Grüß Euch alle hier!
In der Welt des Schadensersatzrechtes gibt es öfters einmal etwas Neues. Eine ganz große Kanzlei, die – meines Wissens – ausschließlich Versicherungen vertritt, hat einen neuen Abzugsposten beim Verdienstentgang gefunden: Sie meinte, man müsse wegen des „Arbeitsplatzrisikos" von netto noch 20 % abziehen.
Was ist das? Was hat es damit auf sich? Was ist zu tun, wenn damit argumentiert wird?
01
Verdienstentgang wird üblicherweise netto berechnet. Gerne werden von dem netto aber von der Versicherung weitere Abzüge gemacht.
(a)
Da ist seit alters her der Einwand, man spart sich 10 % vom netto, wenn man nicht mehr arbeitet. Dazu habe ich schon öfters etwas geschrieben – aber wenn jetzt jemand wieder Fragen dazu hat, beantworte ich hätte gerne. Dieses Thema geht es heute aber nicht.
(b)
Die Versicherung steht auf dem Standpunkt, dass man wohl kaum durchgehend gearbeitet hätte, ohne einmal arbeitslos zu werden. Das wäre auch ohne den Unfall passiert, d. h., der Arbeitnehmer wäre sowieso einmal arbeitslos gewesen. Dieses Argument lässt sich grundsätzlich gesehen waren. Arbeitslosigkeit gibt es ja Deutschland.
(c)
Deshalb will die Versicherung von Nettolohn 20 % abziehen. Die größte Versicherungskanzlei Deutschlands stützt sich dabei auf 3 Urteile:
BGH (Az.: VI ZR 172/99)
Kammergericht Berlin (VersR 06/794)
BGH (Az.: VI ZR 186/08).
Was ist davon zu halten?
02
Ich habe alle 3 Urteile nachgelesen. In den beiden ersten Urteilen (BGH VI ZR 172/99 und KG Berlin, VersR06/794) steht davon nichts. (Es ist leicht, "Recht" zu haben, indem man erfindet, was in einem Urteil steht. Peinlich nur, wenn "der Lausbub dabei erwischt wird", nicht wahr?)
03
Aber im 3. Urteil (BGH VI ZR 186/08) wurde ein solcher Abzug von 20 % von Nettolohn gebilligt! Was war dort passiert?
(a)
Ein Arzt musste für einen Fehler einstehen, der ihm als Geburtshelfer unterlaufen war. Das Kind, der spätere Kläger, kann deshalb mit einem Geburtsschaden auf die Welt.
(b)
Das Kind hatte aber (außerdem, rein zufällig, ohne, dass der Geburtshelfer irgendetwas dafür konnte, also total unabhängig von diesem Geburtsschaden) eine weitere Einschränkung, nämlich eine sehr milde Form der Halbseitenlähmung, eine „Halbseiten-Schwäche“. Trotzdem lernte das Kind, inzwischen zum jungen Mann geworden, den Beruf eines Tischlers. Nach Ende der Lehre allerdings wurde unser junger Mann arbeitslos und bekam keine Arbeit.
(c)
Nun verlangte dieser junge Mann als Kläger von den Arzt (bzw. dessen Versicherung) entgangenen Gewinn. Er sagte: "Ich finde wegen des Geburtschadens und seiner Folgen keine Arbeit".
(d)
Da kam der Einwand: “Mag sein. Aber auch ohne den Geburtschaden: Auch mit einer Halbseitenschwäche hättest Du es sehr schwer gehabt, als Tischler Arbeit zu finden. Voraussichtlich wärest Du schon allein deshalb immer wieder mal arbeitslos geworden". In diesen Zeite der Arbeitslosigkeit hättest Du sowieso keine Lohn verdient.
Das setzte sich durch. Der BGH zog wegen der Folgen der Halbseitenschwäche 20 % ab.
04
Daraus zieht jetzt diese Versicherungskanzlei den Schluss, dass man immer 20 % vom Nettolohn für das Arbeitsplatzrisiko abziehen müsse. Auch ohne so einen zusätzlichen "Sowieso"-Schaden wie die Halbseitenschwäche des Schreiner.
05
Das ist zwar mutig, aber in dieser Form natürlich nicht richtig, und in Höhe von 20 % schon gleich gar nicht.
