße, um in Fahrtrichtung des Klägers weiter zu fahren. Der PKW des Klägers stieß mit der vorderen rechten Fahrzeugecke gegen die linke Seite des Hecks des PKW der Beklagten zu 1).
Der Kläger hat behauptet, sein Fahrzeug habe sich bereits in unmittelbarer Nähe der Parktasche befunden, als die Beklagte zu 1) rückwärts aus dieser herausgefahren sei. Mit der Klage hat er einen der Höhe nach unstreitigen Sachschaden von 8.085,12 € zuzüglich 603,93 € vorgerichtlicher Anwaltskosten ersetzt verlangt. Die Beklagte zu 1) hat behauptet, dass sich der PKW des Klägers in einer Entfernung von 85 bis 100 m befunden habe, als sie rückwärts auf die C.-straße gefahren sei. Sie sei dann wegen einer rot zeigenden Ampel und eines Rückstaus langsam in die beabsichtigte Fahrtrichtung angefahren und sei gerade an der nun freien Parkbox vorbei gefahren gewesen, als es zum Zusammenstoß gekommen sei. Mit der Klage hat sie Ersatz des ihr unstreitig bereits entstandenen Schadens von 8.137,38 €, Feststellung der Ersatzpflicht und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 775,64 € begehrt.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen V. T. und O. D., die Beifahrer in den am Unfall beteiligten Fahrzeugen waren. Daraufhin hat es eine Haftungsquote der Beklagten zu 1) von 80 % und des Klägers von 20 % zugrunde gelegt und unter Abweisung von Klage und Widerklage im Übrigen die Beklagten zur Zahlung von 6.468,10 € sowie den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zur Zahlung von 1.627,48 € verurteilt. Ferner hat es die Verpflichtung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) festgestellt, 20 % des weiteren Schadens der Beklagten zu 1) zu erstatten. Da der genaue Unfallhergang aufgrund widersprüchlicher Zeugenaussagen und mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen für ein Gutachten nicht aufzuklären sei, sei von einem Verstoß der Beklagten zu 1) gegen die erhöhte Sorgfaltspflicht beim Einfahren auf die Fahrbahn auszugehen. Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten bestünden nicht, da kein Verzug vorgelegen habe.
Mit ihren Berufungen verfolgen die Beklagte zu 1) und der Kläger ihre Widerklage- und Klageantrage insoweit weiter, als sie vom Landgericht abgewiesen worden sind. Die Verurteilungen auf Klage und Widerklage sind dagegen nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Beklagte zu 1) rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts. Der Aussage des Zeugen D. habe der Vorrang gebührt, weil die Bekundungen der Zeugin T. widersprüchlich seien. Außerdem habe es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten seien verzugsunabhängig zu ersetzen. Der Kläger macht vor allem geltend, dass die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs vollständig hinter dem Verschulden der Beklagten zu 1) zurückstehe.
II.
Die Berufung des Klägers ist begründet, während das Rechtsmittel der Beklagten zu 1) keinen Erfolg hat.
Der Kläger kann von den Beklagten gemäß § 7 Abs. 1 StVG über den vom Landgericht zuerkannten Betrag hinaus die Zahlung weiterer 1.617,02 € zuzüglich 603,93 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen. Der Beklagten zu 1) stehen die mit der Berufung geltend gemachten Ersatzansprüche nicht zu.
1. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 2 StVG führt zu einer Haftungsquote von 100 % zu Lasten der Beklagten. Aufgrund eines Beweises des ersten Anscheins ist von einem Verschulden der Beklagten zu 1), nämlich jedenfalls einem sorgfaltswidrigen Verhalten beim Anfahren vom Fahrbahnrand (§ 10 StVO), auszugehen, während auf Seiten des Klägers nur die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu berücksichtigen ist. Der Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht beim Anfahren vom Fahrbahnrand wiegt so schwer, dass dahinter regelmäßig die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurücktritt. Gründe, die gleichwohl die vom Landgericht angenommene 20 prozentige Mithaftung des Klägers rechtfertigen würden, sind nicht erkennbar.
Das Verschulden der Beklagten zu 1) ist nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins zu vermuten. Wer vom Fahrbahnrand anfahren will, hat sich dabei gemäß § 10 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die gleiche Sorgfaltspflicht trifft einen Verkehrsteilnehmer gemäß § 9 Abs. 5 StVO beim Rückwärtsfahren. Da sich der Zusammenstoß der Fahrzeuge nach dem Vortrag beider Parteien räumlich noch im Bereich der Parkbox ereignete, spricht der erste Anschein für ein Verschulden der Beklagten zu 1). Diese Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erschüttert.
