"BSG-Krankengeld-Falle" - endlich die Sensation !

Kommentar II

.

Eine ausreichende Klärung ist unterblieben. Damit ist der vom BSG mit Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11, aufgestellte Grundsatz verletzt, „dass schon im Ansatz zwischen der ärztlichen Feststellung der AU als Voraussetzung des Krg-Anspruchs(vgl § 46 S 1 Nr 2 SGB V; § 4 Abs 2 AU-RL), der Bescheinigung der ärztlich festgestellten AU (vgl § 6 AU-RL; zur Funktion vgl zB BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 20 mwN, stRspr) und der Meldung der AU (vgl hierzu § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) zu unterscheiden ist“.

Dabei ist dem 1. BSG-Senat bekannt, dass Arbeitsunfähigkeit regelmäßig für längere Zeit festgestellt aber nur für kürzere Zeiten bescheinigt wird. Mit Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11R, hat das Gericht beispielsweise die vertragsärztliche Pflicht erwähnt, AU-Bescheinigungen – unabhängig von der ärztlich festgestellten Dauer der AU – zeitlich einzugrenzen. Dies hängt mit den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (AU-RL) zusammen. Sie sind Bestandteil des Bundesmantelvertrages–Ärzte (BMV-Ä) zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einerseits und den Krankenkassen-Bundesverbänden andererseits.

Da die bindenden Regelungen der AU-RL mit den Voraussetzungen des Krankengeld-Anspruchs nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nicht harmonieren, befinden sich Ärzte in einem ständigen rechtlichen Konflikt zwischen der materiell-rechtlich relevanten Prognoseentscheidung der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und ihrer abweichenden nur formularmäßigen Bescheinigung.

Auch darüber ist der 1. BSG-Senat bestens informiert. Dies ergibt sich aus den Formulierungen in seinen Urteilen vom

10.05.22012, B 1 KR 20/11R: „Mit der Notwendigkeit einer ärztlichen, nicht unbedingt vertragsärztlichen Feststellung harmoniert, dass unbeschadet des § 91 Abs 6 SGB V die Regelungen in den AU-Richtlinien (RL) über den Zeitpunkt der AU-Feststellung und ihren retro- und prospektiven Feststellungszeitraum den leistungsrechtlichen Krg-Tatbestand nicht ausgestalten.“

10.05.2012, B 1 KR 19/11 R: „Die Regelung in § 6 AU-RL nimmt für sich in keiner Weise in Anspruch, die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen des Krg-Anspruchs zu konkretisieren oder gar zu modifizieren. Sie ist ungeeignet, pflichtwidrig falsche Vorstellungen von den gesetzlichen Voraussetzungen des Krg-Anspruchs oder von den Obliegenheiten Versicherter zur Wahrung ihrer Rechte zu erzeugen.“

26.06.2007, B 1 KR 8/07 R: „Deshalb ist aus dem vom LSG hervorgehobenen Gesichtspunkt, dass es die AU-Richtlinien zulassen, die ärztliche Bestätigung der weiteren AU am folgenden Montag nachzuholen, wenn die AU des Versicherten an einem Samstag endet (vgl Nr 16 der hier noch einschlägigen Fassung vom 3.9.1991 (BArbBl 11/1991 S 28) bzw § 5 Abs 4 der ab 1.1.2004 geltenden Fassung vom 1.12.2003 (BAnz 2004, 6501)), nichts Abweichendes herzuleiten.“

26.06.2007, B 1 KR 37/06 R: „Abgesehen davon, dass die AU-RL nur Vertragsärzte binden, § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aber keine vertragsärztliche AU-Feststellung verlangt (vgl BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 12 S 50 mwN), und dass die AU-RL im Range unter dem Gesetz stehen, fehlt dem Bundesausschuss auch die Kompetenz, die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs zu modifizieren. Denn § 92 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 7 SGB V ermächtigt den Bundesausschuss nur dazu, die "zur Sicherung der ärztlichen Versorgung ... über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten" erforderlichen Richtlinien, insbesondere über die "Beurteilung der Arbeitsfähigkeit", zu beschließen, nicht aber, die Voraussetzungen des Anspruchs auf Krg zu ändern.“