(a)
Wer arbeitslos wird, bekommt in der Regel Arbeitslosengeld. Er fällt also nicht auf 0,00 € zurück, sondern bekommt weiterhin Geld (wenngleich weniger als das Netto, natürlich). Wenn aber jemanden wegen des Unfalles Arbeitslosengeld entgeht (zum Beispiel, weil er nicht mehr einbezahlt hat), dann ist das entgangene Arbeitslosengeld genauso zu entschädigen wie entgangenen Verdienst.
(b)
Selbst dann, wenn es kein Arbeitslosengeld gäbe, das einem Unfallopfer entgeht, weil es nicht einzahlt:
Wenn man generell 20 % für das Arbeitsplatzrisiko abziehen will, dann müsste ja allgemein eine Risiko bestehen, und zwar in Höhe von 20 %, dass man arbeitslos wird. Wir haben aber nicht 20 % Arbeitslosigkeit, sondern derzeit – wegen Corona – eine Arbeitslosigkeit von 6,3 %.
(c)
Dann muss man sich genauer anschauen, welche Arbeitslosigkeitsrisiken man hätte, wäre der Unfall nicht passiert.
Wer wird denn vor allem von Arbeitslosigkeit betroffen?
- Derjenige, der keine Berufsausbildung hat
- wer unzureichende Sprachkenntnisse hat
- wer in einer Gegend wohnt, die sowieso von viel Arbeitslosigkeit heimgesucht ist
- wer einen Beruf hat, für den es wenig Bedarf gibt (zum Beispiel: Fotografen; Fremdsprachenkorrespondenten).
Wenn Du nicht zu dieser Risikogruppen gehörst, dann darfst Du nicht von 6,3 % Arbeitslosenrisiko ausgehen,
denn diese 6,3 % sind stark nach oben getrieben durch die Arbeitslosen, die man wirklich schlecht vermitteln kann – und die gibt es, sonst gäbe es keine Langzeitarbeitslosen. Wärest Du (einen Unfall einmal weggedacht) so ein Fall gewesen?
(d)
Das alles sind Überlegungen, die dann im Prozess durchgearbeitet werden müssen.
06
Ich bekomme aus allen Ecken der Bundesrepublik Deutschland Urteile zugeschickt und Beschreibungen, wie der Prozess gelaufen ist. Das Landgericht Passau stand vor so einem Fall, in dem eine ganz normale Sekretärin durch den Unfall erwerbsunfähig wurde. Das Landgericht fand den Einwand „20 % Abzug für das Arbeitsplatzrisiko“ für sowas von irrelevant, dass sich das Landgericht in seinem Urteil nicht einmal damit befasste.
Damit darfst Du nicht rechnen. Du musst anders umgehen. Für den Fall, dass der Einwand kommt, trage fest vor, was dafür spricht: selbst wenn die Welt um Dich herum arbeitslos geworden wäre, Du hättest Deine Arbeit behalten!
07
Das ganze erinnert mich an dies sehr häufigen Versuche, pauschal vom Nettolohn 10 % dafür abzuziehen, dass man ja jetzt nicht mehr arbeiten muss und dass man sich damit Kosten, die mit der Berufsausübung verbunden sind, erspart. Da ist es genau das gleiche. Häufig lässt sich herausfinden, dass für die 10 % Abzug kaum eine Grundlage da sind. So kommt es vor, dass es bei entsprechender Geggenwehr nur zu gar keinen Abzügen kommt oder solchen zwischen 0 % und 5 %. Das hängt stark von den einzelnen Faktoren ab, insbesondere vom Arbeitsweg. Und ich habe schon öfters gesehen, dass es entweder zu überhaupt keinen Abzügen kommt oder jedenfalls zu wesentlich geringeren als 10 %.
Man sage nicht, da gehe es nur um kleine Beträge. Wenn jemand netto 3000,00 € im Monat - ohne den Unfall- hätte und er ist erreicht, dass ihm nicht 10 % für berufsbedingte Aufwendungen abgezogen werden, sondern nur 3 %, dann macht das im Lauf von 20 Jahren über 50.000 € aus. Davon kann man sich oft schon ein Appartement kaufen. Willst Du es herschenken?
