"BSG-Krankengeld-Falle" - endlich die Sensation !

Fortsetzung

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… Recht nicht legal fortentwickelt, sondern sich der Bindung an Recht und Gesetz entzogen und jenseits seiner Grenzen der Rechtsanwendung Recht gestaltet hat, das keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht gebilligt wird. Damit hat sich der 1. BSG-Senat aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, die nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz dem Kompetenzbereich des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorbehalten ist. Das BSG hat Recht konstruiert, das so im Parlament nicht erreichbar gewesen wäre und damit die eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers durch eine beliebige judikative Lösung ersetzt.

Die Rahmenbedingungen sind durch das Urteil des BSG 1) vom 18.03.1966, 3 RK 58/62, zutreffend dargestellt. Bereits nach der damaligen Anspruchsgrundlage des § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO idF des Gesetzes vom 12.07.1961 begann das Krankengeld – außer bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit – mit dem Tag, der auf den Tag folgte, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wurde.

Die Regelung erschien klar; es wurde davon ausgegangen, dass der Wortlaut den Sinn und Zweck der Vorschrift unverkürzt zum Ausdruck bringe, was durch ihre Entstehungsgeschichte bestätigt sei. Der Gesetzgebungsvorgang ist im Urteil wie folgt beschrieben:

"Zum Unterschied von der bisherigen Regelung, die auf den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt und damit auch rückwirkende Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit mit den sich daraus ergebenden Zweifeln ermöglicht hatte, war im Entwurf der neuen Regelung von vornherein vorgesehen, daß an die Stelle des tatsächlichen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit deren Feststellung treten sollte. Durch Beschluß des Ausschusses für Sozialpolitik wurde das Wort "ärztliche" (Feststellung) eingefügt (vgl. den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik, BT-Drucks. 2748, 3. Wahlperiode). Diese Änderung führte zur Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat mit der Begründung, diese Regelung erscheine bedenklich: Der Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung könne aus Gründen, die der Kranke nicht zu vertreten habe, erheblich später liegen als der tatsächliche Eintritt der Arbeitsunfähigkeit; in diesen Fällen wäre eine Benachteiligung des erkrankten Arbeitnehmers unvermeidbar; darüber hinaus sollte das ärztliche Attest kein ausschließlicher Beweis für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit sein (vgl. BT-Drucks. 2864, 3. Wahlperiode und die Verhandlungen des Bundesrats, 234. Sitzung vom 16. Juni 1961 S. 156 D). In den Beratungen des Vermittlungsausschusses vertrat die Minderheit wie der Bundesrat die Ansicht, daß entsprechend dem bisherigen Recht der Tag des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit maßgebend bleiben solle und der Arzt somit auch in Zukunft eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen könne, die vor der ärztlichen Inanspruchnahme eingetreten sei. Die Mehrheit dagegen war der Auffassung, daß eine rückwirkende Bescheinigung des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit generell ausgeschlossen werden müsse, auch wenn das im Einzelfall zu Härten führe. Dementsprechend wurde die heutige Fassung Gesetz (vgl. die Verhandlungen des Bundesrats, 235. Sitzung vom 30. Juni 1961 S. 163 D)."

Dazu hat das BSG festgestellt, diese Regelung verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Der Gesetzgeber habe bei der Frage, ob für den Krankengeldanspruch auf das Ereignis selbst, nämlich die Arbeitsunfähigkeit, oder besser auf dessen Feststellung abzustellen sei, aus Gründen der Praktikabilität und der Missbrauchsbekämpfung dieser Lösung den Vorzug gegeben und die sich dabei im Einzelfall ergebenden Härten gesehen und in Kauf genommen. Vereinfachungen und Vergröberungen seien im Rahmen einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und nach dem GG zulässig.

Wie die Plenarprotokolle zur 125., 145., und 161. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 29.09.1960 2), vom 23.02.1961 3) und vom 31.05.1961 4) zeigen, ist auch die Karenztag-Diskussion intensiv geführt worden, bevor mit dem bereits erwähnten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle (ArbKrankhG) vom 12.07.1961 der sog. Karenztag / Wartetag in § 182 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) eingeführt wurde. (Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Krankengeld vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an nur dann gewährt, wenn diese länger als zwei Wochen dauerte oder auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit beruhte, ansonsten erst vom dritten Tage an).