08.11.2005, B 1 KR 18/04 R: „Da BMV-Ä bzw EKV-Ä sowie AU-RL nur dasjenige wiederholen, was bereits aus § 275 SGB V herzuleiten ist, kommt es dabei nicht darauf an, ob - was die Klägerin in Zweifel zieht - die AU-RL auch für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung verbindlich sind. Entscheidend ist insoweit allein, dass aus den genannten Bestimmungen jedenfalls keine - hier von der Beklagten verletzte - Pflicht herzuleiten war, die zu Gunsten des Versicherten Beweiserleichterungen in einem von ihm gegen seine Krankenkasse angestrengten Leistungsstreit bewirken könnte.“

Außerdem machen die Krankenkassen den Ärzten rechtswidrige Vorgaben zur Beschränkung der AU-Bescheinigungsdauer (z. B. 14-tägig).

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen besagen daher grundsätzlich nichts über die Dauer der festgestellten (prognostizierten) Arbeitsunfähigkeit. Deswegen sind sie zwar in Form des Auszahlscheins geeignet, die nächste Überweisung des Krankengeldes zu begründen; als Grundlage für eine Begrenzung oder für den Wegfall des Anspruchs entbehren sie im Verwaltungsverfahren aber jeder rechtlichen Legitimation als geeignetes Beweismittel, § 21 SGB X, sowie zur Erfüllung des Untersuchungsgrundsatzes, § 20 SGB X. Dies gilt gleichermaßen für die Sachverhaltserforschung des Gerichts nach § 103 SGG i. V. mit § 106 SGG.


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Kommentar III

.
Mit seiner davon abweichenden Entscheidungspraxis macht der 1. BSG-Senat den Krankengeld-Anspruch in Wirklichkeit nicht von der nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V gesetzlich relevanten ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit“, sondern von Zufälligkeiten der AU-Bescheinigungs-Praxis abhängig.

Dabei ist der Gesetzeswortlaut absolut eindeutig: „Der Anspruch auf Krankengeld entsteht … im übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.“ Die Regelung erschien auch lange Jahre klar; es wurde davon ausgegangen, dass der Wortlaut den Sinn und Zweck der Vorschrift unverkürzt zum Ausdruck bringe, was durch ihre Entstehungsgeschichte bestätigt sei.

Durch diesen im Singular formulierten Gesetzeswortlaut ist gerade unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung eindeutig, dass im Falle einer Arbeitsunfähigkeit „ein“ Anspruch auf Krankengeld entsteht. Der Gesetzestext stellt auf den „einen“ Tag nach der „erstmaligen“ ärztlichen Feststellung der „zusammenhängenden“ Arbeitsunfähigkeit ab; er geht nicht von mehreren Ansprüchen auf mehrere Krankengelder und von mehreren Tagen, die auf mehrere Tage mehrerer ärztlicher Feststellungen mehrerer Arbeitsunfähigkeiten folgen, aus.

Entwicklungsgeschichte, Regelungssystem und –zweck stehen der über die Wortlaut- und Inhaltsgrenze des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V hinausgehenden Plural-Anwendung der Singular-Vorschrift des BSG durch Veränderung von „Anspruch“ in „Ansprüche“, „Tag“ in „Tage“, ärztliche „Feststellung“ in ärztliche „Feststellungen“ und „Arbeitsunfähigkeit“ in „Arbeitsunfähigkeiten“ mit dem daraus abgeleiteten Ergebnis entgegen, dass die Voraussetzungen des Krankengeld-Anspruchs für die Zeiträume zwischen den Arztbesuchen jeweils erneut zu erfüllen sind.

