Eine eigenständige Feststellung des GdB durch das Versorgungsamt ist dann nicht zu treffen, wenn bereits in einer Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung eine anderweitige Feststellung über den Grad der MdE getroffen ist. Dies gilt insbesondere für Bescheide über Renten, Kapitalabfindungen und sonstige Versorgungs- oder Entschädigungsleistungen, in denen der jeweilige Leistungsträger einen bestimmten MdE-Grad zugrunde gelegt hat.
Die Feststellungen binden insoweit, als das Versorgungsamt zuungunsten des behinderten Menschen hiervon nicht abweichen darf. Ist in einem Festsetzungsverfahren nach dem Recht der Unfallversicherung eine unfallbedingte MdE rechtsverbindlich festgesetzt worden, ist für eine niedrigere Festsetzung des GdB nach dem SGB IX kein Raum mehr (SG Karlsruhe Urteil vom 8. Juni 1994 – S 4 Vs 2673/93 = Breithaupt 1995, 275 = HVBG-INFO 1995, 1170). Die Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit schließt nach § 69 Abs. 2 SGB IX eine von ihr abweichende Feststellung des Grades der Behinderung durch das Versorgungsamt auch dann aus, wenn diesem bei der Entscheidung über die Höhe des Grades der Behinderung oder über dessen Herabsetzung nach § 48 SGB X der Bescheid des Unfallversicherungsträgers nicht bekannt war und der behinderte Mensch sich erst nachträglich – z. B. im Gerichtsverfahren – auf ihn berufen hat (vgl. LSG Berlin Urteil vom 16. November 2000 – L 11 SB 15/99 = E-LSG SB-026 = SGb 2001, 184 [Kurzwiedergabe]).
Die Bindungswirkung des Abs. 2 besteht aber nicht, soweit ein berufsgenossenschaftliches Verfahren nur einen Einzel-GdB betrifft. Bei der Einschätzung des Gesamt-GdB kann die Behörde nicht darauf verzichten, in eine eigene Prüfung der durch die Unfallfolgen verursachten Funktionsbehinderungen einzutreten (SG Aachen Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2005 – S 18 SB 212/04, zit. nach JURIS). Denn eine Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Arbeitsunfallfolgen ist für die Versorgungsbehörde nicht verbindlich, wenn sie den Grad der Behinderung unter Berücksichtigung weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen festzustellen hat (BSG Urteil vom 5. Juli 2007 – B 9/9a SB 12/06 R = SozR 4-3250 § 69 Nr. 4 = Breithaupt 2008, 39 = SuP 2008, 116). Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IX lässt – in Bezug auf die Beurteilung einzelner Funktionsbeeinträchtigungen – einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 dieser Vorschrift nicht zu. In Satz 1 des Abs. 2 heißt es gerade nicht: „Feststellungen nach Abs. 1 sind nicht zu treffen, soweit eine Feststellung ...“. Mit der Verwendung des Wortes „wenn“ macht das Gesetz deutlich, dass die Absätze 1 und 2 des § 69 SGB IX einander ausschließen (BSG Urteil vom 5. Juli 2007 a. a. O.).
Daraus folgt: Entweder es liegt nach Maßgabe des Abs. 2 eine hinreichende anderweitige Feststellung vor; dann scheidet ein Vorgehen nach Abs. 1 vollständig aus. Oder die Voraussetzungen des Abs. 2 sind nicht gegeben; dann ist ausschließlich nach Abs. 1 zu verfahren. Eine anderweitige MdE-Feststellung im Sinne von Abs. 2 ist mithin im Rahmen des Schwerbehindertenrechts nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (BSG Urteil vom 5. Juli 2007 a. a. O.).
Diese Auslegung wird durch die Fassung des Abs. 3 bestätigt, der die Feststellung des GdB bei mehreren Beeinträchtigungen betrifft. Satz 2 dieser Vorschrift sieht vor, dass diese Entscheidung grundsätzlich nach § 69 Abs. 1 SGB IX durch die Versorgungsbehörden zu treffen ist. Etwas anderes gilt nur dann („es sei denn“), wenn die erforderliche Gesamtbeurteilung schon in einer Entscheidung nach § 69 Abs. 2 SGB IX getroffen wurde. Auch insoweit wird deutlich, dass eine anderweitige MdE-Feststellung die Entscheidungsbefugnis der Versorgungsbehörden nur entweder ganz oder gar nicht verdrängt (BSG Urteil vom 5. Juli 2007 a. a. O).