Das Landgericht hat in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass es keinen Grund gibt, der den Vortrag der Beklagten zu 1) bestätigenden Aussage des Zeugen D., nach der das Fahrzeug des Klägers bei Beginn des Rückwärtssetzens des PKW N. noch in einer dies gefahrlos zulassenden Entfernung gewesen sein soll, den Vorzug vor den Bekundungen der Zeugin T. zu geben. Diese hat erklärt, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 1) plötzlich und ruckartig aus einer rechts gelegenen Parkbucht rückwärts auf die Fahrbahn gesetzt worden sei. Sie hätten sich zu diesem Zeitpunkt nur in einem Abstand von ein paar Metern zu diesem Fahrzeug befunden. Der Kläger habe noch kurz gebremst, aber den Aufprall nicht vermeiden können. Das andere Fahrzeug habe zum Zeitpunkt des Aufpralls noch nicht in ihre Fahrtrichtung gestanden. Die andere Fahrerin sei gerade im Begriff gewesen, nach vorne zu fahren. Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) ist es nicht widersprüchlich, wenn die Zeugin T. zum einen bekundet hat, das andere Fahrzeug habe noch nicht in ihre Fahrtrichtung gestanden, zum anderen aber erklärt hat, die andere Fahrerin sei im Begriff gewesen, nach vorne zu fahren. Ein Fahrzeug, welches rückwärts aus einer Parkbucht gesetzt worden ist, kann ohne weiteres aus einer gewissen Schrägstellung nach vorne angefahren werden.
Für die von der Beklagten zu 1) beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zwecks umfassender Rekonstruktion des Unfalls fehlt es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen. Von den Schadensgutachten mit Lichtbildern der beschädigten PKW abgesehen fehlt es an objektiven Grundlagen, insbesondere an einer Unfallskizze. Der nach Ansicht der Beklagten zu 1) von einem Sachverständigen aus den Lichtbildern ermittelbare Winkel der Fahrzeuge zu einander ist für die Würdigung der Zeugenaussagen und die Frage des Verschuldens der Beklagten zu 1) ohne Bedeutung. Selbst wenn der PKW der Beklagten zu 1) im Zeitpunkt des Zusammenstoßes vollständig in Fahrrichtung des Klägers gestanden haben sollte, würde dies die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin T. nicht erschüttern. Auch bei vollständiger Ausrichtung des PKW der Beklagten zu 1) in Fahrrichtung kann dieser zeitlich unmittelbar vor dem Zusammenstoß, ohne dass ein ausreichender Abstand zum sich annähernden Fahrzeug des Klägers bestand, auf die Fahrbahn zurückgesetzt worden sein. Welche genaue Ausrichtung ein zurückgesetzter PKW hat – exakt in Fahrrichtung oder noch etwas schräg – wird ein von einem Zusammenstoß überraschter Unfallzeuge kaum sicher wahrnehmen können.
Ein in die Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellendes Verschulden des Klägers, etwa eine bei gehöriger Aufmerksamkeit gegebene, den Unfall vermeidende Reaktionsmöglichkeit auf das vom Fahrbahnrand anfahrende Fahrzeug der Beklagten zu 1), kann bei dieser Sachlage nicht festgestellt werden.
2. Dem Kläger stehen bei einem unstreitigen Sachschaden von 8.085,12 € (Reparaturkosten: 6.853,40 €; Wertminderung: 450 €; Sachverständigenkosten: 756,72 €; Kostenpauschale: 25 €) über den vom Landgericht zuerkannten Betrag von 6.468,10 € weitere 1.617,02 € zu.
Die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten von 603,93 € haben die Beklagten ebenfalls zu ersetzen. Da sie aus Gefährdungshaftung Schadensersatz schulden und die der Höhe nach unstreitigen Anwaltskosten einen ersatzfähigen Schadensposten darstellen, kommt es auf die vom Landgericht aufgeworfene und verneinte Frage, ob schon vor Beauftragung der Bevollmächtigten des Klägers Verzug bestand, nicht an.
Die Zinsentscheidung folgt aus § 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagten sind mit Ablauf der im anwaltlichen Schreiben des Klägers vom 29.1.2010 gesetzten Frist in Verzug geraten. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten fehlt es allerdings an einer Mahnung, so dass dem Kläger insoweit Verzugszinsen erst ab Rechtshängigkeit (18.6.2010) zustehen.