1) https://www.jurion.de/Urteile/BSG/1966-03-18/3-RK-58_62
2) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03125.pdf
3) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03145.pdf
4) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03161.pdf


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 und 3 GG – Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1

Hallo Machts Sinn,

zunächst wünsche ich Dir ein Gutes, Gesundes und Erfolgreiches 2015

sehr gut Deine Ausarbeitung!
In meiner Klagebegründung hatte ich mit den § bereits argumentiert.
Kann es kaum erwarten den Rest zum lesen zu bekommen, selbstredend werde ich den Text an passender Stelle weiterleiten.


Viele Grüße
welchunsinn
 
Fortsetzung

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Dazu ist festzustellen, dass sich die SPD mit ihren Anträgen zum Entwurf eines Gesetzes über vordringliche Maßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung 1) und zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle und der Reichsversicherungsordnung 2) eindeutig gegen den Karenztag positioniert hatte.

Dies gilt auch für Gesetzgebungsverfahren zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz) zur Einführung des SGB V. Der Gesetzesentwurf der CDU/CSU und FDP sah vor, dass der Anspruch auf Krankengeld … im übrigen von dem Tag an entsteht, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt 3). Die Begründung dazu lautete:

„Die Vorschrift entspricht weitgehend dem geltenden Recht (§§ 182 Abs. 3 und 186 RVO) mit redaktionellen Änderungen. Die Sonderregelung über das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten wird nicht übernommen, weil — wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung — die Krankenversicherung in diesen Fä llen nicht mehr leistet (vgl. § 11 Abs. 3). Außerdem hat die Regelung über den Beginn des Krankengeldes wegen des Anspruchs auf Lohn- und Gehaltsfortzahlung kaum praktische Bedeutung. Wenn infolge eines Arbeitsunfalls sogleich ein Verdienstausfall eintreten sollte, stellt das Recht der Unfa llversicherung (§ 560 RVO) die Zahlung von Verletztengeld sicher."

Laut Änderungsantrag der Fraktion der SPD sollte § 45 folgende Fassung erhalten: 4)

„§ 45 Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld Der Anspruch auf Krankengeld entsteht von dem Tag an, an dem die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erfolgt sowie vom Beginn der Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung. …."

Die Staatsgewalt geht vom Volke aus; Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen; die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

Dies gilt auch für § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V, in Kraft getreten am 1.1.1989. Danach entsteht der Anspruch auf Krankengeld … „im übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt.

Dieser im Singular formulierte Gesetzeswortlaut lässt auch unter Berücksichtigung der Rechtsentwicklung darauf schließen, dass im Falle einer Arbeitsunfähigkeit für gewöhnlich – ein – Anspruch auf Krankengeld entsteht. Dabei hat der Gesetzgeber auf den – einen – Tag nach der – erstmaligen – ärztlichen Feststellung der – zusammenhängenden – Arbeitsunfähigkeit abgestellt.

Für ein Verständnis, dass sich die Arbeitsunfähigkeit in mehrere Teil-Arbeitsunfähigkeiten entsprechend den zufälligen Zeiträumen ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufgliedern ließe und dementsprechend mehrere Ansprüche auf Krankengeld entstehen könnten, bietet der Gesetzeswortlaut keinen Anhalt. Die Bestätigung fortbestehender Arbeitsunfähigkeit (Folgebescheinigung) stellt keine Feststellung der Arbeitsunfähigkeit dar, sondern setzt die frühere Feststellung voraus.

1) Drucksache 03/1926 vom 21.06.1960 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/03/019/0301926.pdf
2) Drucksache 03/2571 vom 03.03.1961 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/03/025/0302571.pdf
3) Drucksache 11/2237 vom 03.05.1988 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/11/022/1102237.pdf
4) Drucksache 11/3439 vom 22.11.1988 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/11/034/1103439.pdf


Fortsetzung folgt.


Hallo WU,

danke! Und dazu "zunächst wünsche ich Dir ein Gutes, Gesundes und Erfolgreiches 2015": das wünsche ich dir auch.


Gruß!
Machts Sinn
 
Fortsetzung

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Dass bei ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit nur ein Anspruch auf Krankengeld entsteht, war nach Inkrafttreten des SGB V und dessen § 46 Satz 1 Nr. 2 am 01.01.1989 über 16 Jahre lang eindeutig. Das BSG stellte bis Anfang 2005 auf den Begriff „der Anspruchsentstehung" (wenn alle im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen) ab und bezog sich auf die Gesetzesbegründung mit dem Hinweis auf § 40 SGB I sowie den Einklang der Sichtweise mit der Rechtsprechung des Senats zu der Anspruchsvoraussetzung - jeweils Singular - der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach § 46 Satz 1 SGB V (Urteil vom 13.07.2004, B 1 KR 39/02 R, * unter Hinweis auf das Urteil vom 19.09.2002, B 1 KR 11/02 R, zur Abgrenzung von Grundanspruch und Zahlungsanspruch **).