Für ein Verständnis, dass sich die Arbeitsunfähigkeit in mehrere Teil-Arbeitsunfähigkeiten entsprechend zufälligen Zeiträumen ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgliedern ließe und dementsprechend mehrere Ansprüche auf Krankengeld entstehen könnten, bietet sich ebenfalls kein Anhalt. Die Bestätigung fortbestehender Arbeitsunfähigkeit (Folgebescheinigung) stellt keine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit dar, sondern setzt eine solche frühere Feststellung voraus und korrigiert allenfalls die Prognose zur Dauer.

Dies verkennt der 1. BSG-Senat beharrlich.


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Kommentar IV

.
Jedenfalls gab es 2007 – nach 45 Jahren – keinen nachvollziehbaren Anlass dafür, mit BSG-Urteil vom 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, vom Singular-Wortlaut des Gesetzestextes zur Plural-Auslegung zu wechseln. Den Urteilsgründen ist dazu lediglich zu entnehmen, die Voraussetzungen des Krankengeld-Anspruchs müssten bei zeitlich befristeter Arbeitsunfähigkeits-Feststellung und dementsprechender Krankengeld-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt erneut festgestellt werden. Entgegen der Auffassung des LSG finde die Regelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V auch uneingeschränkt Anwendung, wenn es um eine Folge-AU aufgrund derselben Krankheit gehe.

Das BSG ging also weder auf die Inhaltsgrenze des Gesetzes noch auf die Entwicklungsgeschichte, das Regelungssystem oder den Regelungszweck ein. Sonst hätte es bemerken müssen, dass seiner Auslegung nicht nur der bereits erörterte Gesetzeswortlaut entgegensteht. Es konnte auch nicht darauf bauen, dass die Rechtsentwicklung zu den Karenztagen und die Karenztag-Diskussion in den Jahren 1960 / 1961 und 1988 für immer vergessen sind. Wer beides nachvollzieht - http://up.picr.de/20976822kj.pdf - kann erkennen, dass auch der Gesetzgeber zweifelsfrei von nur einem Karenztag vor Beginn des Krankengeldes ausgegangen ist und von zusätzlichen Karenztagen zu jeder Folge-AUB auf der Ebene der Legislative nie die Rede war.

Daraus ergibt sich zwingend, dass der Singular-Wortlaut des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V dessen Plural-Anwendung ausschließt. Im Übrigen hat der – gesetzwidrige – „Folge-AUB-Karenztag“ nicht die Verschiebung des Anspruchs um einen Tag zur Folge, sondern das Risiko seiner Vernichtung und einhergehend die Beendigung des damit verbundenen kostenfreien Krankenversicherungsschutzes. Solche nach Auffassung des BSG strikt mit nur restriktiven Ausnahmen herbeizuführenden Folgen beruhen ausschließlich auf seiner im Jahr 2007 insoweit vollendeten Rechtsprechung, sind im Verhältnis zur der mit ihr „geahndeten“ förmlichen Lappalie bei unbestritten weiterhin vorliegender Arbeitsunfähigkeit unverhältnismäßig und mit keiner der gängigen Auslegungstheorien bzw. Auslegungsmethoden mit dem Willen des Gesetzgebers weder allgemein zum Sozialrecht noch speziell zum Krankengeld-Recht in Einklang zu bringen.


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Kommentar V

Hallo Busch,

der Gesetzentwurf war am 06.02.2015 im Bundesrat, das Verfahren läuft.


Fortsetzung der Kommentare:

Dies sehen im Ergebnis auch die Sozialgerichte Trier, Mainz und Speyer sowie der 16. Senat des Landessozialgerichtes Nordrhein-Westfalen so. Unter Aufgabe früherer Rechtsprechung wurde abweichend vom BSG die Auffassung vertreten, durch § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB I sei das soziale Recht auf wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit normiert, der Krankengeld-Anspruch könne nur auf Grund einer gesetzlichen Grundlage eingeschränkt werden, § 31 SGB I, und bei der Auslegung der maßgeblichen Vorschriften sei sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden, § 2 Abs. 2 SGB I.