3. Der Beklagten zu 1) stehen die mit der Berufung weiter verfolgten Schadensersatzansprüche mangels einer Haftung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) dem Grunde nach nicht zu. Soweit das Landgericht der Beklagten zu 1) 1.627,48 € zuerkannt und eine Ersatzpflicht von 20 % des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) festgestellt hat, bleibt es bei dem insoweit nicht angefochtenen Urteil.
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.
Berufungsstreitwert: 8.926,92 € (Berufung des Klägers: 1.617,02 €; Berufung der Beklagten zu 1: 6.509,90 € + 800 € für den im Berufungsverfahren anhängigen Teil des Feststellungsantrags)
Grüße
Siegfried21
Alleinige Haftung bei rückwärtigem Anfahren aus Parktasche!
Das Verschulden der Beklagten zu 1) ist nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins zu vermuten. Wer vom Fahrbahnrand anfahren will, hat sich dabei gemäß § 10 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die gleiche Sorgfaltspflicht trifft einen Verkehrsteilnehmer gemäß § 9 Abs. 5 StVO beim Rückwärtsfahren. Da sich der Zusammenstoß der Fahrzeuge nach dem Vortrag beider Parteien räumlich noch im Bereich der Parkbox ereignete, spricht der erste Anschein für ein Verschulden der Beklagten zu 1). Diese Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erschüttert.
Quelle:
Oberlandesgericht Köln, 5 U 26/11 v.13.07.2011
Vorinstanz: Landgericht Köln, 36 O 71/10
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 21.12.2010 verkündete Urteil des Einzelrichters der 36. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 36 O 71/10 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger wei-tere 1.617,02 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.2.2010 zuzüglich außergerichtlicher Kosten in Höhe von 603,93 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.6.2010 zu zahlen.
Wegen der Zinsmehrforderung wird die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Beklagten zu 1) wird zurückgewiesen.
Die Kosten erster Instanz werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten tragen der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zu 11 % als Gesamtschuldner, die Beklagten zu 1) und zu 2) zu 47 % als Gesamtschuldner und die Beklagte zu 1) zu weiteren 42 % allein.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten zu 1) und zu 2) zu 47 % als Gesamtschuldner und die Beklagte zu 1) zu weiteren 42 % allein. Die außergerichtlichen Kosten der Widerbeklagten zu 2) trägt die Beklagte zu 1) zu 80 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen der Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zu 11 % als Gesamtschuldner. Im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2), findet eine Erstattung außergerichtlicher Kosten nicht statt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden zu 18 % den Beklagten zu 1) und zu 2) als Gesamtschuldnern und zu weiteren 82 % der Beklagten zu 1) allein auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
I.
Der Kläger und die Beklagte zu 1) verlangen im Wege von Klage und Widerklage Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 22.1.2010 in M. ereignete. Der Kläger befuhr mit seinem bei der Widerbeklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW W. die C.-straße. Die Beklagte zu 1) setzte mit ihrem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW N. rückwärts aus einer Parktasche auf die C.-straße, um in Fahrtrichtung des Klägers weiter zu fahren. Der PKW des Klägers stieß mit der vorderen rechten Fahrzeugecke gegen die linke Seite des Hecks des PKW der Beklagten zu 1).
