Machts Sinn
Erfahrenes Mitglied
Kommentar II
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Fortsetzung folgt.
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Machts Sinn
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Eine ausreichende Klärung ist unterblieben. Damit ist der vom BSG mit Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 19/11, aufgestellte Grundsatz verletzt, „dass schon im Ansatz zwischen der ärztlichen Feststellung der AU als Voraussetzung des Krg-Anspruchs(vgl § 46 S 1 Nr 2 SGB V; § 4 Abs 2 AU-RL), der Bescheinigung der ärztlich festgestellten AU (vgl § 6 AU-RL; zur Funktion vgl zB BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 20 mwN, stRspr) und der Meldung der AU (vgl hierzu § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V) zu unterscheiden ist“.
Dabei ist dem 1. BSG-Senat bekannt, dass Arbeitsunfähigkeit regelmäßig für längere Zeit festgestellt aber nur für kürzere Zeiten bescheinigt wird. Mit Urteil vom 10.05.2012, B 1 KR 20/11R, hat das Gericht beispielsweise die vertragsärztliche Pflicht erwähnt, AU-Bescheinigungen – unabhängig von der ärztlich festgestellten Dauer der AU – zeitlich einzugrenzen. Dies hängt mit den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (AU-RL) zusammen. Sie sind Bestandteil des Bundesmantelvertrages–Ärzte (BMV-Ä) zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einerseits und den Krankenkassen-Bundesverbänden andererseits.
Da die bindenden Regelungen der AU-RL mit den Voraussetzungen des Krankengeld-Anspruchs nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V nicht harmonieren, befinden sich Ärzte in einem ständigen rechtlichen Konflikt zwischen der materiell-rechtlich relevanten Prognoseentscheidung der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und ihrer abweichenden nur formularmäßigen Bescheinigung.
Auch darüber ist der 1. BSG-Senat bestens informiert. Dies ergibt sich aus den Formulierungen in seinen Urteilen vom
10.05.22012, B 1 KR 20/11R: „Mit der Notwendigkeit einer ärztlichen, nicht unbedingt vertragsärztlichen Feststellung harmoniert, dass unbeschadet des § 91 Abs 6 SGB V die Regelungen in den AU-Richtlinien (RL) über den Zeitpunkt der AU-Feststellung und ihren retro- und prospektiven Feststellungszeitraum den leistungsrechtlichen Krg-Tatbestand nicht ausgestalten.“
10.05.2012, B 1 KR 19/11 R: „Die Regelung in § 6 AU-RL nimmt für sich in keiner Weise in Anspruch, die gesetzlich bestimmten Voraussetzungen des Krg-Anspruchs zu konkretisieren oder gar zu modifizieren. Sie ist ungeeignet, pflichtwidrig falsche Vorstellungen von den gesetzlichen Voraussetzungen des Krg-Anspruchs oder von den Obliegenheiten Versicherter zur Wahrung ihrer Rechte zu erzeugen.“
26.06.2007, B 1 KR 8/07 R: „Deshalb ist aus dem vom LSG hervorgehobenen Gesichtspunkt, dass es die AU-Richtlinien zulassen, die ärztliche Bestätigung der weiteren AU am folgenden Montag nachzuholen, wenn die AU des Versicherten an einem Samstag endet (vgl Nr 16 der hier noch einschlägigen Fassung vom 3.9.1991 (BArbBl 11/1991 S 28) bzw § 5 Abs 4 der ab 1.1.2004 geltenden Fassung vom 1.12.2003 (BAnz 2004, 6501)), nichts Abweichendes herzuleiten.“
26.06.2007, B 1 KR 37/06 R: „Abgesehen davon, dass die AU-RL nur Vertragsärzte binden, § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V aber keine vertragsärztliche AU-Feststellung verlangt (vgl BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 12 S 50 mwN), und dass die AU-RL im Range unter dem Gesetz stehen, fehlt dem Bundesausschuss auch die Kompetenz, die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs zu modifizieren. Denn § 92 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 7 SGB V ermächtigt den Bundesausschuss nur dazu, die "zur Sicherung der ärztlichen Versorgung ... über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten" erforderlichen Richtlinien, insbesondere über die "Beurteilung der Arbeitsfähigkeit", zu beschließen, nicht aber, die Voraussetzungen des Anspruchs auf Krg zu ändern.“
08.11.2005, B 1 KR 18/04 R: „Da BMV-Ä bzw EKV-Ä sowie AU-RL nur dasjenige wiederholen, was bereits aus § 275 SGB V herzuleiten ist, kommt es dabei nicht darauf an, ob - was die Klägerin in Zweifel zieht - die AU-RL auch für die Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung verbindlich sind. Entscheidend ist insoweit allein, dass aus den genannten Bestimmungen jedenfalls keine - hier von der Beklagten verletzte - Pflicht herzuleiten war, die zu Gunsten des Versicherten Beweiserleichterungen in einem von ihm gegen seine Krankenkasse angestrengten Leistungsstreit bewirken könnte.“
Außerdem machen die Krankenkassen den Ärzten rechtswidrige Vorgaben zur Beschränkung der AU-Bescheinigungsdauer (z. B. 14-tägig).
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen besagen daher grundsätzlich nichts über die Dauer der festgestellten (prognostizierten) Arbeitsunfähigkeit. Deswegen sind sie zwar in Form des Auszahlscheins geeignet, die nächste Überweisung des Krankengeldes zu begründen; als Grundlage für eine Begrenzung oder für den Wegfall des Anspruchs entbehren sie im Verwaltungsverfahren aber jeder rechtlichen Legitimation als geeignetes Beweismittel, § 21 SGB X, sowie zur Erfüllung des Untersuchungsgrundsatzes, § 20 SGB X. Dies gilt gleichermaßen für die Sachverhaltserforschung des Gerichts nach § 103 SGG i. V. mit § 106 SGG.
Fortsetzung folgt.
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