Für die Entstehung des Krankengeldanspruchs bedürfe es nur der ersten ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, danach bestehe der Anspruch so lange fort, wie objektiv AU wegen derselben Krankheit vorliege. Der Anspruch werde weder durch ein in der Bescheinigung angegebenes voraussichtliches Ende der AU noch durch das Datum des geplanten nächsten Arztbesuches begrenzt, sondern ende erst, wenn die Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr vorliegen, wobei Krankheit den Versicherten nahtlos arbeitsunfähig mache und mit ununterbrochenen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht jeweils ein neuer Versicherungsfall eintrete. Mit Folge-AU-Bescheinigungen werde die ursprünglich abgegebene Prognose ("voraussichtlich") lediglich konkretisiert und verlängert. Die „Bewilligungsabschnitt-Rechtsprechung des BSG“ sei – insbesondere im Hinblick auf die jeweils nachträgliche Krankengeld-Gewährung – nicht schlüssig. Auch eine Entscheidung der Krankenkasse - durch Bescheid oder durch Zahlung von Krankengeld – könne den Anspruch nicht enden lassen.

Zweckmäßigkeitserwägungen ließen keine andere Beurteilung zu. Das Gericht sei an gesetzliche Regelungen gebunden. Einschränkende Erfordernisse für die Entstehung oder den Fortbestand des einmal entstandenen Anspruch aufzustellen, ohne dass es hierfür eine gesetzliche Grundlage gebe, verstoße nicht nur gegen den Grundsatz der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes).


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Im Gesetzentwurf vom 29.12.14 steht der entsprechende Passus zur Änderung des § 46.

In der Drucksache 641/1/14 Empfehlungen der Ausschüsse vom 29.01.15 konnte ich darüber nichts finden.

Über diese Empfehlungen wird im Bundesrat abgestimmt.

Ebenso in der Beschlussdrucksache nichts zu finden über § 46.


Was heisst das nun, die Änderungen zum § 46 finden nicht statt ?
 
Kommentar VII

Hallo Busch,

der Bundesrat ist nur die erste Station auf dem Weg zum Gesetz. Zur vorgeschlagenen Rechtsänderung beim Krankengeld hat er sich völlig enthalten.



Fortsetzung Kommentar:


Das BSG hat die Entscheidungen des 16. Senates des LSG NRW vom 17.07.2014, L 16 KR 429/13, L 16 KR 160/13, zwar in Rekordzeit von 5 Monaten ebenfalls am 16.12.2014 wieder „gekippt“. Überzeugende Gründe hat es aber auch dort (B 1 KR 31/14 R) nicht gefunden.

Ohne sich nachvollziehbar mit den detaillierten Argumenten des LSG NRW auseinanderzusetzen meint das BSG, der Auffassung des Landessozialgerichtes sei nicht zu folgen, das Urteil verletze materielles Recht. Dazu führt es aus:

„Soweit das LSG hiervon abweichend der Auffassung ist, die ärztliche AU-Feststellung habe nur für die Entstehung des Krg-Anspruchs Bedeutung, vermag ihm der erkennende Senat nicht zu folgen. Der Gesetzeswortlaut des § 46 SGB V trägt diese Auffassung nicht. Auch im Übrigen führt das LSG keine tragfähigen Gründe an.“

Nachdem der erste Satz auf einen Standpunkt schließen und auf nachfolgende Argumente hoffen lässt, folgt mit dem zweiten Satz lediglich eine unbegründete Behauptung, mit der erkennbar über die unterlassene Interpretation des Rechtssatzes durch grammatikalische Auslegung ebenso hinweggetäuscht wird wie über die – hier erörterte – Diskrepanz zwischen Gesetzeswortlaut und Gesetzesauslegung. Auch der nächste Satz ist nicht mehr als eine nur pauschale Abwertung dezidierter Sachargumente, anschließend ergänzt um offenbar gezielte Verwirrung und gepaart mit dem Anspruch, dass dem 1. BSG-Senat vorbehalten bleibt, die komplizierte Rechtslage zu überblicken und den Willen des Gesetzgebers ohne Rücksicht auf den Gesetzes-Wortlaut zu bestimmen:

