Machts Sinn
Erfahrenes Mitglied
Fortsetzung
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1) https://www.jurion.de/Urteile/BSG/1966-03-18/3-RK-58_62
2) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03125.pdf
3) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03145.pdf
4) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03161.pdf
Fortsetzung folgt.
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Machts Sinn
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… Recht nicht legal fortentwickelt, sondern sich der Bindung an Recht und Gesetz entzogen und jenseits seiner Grenzen der Rechtsanwendung Recht gestaltet hat, das keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht gebilligt wird. Damit hat sich der 1. BSG-Senat aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, die nach dem Gewaltenteilungsgrundsatz dem Kompetenzbereich des demokratisch legitimierten Gesetzgebers vorbehalten ist. Das BSG hat Recht konstruiert, das so im Parlament nicht erreichbar gewesen wäre und damit die eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers durch eine beliebige judikative Lösung ersetzt.
Die Rahmenbedingungen sind durch das Urteil des BSG 1) vom 18.03.1966, 3 RK 58/62, zutreffend dargestellt. Bereits nach der damaligen Anspruchsgrundlage des § 182 Abs. 3 Satz 1 RVO idF des Gesetzes vom 12.07.1961 begann das Krankengeld – außer bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit – mit dem Tag, der auf den Tag folgte, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wurde.
Die Regelung erschien klar; es wurde davon ausgegangen, dass der Wortlaut den Sinn und Zweck der Vorschrift unverkürzt zum Ausdruck bringe, was durch ihre Entstehungsgeschichte bestätigt sei. Der Gesetzgebungsvorgang ist im Urteil wie folgt beschrieben:
"Zum Unterschied von der bisherigen Regelung, die auf den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit abgestellt und damit auch rückwirkende Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit mit den sich daraus ergebenden Zweifeln ermöglicht hatte, war im Entwurf der neuen Regelung von vornherein vorgesehen, daß an die Stelle des tatsächlichen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit deren Feststellung treten sollte. Durch Beschluß des Ausschusses für Sozialpolitik wurde das Wort "ärztliche" (Feststellung) eingefügt (vgl. den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik, BT-Drucks. 2748, 3. Wahlperiode). Diese Änderung führte zur Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat mit der Begründung, diese Regelung erscheine bedenklich: Der Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung könne aus Gründen, die der Kranke nicht zu vertreten habe, erheblich später liegen als der tatsächliche Eintritt der Arbeitsunfähigkeit; in diesen Fällen wäre eine Benachteiligung des erkrankten Arbeitnehmers unvermeidbar; darüber hinaus sollte das ärztliche Attest kein ausschließlicher Beweis für das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit sein (vgl. BT-Drucks. 2864, 3. Wahlperiode und die Verhandlungen des Bundesrats, 234. Sitzung vom 16. Juni 1961 S. 156 D). In den Beratungen des Vermittlungsausschusses vertrat die Minderheit wie der Bundesrat die Ansicht, daß entsprechend dem bisherigen Recht der Tag des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit maßgebend bleiben solle und der Arzt somit auch in Zukunft eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen könne, die vor der ärztlichen Inanspruchnahme eingetreten sei. Die Mehrheit dagegen war der Auffassung, daß eine rückwirkende Bescheinigung des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit generell ausgeschlossen werden müsse, auch wenn das im Einzelfall zu Härten führe. Dementsprechend wurde die heutige Fassung Gesetz (vgl. die Verhandlungen des Bundesrats, 235. Sitzung vom 30. Juni 1961 S. 163 D)."
Dazu hat das BSG festgestellt, diese Regelung verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Der Gesetzgeber habe bei der Frage, ob für den Krankengeldanspruch auf das Ereignis selbst, nämlich die Arbeitsunfähigkeit, oder besser auf dessen Feststellung abzustellen sei, aus Gründen der Praktikabilität und der Missbrauchsbekämpfung dieser Lösung den Vorzug gegeben und die sich dabei im Einzelfall ergebenden Härten gesehen und in Kauf genommen. Vereinfachungen und Vergröberungen seien im Rahmen einer generalisierenden Regelung unvermeidlich und nach dem GG zulässig.
Wie die Plenarprotokolle zur 125., 145., und 161. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 29.09.1960 2), vom 23.02.1961 3) und vom 31.05.1961 4) zeigen, ist auch die Karenztag-Diskussion intensiv geführt worden, bevor mit dem bereits erwähnten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle (ArbKrankhG) vom 12.07.1961 der sog. Karenztag / Wartetag in § 182 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) eingeführt wurde. (Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Krankengeld vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an nur dann gewährt, wenn diese länger als zwei Wochen dauerte oder auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit beruhte, ansonsten erst vom dritten Tage an).
1) https://www.jurion.de/Urteile/BSG/1966-03-18/3-RK-58_62
2) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03125.pdf
3) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03145.pdf
4) http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/03/03161.pdf
Fortsetzung folgt.
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