• Herzlich Willkommen beim Forum für Unfallopfer, der größten Gemeinschaft für Unfallopfer im deutschsprachigen Raum.
    Du besuchst unser Forum gerade als Gast und kannst die Inhalte von Beiträgen vieler Foren nicht lesen und so leider nützliche Funktionen nicht nutzen.
    Klicke auf "Registrieren" und werde kostenlos Mitglied unserer Gemeinschaft, damit du in allen Foren lesen und eigene Beiträge schreiben kannst.

Frankreich verbietet statistische Auswertungen von richterlichen Entscheidungen

seenixe

Super-Moderator
Mitarbeiter
Registriert seit
31 Aug. 2006
Beiträge
8,877
Ort
Berlin
Frankreich verbietet statistische Auswertungen von richterlichen Entscheidungen – bis zu fünf Jahre Gefängnis gibt es für jeden, der gegen das neue Gesetz verstößt.

Das Problem an neuen Methoden und Erkenntnisquellen ist, dass diese Tatsachen zu Tage fördern können, die nicht immer allen Beteiligten gefallen. Das Streben nach Wissen und Erkenntnis deshalb aber zu verbieten, ist spätestens nach der Aufklärung in einem demokratischen Rechtsstaat eher fernliegend. Eigentlich.

Frankreich hat nun kürzlich ein Gesetz zur Reform der Justiz erlassen. Dessen Art. 33 hat Sprengkraft und international für Aufsehen gesorgt. Er lautet wörtlich:

"Les données d'identité des magistrats et des membres du greffe ne peuvent faire l'objet d'une réutilisation ayant pour objet ou pour effet d'évaluer, d'analyser, de comparer ou de prédire leurs pratiques professionnelles réelles ou supposées."

Auf Deutsch übersetzt lautet das in etwa:

"Die Identitätsdaten von Richtern und Angehörigen der Justiz dürfen nicht mit dem Ziel oder der Wirkung der Bewertung, Analyse, des Vergleichs oder der Vorhersage ihrer tatsächlichen oder angeblichen Berufspraktiken wiederverwendet werden."

Anschließend folgt ein Verweis auf mehrere Normen des französischen Strafgesetzbuches, die im Ergebnis einen Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Gefängnis festlegen. Fünf. Jahre. Gefängnis.

Der französische Staat droht somit seinen Bürgern mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe, wenn diese öffentlich verfügbare Informationen in einer bestimmten Art und Weise auswerten, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Dies losgelöst davon, ob dies aus kommerziellen oder wissenschaftlichen Gründen geschieht oder einfach nur um zum Spaß herauszufinden, ob man überhaupt etwas findet.
Angst vor "Predictive Analytics"?

Die nun in Frankreich für richterliche Entscheidungen strafrechtlich verbotene Methode wird seit einiger Zeit unter dem Begriff "Predictive Analytics" diskutiert. Dabei geht es - vereinfacht gesagt - um das Erkennen von Mustern.

Ziel dieser Methode ist es, durch statistische Auswertung wiederkehrende Muster in den Daten zu erkennen. Aufbauend auf diesen Mustern können dann bisher verdeckte Unregelmäßigkeiten oder andere Probleme erkannt werden. Oder das Muster wird auf die Zukunft angewendet, um eine Vorhersage in Form einer Wahrscheinlichkeit zu treffen. Diese Wahrscheinlichkeit beschreibt dann im Ergebnis eine Korrelation zwischen zwei oder mehreren Ereignissen. Dabei bedeutet Korrelation nicht Kausalität. Die Auswertung der Daten zeigt nur, ob – und nicht warum – bestimmte Zusammenhänge bestehen. Somit ist dies eine rein statistische und unter anderem keine juristische Methode.


Stehen wir nun auch bald unter staatlicher Kontrolle?
Wird Deutschland dem Beispiel von Frankreich folgen?
 
Hallo seenixe,

ich bin geschockt! Geht sowas in Frankreich - im Land der Streiks und angebl. Demokratie?

Unsere Justiz wird begeistert sein!

Sicher gibt es in D auch rechtsbewußte Richter ;-) ich hoffe es !

Ratlose Grüße
Aramis
 
Hallo seenixe,

dieses Gesetz ist in Deutschland nicht notwendig, da es ohnehin keine Auswertung bzw. Statistiken über die Art der Urteile und deren Gemeinsamkeiten gibt. Mir ist zumindest keine Statistik bekannt.

Wobei die Franzosen schon öfter mit solch gearteten Gesetzen in der Vergangenheit konfrontiert und dieses Problem dann mit einem Kraftakt beseitigt haben. Also abwarten, was demnächst passiert.