Die Rentenbescheide der Rentenversicherungsträger nach dem SGB VI zur Erwerbsunfähigkeit / Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung haben dagegen keine solche Bindungswirkung, da in ihnen kein MdE-Grad festgestellt wird. Ob eine Person einen GdB von 50 aufweist und somit schwerbehindert ist, steht mit der Frage, ob bei ihr nach dem SGB VI a. F. Erwerbsunfähigkeit oder nach dem SGB VI n. F. volle Erwerbsminderung besteht, in keinerlei Wechselwirkung, weil die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen völlig unterschiedlich sind. Die Frage nach dem Bestehen von Schwerbehinderung ist für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bzw. vollen Erwerbsminderung auch nicht als Vorfrage entscheidungserheblich (BSG Beschluss vom 9. Dezember 1987 – 5b BJ 156/87; Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 SB 5/01 R, jeweils zit. nach JURIS).
Auch umgekehrt binden folgerichtig die Bescheide der Versorgungsverwaltung über den GdB nicht den Rentenversicherungsträger bezüglich der Feststellung der MdE (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 11. März 2003 – L 11 RJ 4989/02 m. w. Nachw., zit. nach JURIS). Der Bescheid des Versorgungsamtes über die Schwerbehinderteneigenschaft eines Beamten und den Grad seiner Behinderung (GdB) binden die Dienstbehörde nicht bei der Entscheidung, ob eine wesentliche Beschränkung der Erwerbsfähigkeit i. S. des § 35 Abs. 1 BeamtVG vorliegt (OVG Lüneburg Urteil vom 25. Mai 1993 – 2 L 51/89 = NdsMBl. 1994, 116).
Allerdings haben die Versorgungsämter eine eigenständige Feststellung des GdB dann zu treffen, wenn der behinderte Mensch hieran ein Interesse glaubhaft macht. Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IX soll einen doppelten Verwaltungsaufwand lediglich für die Wiederholung einer bereits getroffenen Feststellung entbehrlich machen. Muss aber das Versorgungsamt wegen des glaubhaft gemachten Interesses des behinderten Menschen ohnehin tätig werden und eine verbindliche Feststellung treffen, so liegt kein Grund für eine Bindung des Versorgungsamtes an die anderweitige Feststellung vor (Niedersächs. LSG Urteil vom 26. Mai 2000 – L 9 SB 247/98, zit. nach JURIS). Bei einer Feststellung der MdE nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsätzen ist dies dann der Fall, wenn die dort üblichen MdE-Sätze niedriger sind als der GdB nach den Anhaltspunkten. So wird z. B. bei Verlust des Unterschenkels mit langem Stumpf der GdB nach den Anhaltspunkten mit 50%, die MdE in der Unfallversicherung mit 40% bewertet.
Ein Interesse an einer anderweitigen Feststellung i. S. des § 69 Abs. 2 SGB IX besteht auch dann, wenn nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) eine Feststellung nur wegen der anerkannten Schädigungsfolge getroffen worden ist und weitere Behinderungen bislang keine Berücksichtigung gefunden haben (Bayer. LSG Beschluss vom 19. Mai 2000 – L 18 B 53/00 SB PKH = SGb 2000, 369 [Kurzwiedergabe]). Deshalb kann ein Prozesskostenhilfeantrag für eine Klage auf Feststellung des GdB nach dem SGB IX nicht wegen mutwilliger Rechtsverfolgung abgelehnt werden, wenn wegen dieser Behinderung gleichzeitig ein Rechtsstreit nach dem OEG anhängig ist (Bayer. LSG a. a. O.). Die Entscheidung darüber, ob ein schon festgestellter Prozentsatz einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ungeprüft in den Schwerbehindertenausweis übernommen wird, ist ein Verwaltungsakt (BSG Urteil vom 29. Januar 1992 – 9a RVs 9/90 = SozR 3-3870 § 4 Nr. 4 = Breithaupt 1992, 755).
Ein unbegrenzt gültiger Beschädigten-Ausweis der ehemaligen DDR, ausgestellt aufgrund der Anordnung über die Anerkennung als Beschädigte und Ausgabe von Beschädigtenausweisen vom 10. Juni 1971 (GBl. II Nr. 56 S. 493) i. d. F. der Anordnung Nr. 2 vom 18. 7. 1979 (GBl. I Nr. 33 S. 315), galt aufgrund der Bestimmungen des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) bis zum 31. 12. 1993 als Ausweis über die Eigenschaft als Schwerbehinderte; der GdB richtete sich nach der Stufe des Beschädigtenausweises und betrug 30 bis 100 (Art. 8, Anlage I, Kapitel VIII, Sachgebiet E Abschnitt III Nr. 1a bb Einigungsvertrag). Nur bis zum 31. 12. 1993 haben solche Beschädigtenausweise Bindungswirkung nach § 4 Abs. 5 SchwbG entfaltet. Seit dem 1. 1. 1994 gilt das SchwbG – und seit 1. 7. 2001 das SGB IX – uneingeschränkt und einheitlich auch für ehemalige Beschädigte der DDR, sodass es für die Höhe des GdB auf die frühere Anerkennung als Beschädigter in der DDR nicht mehr ankommen kann (vgl. LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 12. Juni 1996 – L 4 Vs 126/95, zit. nach JURIS).