„Zwar regelt das SGB V die Tatbestände der Beendigung eines Krg-Anspruchs nicht ausdrücklich in allen denkmöglichen Verästelungen vollständig. Die geringere Normdichte hat ihren sachlichen Grund in der Vielgestaltigkeit der Möglichkeiten der Beendigung. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass der Inhalt ärztlicher AU-Feststellung nur für die Anspruchsentstehung, nicht aber für Fortbestehen oder Beendigung eines Krg-Anspruchs bedeutsam sei, lässt sich dem SGB V aber nicht entnehmen, sondern ist ihm fremd. Er widerspricht der Gesetzeskonzeption, den im Gesetz verankerten, den Versicherten zumutbaren Informationsverteilungslasten und dem Regelungszweck.“


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Kommentar VIII

.
Nachdem sich der 1. BSG-Senat offenbar absichtlich, jedenfalls eindeutig, schon nicht mit dem Gesetzeswortlaut befasste, also nicht versuchte, den Wortsinn zu verstehen und den dahinter stehenden Willen des Gesetzgebers (zu nur einem Karenztag vor Beginn des Krankengeldes) zu ergründen, erscheinen seine weiteren Ausführungen als Makulatur.

Es kommt auch gar nicht darauf an, wovon die BSG-Rechtsprechung bereits zur RVO im Einzelnen ausging. Tatsache ist, dass das hier umstrittene rechtliche Problem der sog. BSG-Krankengeld-Falle erst nach 45-jähriger insoweit unveränderter Rechtslage im Jahr 2007 entstand, durch BSG-Rechtsprechung ohne erkennbare Legitimation „hausgemacht“ und relativ neu ist. Die an dieser Wirklichkeit geflissentlich vorbeigehenden Darstellungen zu Entwicklungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck sind daher von vornherein obsolet.

Unabhängig von der entgegenstehenden Vorschrift des § 31 SGB I bedurfte das Gesetz abweichend von der Auffassung des BSG keiner – für die Versicherten nachteiligen – ergänzenden gerichtlichen Auslegung. Bei bundesweit einheitlich praktizierter jeweils nachträglicher Leistungsgewährung ist die Sachgrund-Beschreibung des BSG zur Funktion des Krankengeldes nicht stichhaltig und speziell der Hinweis, „Der Versicherte muss gerade bei Beurteilung seines zukünftigen Versicherungsstatus möglichst schnell Klarheit haben“ mit den Risiken der vom BSG (un-) rechtlich konstruierten Krankengeld-Falle unvereinbar.

Die Ausführungen zum „Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender AU“ sowie zur „nachträglichen Behauptung der AU und deren rückwirkender Bescheinigung“ gehen bei der hier nur relevanten Folge-AU-Bescheinigung ins Leere, denn die Krankenkasse ist in diesen Fällen bereits seit der Erst-AU-Bescheinigung im Voraus über die anhaltende Arbeitsunfähigkeit informiert.

Auch der Hinweis auf das gesamte Regelungssystem mit der Meldeobliegenheit des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V und der dort maßgeblichen Wochen-Frist überzeugt nicht davon, dass andererseits AU-Bescheinigungen so dringlich sind, dass sie überschneidend ausgestellt sein müssen. Im Gegenteil: gerade weil für die Meldung eine Woche Zeit bleibt, ist das Erfordernis überschneidender Folge-Bescheinigungen übertrieben.

Ebenso ist der Hinweis auf ständige Rechtsprechung unverhältnismäßig, wonach die Gewährung von Krankengeld bei verspäteter Meldung auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und den Versicherten keinerlei Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung trifft. Diese Pauschalierung berücksichtigt den wesentlichen Unterschied zwischen einem vorübergehenden Ruhen und dem endgültigen Erlöschen des Krankengeld-Anspruchs nicht.