* https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=21439
** https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=1889


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Fortsetzung

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Ziemlich unvermittelt gedreht hat sich die BSG-Krankengeld-Rechtsprechung mit den Urteilen vom 22.03.2005, B 1 KR 22/04 R 1) und vom 26.06.2007, B 1 KR 2/07 R 2) sowie B 1 KR 8/07 R 3).

1) http://www.aok-business.de/bayern/f...e/datenbank/urteile-ansicht/poc/docid/569891/
2) https://www.jurion.de/Urteile/BSG/2007-06-26/B-1-KR-2_07-R
3) https://www.jurion.de/Urteile/BSG/2007-06-26/B-1-KR-8_07-R


Fortsetzung folgt.


Gruß!
Machts Sinn
 
Krankengeld statt Tagegeld

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Auch wenn sich mit „Tagegeld“ statt „Krankengeld“ der Fehler-Teufel eingeschlichen hat:
Der Ruin ist gewollt, die „BSG-Krankengeld-Falle“ wird vom Präsidenten-Senat des BSG eigens
für diesen Zweck seit Jahren gepflegt.

http://www.rtv.de/sendungsdetails/7920513/report-mainz.html

„Report Mainz deckt Missstände und Fehlentwicklungen auf … zeigt die Wahrheit dahinter und
nennt die Verantwortlichen beim Namen.“

Gruß!
Machts Sinn
 
zur Sendung über die "BSG-Krankengeld-Falle" von Report Mainz

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Sehr geehrte Damen und Herren,


in der Sendung am Dienstag, 27.01.2015, 21:45 Uhr bis 22:15 Uhr, befasst sich Report Mainz u. a. mit dem sehr aktuellen Thema:



Krank ohne Tagegeld (richtig: Krankengeld)
Kleinste Fehler bei der Krankmeldung treiben Patienten in den Ruin




Im Spannungsfeld mit der aktuellen Rechtsprechung der Sozialgerichte Trier, Mainz und Speyer sowie des 16. Senates des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen kommt der am 16.12.2014 vom 1. Senat des Bundessozialgerichtes in fünf Fällen bestätigten „BSG-Krankengeld-Falle“ damit die ihr angemessene öffentliche Aufmerksamkeit bei.

Wegen „ungewollten Härten“ der sozialrechtlich nicht nachvollziehbaren BSG-Entscheidungen unternimmt der Gesetzgeber mit dem Kabinetts-Entwurf zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 17.12.2014 nun den dritten Vorstoß, die „BSG-Krankengeld-Falle“ per Gesetzesänderung zu entschärfen. Die Vorlage geht derzeit durch acht Bundesratsausschüsse; sie wird am 28.01.2015 in der Sondersitzung des Gesundheitsausschusses und am 06.02.2015 im Bundesrats-Plenum behandelt. Und am 19.02.2015 findet beim Bundessozialgericht das Jahrespressegespräch 2015 mit aktuellen Informationen statt.

Die Sendung am 27.01.2015 konnte deswegen zeitlich nicht besser platziert werden. Inhaltlich dürfen Interessierte durchaus gespannt sein. Wagt sich BSG-Präsident Peter Masuch, Herr der „BSG-Krankengeld-Falle“, vor die Kamera um dem Deutschen Volk seine Krankengeld-„Sozial“rechtsprechung verständlich zu machen? Nutzen „Abtrünnige“ ihre Chance? Oder beides? Noch wichtiger ist aber, wie sich die Rechtsauslegung entwickeln wird, nachdem offenbar erstmals am 16.12.2014 wichtige rechtliche Argumente zur Debatte standen.

Nach überwiegender Meinung hätte die „BSG-Krankengeld-Falle“ vom Bundessozialgericht damals „verschrottet“ werden müssen. Welche Wege daran vorbei führten und ob sich rechtliche Abgründe auftun, lässt sich erst näher diskutieren, wenn die fünf Urteile vom 16.12.2014 schriftlich vorliegen. Bisher gibt es keine Anzeichen für ausreichende rechtliche Argumente. So sind auch weiterhin über fiktive apodiktische Vorgaben hinausgehende Überraschungen kaum zu erwarten.

Jedenfalls steht die Krankengeld-Rechtsprechung des 1. BSG-Senates ab sofort im Fokus. Auch im Recht und über Recht ist Diskussion nicht vermeidbar.

Details ersehen Sie aus der beigefügten PDF-Datei: http://up.picr.de/20756583ql.pdf


Mit freundlichen Grüßen



Gruß!
Machts Sinn
 
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