Herzliche Grüße vom RekoBär :)
 
Hallo Rekobär,
dann lies mal dieses:
Eine Version erzählt der französische Anwalt Michäel Benesty: Dieser hat in seiner Freizeit zusammen mit einem befreundeten Experten für Maschinelles Lernen ein Tool entwickelt, das französische Rechtsprechung auswerten kann. Dabei seien beiden enorme Unausgewogenheiten aufgefallen, wenn es um die Rechte von Ausländern und vor allem Asylbewerbern ging. So hätten an ein und denselben Gerichten einige Richter fast alle Anträge auf Asyl abgelehnt, während ihre Kollegen fast alle Anträge angenommen hätten.

Eine vernünftige Erklärung für diese Diskrepanzen konnte der Jurist nach eigenen Angaben nicht finden - außer dass die Richter jeweils nicht das Gesetz, sondern womöglich ihre persönliche Weltanschauung zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht haben.

Die beiden haben ihr Experiment nicht für sich behalten, sondern das Tool für jedermann zum Testen und Überprüfen kostenlos ins Internet gestellt. Die Ergebnisse ihrer Auswertung wurden zudem in einem Aufsatz veröffentlicht. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Artikels ging in Frankreich der öffentliche Aufschrei los. Insbesondere die französische Justiz war pas amusé. Der Art. 33 des französischen Justizreformgesetzes ist nach Ansicht von Michäel Benesty nun die Antwort auf diese Ereignisse.

Verbot nicht auf maschinelle Auswertung beschränkt

Das Gesetz verbietet ausdrücklich nicht die Veröffentlichung der Namen der Richter. Dies ist nur für die Namen der Parteien vorgesehen. Die Urteile werden also vom Staat bewusst mit den Namen der Richter veröffentlicht, anschließend darf man aber diese Namen nicht verwenden, um die Urteile und die daraus erstellten Auswertungen zuzuordnen.

Demgegenüber zulässig wäre aber wahrscheinlich die Auswertung nach Spruchkörpern. Dies kann für Fälle, in denen regelmäßig alle Mitglieder eines Spruchkörpers gemeinsam entscheiden, noch relevante Erkenntnisse hervorbringen. Wenn die Entscheidungen aber innerhalb eines Spruchkörpers immer auf den Einzelrichter übertragen werden und diese jeweils unterschiedlich entscheiden, werden die Ergebnisse einer statistischen Auswertung des Spruchkörpers bis zur Unbrauchbarkeit verwässert.

Interessanterweise knüpft das französische Gesetz das Verbot der Auswertung nicht an eine maschinelle Vorgehensweise. Wenn also ein Rechtsanwalt in Frankreich händisch mehrere Urteile zu einem bestimmten Themenkomplex ausdruckt, eigenhändig liest und dann seinem Mandanten eine Bewertung einzelner Richter zukommen lässt, steht dieser ab sofort auch mit einem Bein im Gefängnis.

Nichts anderes machen wir aber mit Urteilen, Gerichten, Gutachtern auch.

Gruß von der Seenixe
 
Hallo Seenixe,

das glaube ich schon. Allerdings sind die Franzosen anders gestrickt, als wir. Besonders empfindlich reagieren die Franzosen, wenn man von Seiten der Regierung versucht, sie einzuschränken. Das kann dann für die Verantwortlichen auch schon mal mit der Giutine enden, wie die Geschichte zeigt.

Ich gehe mal davon aus, dass das Tool der Rechtsanwälte voraussetzt, dass es eine Statistik der Ergebnisse der Gerichtsurteile gibt. So etwas wird in Deutschland meines Wissens zumindest nicht öffentlich gemacht. Insofern könnte man das Tool bei uns ohnehin nicht anwenden.

Herzliche Grüße vom RekoBär :)

PS: Deinen letzten Satz hatte ich glatt überlesen. Natürlich können im kleineren Rahmen Urteile im Zusammenhang mit bestimmten Richtern, Gutachtern usw. gesammelt werden, die dann ausgewertet, bestimmte Schlüsse zulassen. Das hat ja letztendlich auch zu einer erfolgreichen Ablehnung von Prof. C. geführt. Aber das ist eine Gemeinschaftsarbeit von verschiedenen Betroffenen, da es meines Wissens keine offiziell veröffentlichte Urteilsstatistiken gibt.
 
hallo in die runde,

das ist ein sehr interessanter beitrag! die anmerkungen von @Rekobär treffen zwar (zumindest offfiziell) zu, aber wer die statistikwut im öD kennt, hat da auch seine bedenken. correctiv.org hatte sich vor einiger zeit mal an einer entsprechenden auswertung versucht und musste wegen fehlender zuordnungsmöglichkeiten scheitern. nach m.E. gibt es allerdings intern entsprechende listen in so ziemlich jeder behörde.

das ganze gibt - so oder so - sehr zu denken. bei einer nation, die wegen einer brotpreiserhöhung von wenigen pfennigen auf die strasse geht eigentlich kaum vorstellbar, dass dieses gesetz überhaupt verabschiedet wurde.

@seenixe - hast du dazu die quelle parat? und dann bei passender gelegenheit (und möglichkeit) ist dieses tool einmal zu testen ... (für interessierte: https://github.com/ELS-RD/anonymisation).


gruss

Sekundant
 
Top