Die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen setzt nicht voraus, daß sie eine organische Ursache haben ; es genügt vielmehr die hinreichende Gewißheit, daß die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht aufgetreten wären. Der Schädiger hat auch für seelisch bedingte Folgeschäden, selbst wenn sie auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen, haftungsrechtlich grundsätzlich einzustehen. Eine Ausnahme gilt aber für Begehrens- und Rentenneurosen, in denen der Geschädigte den Vorfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherung lediglich zum Anlaß nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Auch kann eine Haftungsbegrenzung in Fällen extremer Schadensdisposition des Geschädigten eintreten ; das ist jedoch nur dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle), nicht gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten trifft und deshalb die psychische Reaktion im konkreten Fall wegen ihres groben Mißverhältnisses zum Anlaß schlechterdings nicht mehr verständlich ist.
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Grundsätzlich haftet ein Schädiger für alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte durch die Schädigungshandlung erleidet, gleich ob körperlicher oder seelischer Art, auch für das unfallbedingte Zutagetreten vorhandener Schadensanlagen (KG, Urt. v. 22.4.2002 – 12 U 7385/00, KGReport Berlin 2003, 160 Ls. = NZV 2003, 328; auch BGH v. 11.11.1997 – VI ZR 146/96, MDR 1998, 159 = NJW 1998, 813). Für den Beweis einer Ursächlichkeit des Unfalls für die Rechtsgutsverletzung, also den so genannten „Ersterfolg” (haftungsbegründende Kausalität), gilt der Maßstab des § 286 ZPO. Dies bedeutet, dass das Gericht nicht nur von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, sondern von der Wahrheit der behaupteten Tatsache zu überzeugen ist; hierfür genügt ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Wer einen gesundheitlich vorgeschädigten Menschen verletzt, kann nicht verlangen so gestellt zu werden, als hätte er einen Gesunden geschädigt; Der
Zurechnungszusammenhang zwischen Handlung und Verletzung ist auch dann zu bejahen, wenn der Schaden auf einem Zusammenwirken von Vorschäden und Unfallverletzung beruht.
Nur wenn sich feststellen lässt, dass der degenerative Vorschaden vergleichbare Beeinträchtigungen bewirkt hätte, ist zu prüfen, ob ein prozentualer Abschlag oder eine zeitliche Begrenzung des Ausgleichs von Verdienstausfall geboten ist.
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Dem Grunde nach haften die Beklagten daher vollen Umfanges für die unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden des Klägers. Der Höhe nach hält der Senat jedoch einen 50%igen Abschlag auf die zu erbringenden Schadensersatzleistungen für gerechtfertigt. Denn aufgrund des schriftlichen Gutachten des Sachverständigen E und der dazu abgegebenen mündlichen Erläuterungen steht fest, dass beim Kläger eine unfallunabhängige, auf Prädisposition beruhende (endgültige) Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens eingetreten ist, die einen derartigen prozentualen Abschlag rechtfertigt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen E handelt es sich bei dem Kläger um eine schadensveranlagte Persönlichkeit, er war schon vor dem Unfall psychosomatisch krank. Der Kläger hatte sich aufgrund innerseelischer Gebote und Schranken in hohem Maße erschöpft, was schon zuvor bei ihm zu einem psychischen Erschöpfungszustand geführt hatte. Der Kläger war in Kindheit und Jugend starken seelischen Belastungsfaktoren ausgesetzt, sein seelisches Gleichgewicht hat er stets durch überdurchschnittliche Leistungen im beruflichen Bereich aufrecht zu erhalten versucht (S. 42/43 des schriftlichen Gutachtens).
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Bei seiner mündlichen Erläuterung vor dem Senat hat sich der Sachverständige Dr. M
insbesondere mit der Frage befaßt, in welchem Ausmaß sich der Unfall auf die im Ansatz
bereits vorher bestehenden Beschwerden ausgewirkt hat, und ist überzeugend zu dem
Ergebnis gelangt, daß es der Klägerin ohne den Unfall, welcher für sie ein
hochdramatisches Ereignis war, heute mit deutlicher Wahrscheinlichkeit besser ginge. Er
hat aber auch ausgeführt, daß die auf Disposition und Persönlichkeitsentwicklung
beruhenden schon vor dem Unfall erkennbaren psychischen Beschwerden sich auch ohne
den Unfall verschlimmert hätten, daß also die ungünstige Entwicklung fortgeschritten wäre
mit der Folge, daß die Klägerin auch ohne den Unfall heute nicht mehr erwerbstätig wäre;
die Entwicklung wäre aber wohl nicht so schnell verlaufen, und es ginge der Klägerin
wahrscheinlich nicht ganz so schlecht wie heute.
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Auf der Grundlage dieser Ausführungen geht der Senat unter Anwendung des
Beweismaßstabes aus § 287 ZPO davon aus, daß das jetzige Beschwerdebild
entscheidend geprägt ist durch die Grunderkrankung mit progressivem Verlauf, welcher
über einen gewissen Zeitraum durch den Unfall überlagert und beschleunigt worden ist.