ISLÄNDER
In der Welt des Schadensersatzrechtes gibt es öfters einmal etwas Neues. Eine ganz große Kanzlei, die – meines Wissens – ausschließlich Versicherungen vertritt, hat einen neuen Abzugsposten beim Verdienstentgang gefunden: Sie meinte, man müsse wegen des „Arbeitsplatzrisikos" von netto noch 20 % abziehen.
Was ist das? Was hat es damit auf sich? Was ist zu tun, wenn damit argumentiert wird?
01
Verdienstentgang wird üblicherweise netto berechnet. Gerne werden von dem netto aber von der Versicherung weitere Abzüge gemacht.
(a)
Da ist seit alters her der Einwand, man spart sich 10 % vom netto, wenn man nicht mehr arbeitet. Dazu habe ich schon öfters etwas geschrieben – aber wenn jetzt jemand wieder Fragen dazu hat, beantworte ich hätte gerne. Dieses Thema geht es heute aber nicht.
(b)
Die Versicherung steht auf dem Standpunkt, dass man wohl kaum durchgehend gearbeitet hätte, ohne einmal arbeitslos zu werden. Das wäre auch ohne den Unfall passiert, d. h., der Arbeitnehmer wäre sowieso einmal arbeitslos gewesen. Dieses Argument lässt sich grundsätzlich gesehen waren. Arbeitslosigkeit gibt es ja Deutschland.
(c)
Deshalb will die Versicherung von Nettolohn 20 % abziehen. Die größte Versicherungskanzlei Deutschlands stützt sich dabei auf 3 Urteile:
BGH (Az.: VI ZR 172/99)
Kammergericht Berlin (VersR 06/794)
BGH (Az.: VI ZR 186/08).
Was ist davon zu halten?
02
Ich habe alle 3 Urteile nachgelesen. In den beiden ersten Urteilen (BGH VI ZR 172/99 und KG Berlin, VersR06/794) steht davon nichts. (Es ist leicht, "Recht" zu haben, indem man erfindet, was in einem Urteil steht. Peinlich nur, wenn "der Lausbub dabei erwischt wird", nicht wahr?)
03
Aber im 3. Urteil (BGH VI ZR 186/08) wurde ein solcher Abzug von 20 % von Nettolohn gebilligt! Was war dort passiert?
(a)
Ein Arzt musste für einen Fehler einstehen, der ihm als Geburtshelfer unterlaufen war. Das Kind, der spätere Kläger, kann deshalb mit einem Geburtsschaden auf die Welt.
(b)
Das Kind hatte aber (außerdem, rein zufällig, ohne, dass der Geburtshelfer irgendetwas dafür konnte, also total unabhängig von diesem Geburtsschaden) eine weitere Einschränkung, nämlich eine sehr milde Form der Halbseitenlähmung, eine „Halbseiten-Schwäche“. Trotzdem lernte das Kind, inzwischen zum jungen Mann geworden, den Beruf eines Tischlers. Nach Ende der Lehre allerdings wurde unser junger Mann arbeitslos und bekam keine Arbeit.
(c)
Nun verlangte dieser junge Mann als Kläger von den Arzt (bzw. dessen Versicherung) entgangenen Gewinn. Er sagte: "Ich finde wegen des Geburtschadens und seiner Folgen keine Arbeit".
(d)
Da kam der Einwand: “Mag sein. Aber auch ohne den Geburtschaden: Auch mit einer Halbseitenschwäche hättest Du es sehr schwer gehabt, als Tischler Arbeit zu finden. Voraussichtlich wärest Du schon allein deshalb immer wieder mal arbeitslos geworden". In diesen Zeite der Arbeitslosigkeit hättest Du sowieso keine Lohn verdient.
Das setzte sich durch. Der BGH zog wegen der Folgen der Halbseitenschwäche 20 % ab.
04
Daraus zieht jetzt diese Versicherungskanzlei den Schluss, dass man immer 20 % vom Nettolohn für das Arbeitsplatzrisiko abziehen müsse. Auch ohne so einen zusätzlichen "Sowieso"-Schaden wie die Halbseitenschwäche des Schreiner.
05
Das ist zwar mutig, aber in dieser Form natürlich nicht richtig, und in Höhe von 20 % schon gleich gar nicht.
