Spätfolgen SHT
Hallo Sabine,
ich kann dir aus meiner persönlichen Erfahrung erzählen, dass ich knapp 10 Jahre nach dem Unfall mit offiziell SHT1 immer noch Probleme habe. Besonders kurz zurückliegende Tätigkeiten sind wie weggewischt. Ich weiß, dass ich im Waschraum war, weiß aber nicht ob ich die Waschmaschine oder den Trockner angestellt habe. Auch alle Tricks helfen dem Gedächtnis nicht auf die Sprünge - ich muss nochmals den Weg machen und es nachschauen.
Es ist nicht so, dass ich es kontrolliere, damit ich sicher bin, sondern ich habe diese doppelten Wege in meinen Alltag eingebaut. Beim Einkaufen lerne ich die Liste auswendig, indem ich mir aus den Buchstabenanfängen ein Wort bastle, das ich mir merken kann. Oder ich stelle mir einen Essteller mit den Lebensmitteln bildlich vor, dann kann ich es mir leichter merken. Doch immer noch verlasse ich den Supermarkt und bin mir sicher, dass von 10 Dingen zwei nicht habe.
Manchmal gehe ich dann in aller Ruhe nochmal zurück, gehe durch die Reihen und wenn ich dann die Milchpackung sehe, dann weiß ich es erst wieder, was gefehlt hatte. Das ist ein mühsamer aber gehbarer Weg für mich, gerade wenn du dir vorstellst, dass ich vorher pro Woche in 9 verschiedenen Schulklassen in 5 verschiedenen Fächern bis zu 270 verschiedene Schüler unterrichtet habe.
Das zweite ist mein langsames Reaktionsvermögen, bei jeder Testung durch Neurologen hieß es, das müssten wir der Führerscheinstelle melden, so dürften sie gar nicht mehr Auto fahren. Ich habe es als Provokation der Tester eingestuft um mehr von mir zu verlangen, obwohl ich am Limit war und fahre eigentlich nur, wenn ich einigermaßen stabil bin - auch länger als ne halbe Stunde am Stück ist nicht immer möglich. Nach wenigen Minuten der Testung schleichen sich stetig mehr Fehler ein.
Früher galt ich als jemand mit einem sehr guten Zahlengedächtnis - heute stehe ich vor dem Bankomat und kann die Geheimzahl nur über die Fingerbewegungen mir wieder bewusst machen. Und diese Zahl habe ich auch schon vor dem Crash gehabt.
Meine Belastbarkeit ist stark eingeschränkt, bei normalem Alltagsstress (4-köpfige Familie mit zwei Schulkindern) gibt es wöchentlich Phasen, da geht alles noch langsamer. Es ist ein Leben mit angezogener Handbremse. Jeder Gedanke, jede Handlung ist nicht mehr so wie es mal war. Meinen geliebten Beruf musste ich aufgeben, nicht mal regelmäßig Nachhilfeunterricht schaffe ich, aber das zieht mich nicht mehr runter.
Ich habe mit Hilfe einer Psychotherapie gelernt, mich selbst nicht abzuwerten, sondern für mich dieses Schmalspurleben bewußt wahr zu nehmen - egal was andere können, egal wie es andere werten -, es gibt vieles das ich kann, ich sitze nicht im Rollstuhl, ich habe überlebt, ich kann sehen, hören, essen, trinken, laufen ich kann meine Kinder aufwachsen sehen. Alles andere lässt sich managen. Die Phase des Depressiontief liegt hinter mir. Ich gestatte mir mal traurig zu sein, mal nicht zu funktionieren, mal an mich als erstes zu denken. So leb ich jeden Tag und bin dankbar ihn bewußt leben zu können.
Manche Gutachter, Ärzte tun das ab, als Nebenwirkung von Tabletten, mangelnde Willensanspannung, einer sagte sogar, der Gedächtnistest bei mir wäre so schlecht, dass das 90jährige im Seniorenheim besser könnten und stellen einen als Simulanten mit Begehrensneurose dar. Es gibt aber auch andere, die Spätfolgen anerkennen und durch deren Diagnose ich im Mai 2009 endlich eine Unfallrente vor Gericht erstreiten konnte.
Jeder Arzt von anfang an ob, Klinik, Reha, ambulante Begleitung haben mir Mut gemacht, es braucht Zeit, das wird schon wieder, es wird langsam aber stetig besser werden. Aber ist nach ca 1-2 Jahren auf einem Level stehen geblieben, trotz Hirnjogging, Lernstrategien, Psychologischer Begleitung.
Also Mut, Mut, Mut es lohnt sich was zu tun, lernen ist wie Schmimmen gegen den Strom, hört man auf, treibt man zurück.
Spätfolgen können sich verstärken, müssen es aber nicht.
Gruß Teddy