Der Kläger hat behauptet, sein Fahrzeug habe sich bereits in unmittelbarer Nähe der Parktasche befunden, als die Beklagte zu 1) rückwärts aus dieser herausgefahren sei. Mit der Klage hat er einen der Höhe nach unstreitigen Sachschaden von 8.085,12 € zuzüglich 603,93 € vorgerichtlicher Anwaltskosten ersetzt verlangt. Die Beklagte zu 1) hat behauptet, dass sich der PKW des Klägers in einer Entfernung von 85 bis 100 m befunden habe, als sie rückwärts auf die C.-straße gefahren sei. Sie sei dann wegen einer rot zeigenden Ampel und eines Rückstaus langsam in die beabsichtigte Fahrtrichtung angefahren und sei gerade an der nun freien Parkbox vorbei gefahren gewesen, als es zum Zusammenstoß gekommen sei. Mit der Klage hat sie Ersatz des ihr unstreitig bereits entstandenen Schadens von 8.137,38 €, Feststellung der Ersatzpflicht und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 775,64 € begehrt.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen V. T. und O. D., die Beifahrer in den am Unfall beteiligten Fahrzeugen waren. Daraufhin hat es eine Haftungsquote der Beklagten zu 1) von 80 % und des Klägers von 20 % zugrunde gelegt und unter Abweisung von Klage und Widerklage im Übrigen die Beklagten zur Zahlung von 6.468,10 € sowie den Kläger und die Widerbeklagte zu 2) zur Zahlung von 1.627,48 € verurteilt. Ferner hat es die Verpflichtung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) festgestellt, 20 % des weiteren Schadens der Beklagten zu 1) zu erstatten. Da der genaue Unfallhergang aufgrund widersprüchlicher Zeugenaussagen und mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen für ein Gutachten nicht aufzuklären sei, sei von einem Verstoß der Beklagten zu 1) gegen die erhöhte Sorgfaltspflicht beim Einfahren auf die Fahrbahn auszugehen. Ansprüche auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten bestünden nicht, da kein Verzug vorgelegen habe.
Mit ihren Berufungen verfolgen die Beklagte zu 1) und der Kläger ihre Widerklage- und Klageantrage insoweit weiter, als sie vom Landgericht abgewiesen worden sind. Die Verurteilungen auf Klage und Widerklage sind dagegen nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Beklagte zu 1) rügt die Beweiswürdigung des Landgerichts. Der Aussage des Zeugen D. habe der Vorrang gebührt, weil die Bekundungen der Zeugin T. widersprüchlich seien. Außerdem habe es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurft. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten seien verzugsunabhängig zu ersetzen. Der Kläger macht vor allem geltend, dass die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs vollständig hinter dem Verschulden der Beklagten zu 1) zurückstehe.
II.
Die Berufung des Klägers ist begründet, während das Rechtsmittel der Beklagten zu 1) keinen Erfolg hat.
Der Kläger kann von den Beklagten gemäß § 7 Abs. 1 StVG über den vom Landgericht zuerkannten Betrag hinaus die Zahlung weiterer 1.617,02 € zuzüglich 603,93 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen. Der Beklagten zu 1) stehen die mit der Berufung geltend gemachten Ersatzansprüche nicht zu.
1. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 2 StVG führt zu einer Haftungsquote von 100 % zu Lasten der Beklagten. Aufgrund eines Beweises des ersten Anscheins ist von einem Verschulden der Beklagten zu 1), nämlich jedenfalls einem sorgfaltswidrigen Verhalten beim Anfahren vom Fahrbahnrand (§ 10 StVO), auszugehen, während auf Seiten des Klägers nur die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu berücksichtigen ist. Der Verstoß gegen die besondere Sorgfaltspflicht beim Anfahren vom Fahrbahnrand wiegt so schwer, dass dahinter regelmäßig die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Unfallgegners zurücktritt. Gründe, die gleichwohl die vom Landgericht angenommene 20 prozentige Mithaftung des Klägers rechtfertigen würden, sind nicht erkennbar.
Das Verschulden der Beklagten zu 1) ist nach den Grundsätzen über den Beweis des ersten Anscheins zu vermuten. Wer vom Fahrbahnrand anfahren will, hat sich dabei gemäß § 10 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Die gleiche Sorgfaltspflicht trifft einen Verkehrsteilnehmer gemäß § 9 Abs. 5 StVO beim Rückwärtsfahren. Da sich der Zusammenstoß der Fahrzeuge nach dem Vortrag beider Parteien räumlich noch im Bereich der Parkbox ereignete, spricht der erste Anschein für ein Verschulden der Beklagten zu 1). Diese Vermutung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht erschüttert.
Das Landgericht hat in nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass es keinen Grund gibt, der den Vortrag der Beklagten zu 1) bestätigenden Aussage des Zeugen D., nach der das Fahrzeug des Klägers bei Beginn des Rückwärtssetzens des PKW N. noch in einer dies gefahrlos zulassenden Entfernung gewesen sein soll, den Vorzug vor den Bekundungen der Zeugin T. zu geben. Diese hat erklärt, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 1) plötzlich und ruckartig aus einer rechts gelegenen Parkbucht rückwärts auf die Fahrbahn gesetzt worden sei. Sie hätten sich zu diesem Zeitpunkt nur in einem Abstand von ein paar Metern zu diesem Fahrzeug befunden. Der Kläger habe noch kurz gebremst, aber den Aufprall nicht vermeiden können. Das andere Fahrzeug habe zum Zeitpunkt des Aufpralls noch nicht in ihre Fahrtrichtung gestanden. Die andere Fahrerin sei gerade im Begriff gewesen, nach vorne zu fahren. Entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1) ist es nicht widersprüchlich, wenn die Zeugin T. zum einen bekundet hat, das andere Fahrzeug habe noch nicht in ihre Fahrtrichtung gestanden, zum anderen aber erklärt hat, die andere Fahrerin sei im Begriff gewesen, nach vorne zu fahren. Ein Fahrzeug, welches rückwärts aus einer Parkbucht gesetzt worden ist, kann ohne weiteres aus einer gewissen Schrägstellung nach vorne angefahren werden.