(a)
Wer arbeitslos wird, bekommt in der Regel Arbeitslosengeld. Er fällt also nicht auf 0,00 € zurück, sondern bekommt weiterhin Geld (wenngleich weniger als das Netto, natürlich). Wenn aber jemanden wegen des Unfalles Arbeitslosengeld entgeht (zum Beispiel, weil er nicht mehr einbezahlt hat), dann ist das entgangene Arbeitslosengeld genauso zu entschädigen wie entgangenen Verdienst.
(b)
Selbst dann, wenn es kein Arbeitslosengeld gäbe, das einem Unfallopfer entgeht, weil es nicht einzahlt:
Wenn man generell 20 % für das Arbeitsplatzrisiko abziehen will, dann müsste ja allgemein eine Risiko bestehen, und zwar in Höhe von 20 %, dass man arbeitslos wird. Wir haben aber nicht 20 % Arbeitslosigkeit, sondern derzeit – wegen Corona – eine Arbeitslosigkeit von 6,3 %.
(c)
Dann muss man sich genauer anschauen, welche Arbeitslosigkeitsrisiken man hätte, wäre der Unfall nicht passiert.
Wer wird denn vor allem von Arbeitslosigkeit betroffen?
- Derjenige, der keine Berufsausbildung hat
- wer unzureichende Sprachkenntnisse hat
- wer in einer Gegend wohnt, die sowieso von viel Arbeitslosigkeit heimgesucht ist
- wer einen Beruf hat, für den es wenig Bedarf gibt (zum Beispiel: Fotografen; Fremdsprachenkorrespondenten).
Wenn Du nicht zu dieser Risikogruppen gehörst, dann darfst Du nicht von 6,3 % Arbeitslosenrisiko ausgehen,
denn diese 6,3 % sind stark nach oben getrieben durch die Arbeitslosen, die man wirklich schlecht vermitteln kann – und die gibt es, sonst gäbe es keine Langzeitarbeitslosen. Wärest Du (einen Unfall einmal weggedacht) so ein Fall gewesen?
(d)
Das alles sind Überlegungen, die dann im Prozess durchgearbeitet werden müssen.
06
Ich bekomme aus allen Ecken der Bundesrepublik Deutschland Urteile zugeschickt und Beschreibungen, wie der Prozess gelaufen ist. Das Landgericht Passau stand vor so einem Fall, in dem eine ganz normale Sekretärin durch den Unfall erwerbsunfähig wurde. Das Landgericht fand den Einwand „20 % Abzug für das Arbeitsplatzrisiko“ für sowas von irrelevant, dass sich das Landgericht in seinem Urteil nicht einmal damit befasste.
Damit darfst Du nicht rechnen. Du musst anders umgehen. Für den Fall, dass der Einwand kommt, trage fest vor, was dafür spricht: selbst wenn die Welt um Dich herum arbeitslos geworden wäre, Du hättest Deine Arbeit behalten!
07
Das ganze erinnert mich an dies sehr häufigen Versuche, pauschal vom Nettolohn 10 % dafür abzuziehen, dass man ja jetzt nicht mehr arbeiten muss und dass man sich damit Kosten, die mit der Berufsausübung verbunden sind, erspart. Da ist es genau das gleiche. Häufig lässt sich herausfinden, dass für die 10 % Abzug kaum eine Grundlage da sind. So kommt es vor, dass es bei entsprechender Geggenwehr nur zu gar keinen Abzügen kommt oder solchen zwischen 0 % und 5 %. Das hängt stark von den einzelnen Faktoren ab, insbesondere vom Arbeitsweg. Und ich habe schon öfters gesehen, dass es entweder zu überhaupt keinen Abzügen kommt oder jedenfalls zu wesentlich geringeren als 10 %.
Man sage nicht, da gehe es nur um kleine Beträge. Wenn jemand netto 3000,00 € im Monat - ohne den Unfall- hätte und er ist erreicht, dass ihm nicht 10 % für berufsbedingte Aufwendungen abgezogen werden, sondern nur 3 %, dann macht das im Lauf von 20 Jahren über 50.000 € aus. Davon kann man sich oft schon ein Appartement kaufen. Willst Du es herschenken?
ISLÄNDER