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Zwischendurch: Auch das DAK-Urteil des BUNDESSOZIALGERICHTS ...

.
... vom 16.12.2014, B 1 KR 35/14 R, ist inzwischen veröffentlicht:

http://juris.bundessozialgericht.de...=bsg&Art=en&Datum=2014&nr=13755&pos=7&anz=217

Auf Details einzugehen erscheint nicht mehr erforderlich. Es müsste genügen, wenn der Präsidenten-Senat
des BSG die Kritik des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 16.02.2015 an aktuell veröffentlichten
Urteilen des 8. Senates nachliest und damit seine Kenntnisse über Grundsätze der Rechtsauslegung auf-
frischt:

http://www.harald-thome.de/media/files/BMAS-Rundschreiben-2015_3.pdf

Speziell zur Anwendung des Krankengeld-Rechts (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V) ist unter dem Begriff „BSG-Kranken-
geld-Falle
“ hier das Wichtigste bereits geschrieben:

http://up.picr.de/21051240xu.pdf

http://up.picr.de/20976822kj.pdf

sowie in bisher 8 Kommentaren ab hier

http://www.unfallopfer.de/forum/showpost.php?p=267185&postcount=82

Gruß!
Machts Sinn
 
Verantwortung für das Krankengeld-Recht ...

.
... haben insbesondere das Bundesversicherungsamt, das Bundesgesundheitsministerium, die Länderministerien,
der GKV-Spitzenverband, die Krankenkassen-Bundesverbände und natürlich die gesetzlichen Krankenkassen.

Unabhängig von der Rechtsprechung des 1. BSG-Senates gilt die Vorschrift des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V weiterhin.
Die Regelung ist nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesetzessystematik und Gesetzeszweck so eindeutig, dass
die verfassungskonforme Auslegung den Einsatz der BSG-Krankengeld-Falle zur Trennung der Versicherten von
ihren Krankengeld-Ansprüchen und den damit verbundenen kostenfreien Versicherungsverhältnissen ausschließt.

Die Behörden sind nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes an Gesetz und Recht gebunden. Die Gesetzesbindung
umfasst nicht die Bindung an eine durch ein Gericht vorgenommene Auslegung, solange eine solche Verbindlichkeit
von Gerichtsurteilen nicht speziell oder allgemein durch gesetzliche Regelungen über die Rechtskraft oder die Bindungs-
und Gesetzeswirkungen von Entscheidungen (z.B. § 31 BVerfGG) angeordnet wird. Deshalb können außerhalb der ge-
setzlich angeordneten Bindungswirkungen gerichtlicher Entscheidungen Nichtanwendungsregelungen bezüglich
einzelner Urteile zulässig sein (vgl. Maunz/Düring, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 20 Rn. 145). Wenn die Recht-
sprechung – wie hier des 1. BSG-Senates zum Krankengeld mit fünf Urteilen vom 16.12.2014 – unvertretbar erscheint,
sind die verantwortlichen Behörden zur Prüfung und entsprechenden Veranlassung verpflichtet.

Gerade weil die Verantwortlichen zum Krankengeld offenbar die Augen zudrücken, erscheint es erforderlich, sie
ausdrücklich in die Pflicht zu nehmen.

Gruß!
Machts Sinn
 
Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit ...

.
... ist in der Pflicht!

Die überaus deutlichen Unzulänglichkeiten der BSG-Krankengeld-
Rechtsprechung können und dürfen nicht länger unkritisch hingenommen
werden.

Stattdessen ist es dringend erforderlich, die BSG-Krankengeld-Falle durch
Nichtanwendungsregelungen sofort außer Betrieb zu nehmen.

Die (un-) rechtlichen Konstruktionen des BSG verbieten sich auch als Basis
für die vorgesehenen Gesetzesänderungen zum Krankengeld.

Gruß!
Machts Sinn
 
Back
Top