Für die von der Beklagten zu 1) beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zwecks umfassender Rekonstruktion des Unfalls fehlt es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen. Von den Schadensgutachten mit Lichtbildern der beschädigten PKW abgesehen fehlt es an objektiven Grundlagen, insbesondere an einer Unfallskizze. Der nach Ansicht der Beklagten zu 1) von einem Sachverständigen aus den Lichtbildern ermittelbare Winkel der Fahrzeuge zu einander ist für die Würdigung der Zeugenaussagen und die Frage des Verschuldens der Beklagten zu 1) ohne Bedeutung. Selbst wenn der PKW der Beklagten zu 1) im Zeitpunkt des Zusammenstoßes vollständig in Fahrrichtung des Klägers gestanden haben sollte, würde dies die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin T. nicht erschüttern. Auch bei vollständiger Ausrichtung des PKW der Beklagten zu 1) in Fahrrichtung kann dieser zeitlich unmittelbar vor dem Zusammenstoß, ohne dass ein ausreichender Abstand zum sich annähernden Fahrzeug des Klägers bestand, auf die Fahrbahn zurückgesetzt worden sein. Welche genaue Ausrichtung ein zurückgesetzter PKW hat – exakt in Fahrrichtung oder noch etwas schräg – wird ein von einem Zusammenstoß überraschter Unfallzeuge kaum sicher wahrnehmen können.
Ein in die Abwägung der Verursachungsbeiträge einzustellendes Verschulden des Klägers, etwa eine bei gehöriger Aufmerksamkeit gegebene, den Unfall vermeidende Reaktionsmöglichkeit auf das vom Fahrbahnrand anfahrende Fahrzeug der Beklagten zu 1), kann bei dieser Sachlage nicht festgestellt werden.
2. Dem Kläger stehen bei einem unstreitigen Sachschaden von 8.085,12 € (Reparaturkosten: 6.853,40 €; Wertminderung: 450 €; Sachverständigenkosten: 756,72 €; Kostenpauschale: 25 €) über den vom Landgericht zuerkannten Betrag von 6.468,10 € weitere 1.617,02 € zu.
Die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten von 603,93 € haben die Beklagten ebenfalls zu ersetzen. Da sie aus Gefährdungshaftung Schadensersatz schulden und die der Höhe nach unstreitigen Anwaltskosten einen ersatzfähigen Schadensposten darstellen, kommt es auf die vom Landgericht aufgeworfene und verneinte Frage, ob schon vor Beauftragung der Bevollmächtigten des Klägers Verzug bestand, nicht an.
Die Zinsentscheidung folgt aus § 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagten sind mit Ablauf der im anwaltlichen Schreiben des Klägers vom 29.1.2010 gesetzten Frist in Verzug geraten. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten fehlt es allerdings an einer Mahnung, so dass dem Kläger insoweit Verzugszinsen erst ab Rechtshängigkeit (18.6.2010) zustehen.
3. Der Beklagten zu 1) stehen die mit der Berufung weiter verfolgten Schadensersatzansprüche mangels einer Haftung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) dem Grunde nach nicht zu. Soweit das Landgericht der Beklagten zu 1) 1.627,48 € zuerkannt und eine Ersatzpflicht von 20 % des Klägers und der Widerbeklagten zu 2) festgestellt hat, bleibt es bei dem insoweit nicht angefochtenen Urteil.
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind ausschließlich solche des Einzelfalls.
Berufungsstreitwert: 8.926,92 € (Berufung des Klägers: 1.617,02 €; Berufung der Beklagten zu 1: 6.509,90 € + 800 € für den im Berufungsverfahren anhängigen Teil des Feststellungsantrags)
Grüße
Siegfried21