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Schwerer Unfall - Wie lange kann es bis zur Reanimation gedauert haben?

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Liebe Kasandra, ich danke auch dir für's Mitdenken und dafür, dass du mir Perspektiven zeigen möchtest.

Die Lage ist aber etwas anders. Es war keine Liebschaft, sondern er war für mich eher ein väterlicher Freund, bei dem ich viel gelernt habe und der seit Jahren in schwierigen Situationen immer die richtigen Worte für mich hatte. Wir haben gemeinsam an einem sozialen Projekt gearbeitet. Daneben haben wir beide aber auch unsere eigenen Familien. Ich habe seiner Frau meine Unterstützung sofort angeboten, aber sie braucht jetzt wohl erstmal etwas Zeit, um sich selbst in der Situation zurecht zu finden. Sie sagt, sie wird sich melden und wir bleiben in Kontakt. Das wünsche ich mir auch. Aber jetzt erstmal sofort geht da nichts.
 
Grüß Dich, BeateT!

01
Schade, dass Dir die Idee mit den Tieren nicht zusagt. Ich muss aber zugeben, dass diese Idee dann, wenn man Haustiere nicht gewohnt ist, nicht sehr griffig erscheint.

02
Allein aber ist es sehr viel schwieriger. Sicher, ab und zu allein sein ist gut und auch zeitweise notwendig. Aber auf die Dauer macht Einsamkeit einsam.


(a)
Ich stimme Kassandra zu, Du kannst auch gemeinsam mit den anderen trauern, die eine ähnlich blutende Wunde haben.

(b)
Es ist sehr viel besser, gemeinsam zu sein.

(c)
Der Mensch ist ein Herdentier. Die ursprüngliche Form des Daseins von Menschen in der Steinzeit war eine Gruppe, die einige bis wenige Dutzend Mitglieder hatte. Das steckt in uns drin.

(d)
Man kann auch allein eine ganze Weile lang existieren, glücklicher wird man damit auf Dauer nicht. Wenn man in Deiner Situation ist, kann es vorkommen, dass man sich das geradezu wünscht, alleingelassen zu werden. Kurzzeitig geht das. Es ist sogar kurzzeitig gut. Man muss ja auch einmal Zeit und Musse haben, einfach nachzudenken.
Für die Bewältigung der Dinge ist es aber auf die Dauer keine gute Idee.

Man braucht Herde. Die Herde gibt einem Schutz, die Herde gibt einem aber auch Selbstbestätigung (= "das gute Gefühl, wenn man für die anderen etwas Gutes getan hat“).

(e)
Machen wir die Nagelprobe!

(ea)
"Tante Anni" wird ja von ihrer Herde nicht ausreichend wahrgenommen und Du siehst, was ihr passiert. Sie fällt in ein Loch. Das sollte nicht passieren. Du hast schon mitbekommen, was es damit auf sich hat. Keine prickelnde Erfahrung!

(eb)
Als Du verletzt wie Tante Anni dagestanden bist, bist Du (nicht, weil Du das so besucht hast) auf eine andere Herde gestoßen. Zufall. Aber auch das Forum ist eine Herde. In diser Herde hat man Deine Gefühle gesehen und gesehen, was Du brauchst. Und woran Du leidest.

Einen Funken Verständnis, ein wenig Übereinstimmung, etwas Mitgefühl, und als es im Forum gebrummt hat, "Oh, ja! Dergleichen kenne ich, ich sehe, was sich bewegt", da hast Du sofort darauf und sehr kräftig darauf angesprochen und hast sehr deutlich geantwortet - Du hast Dich sofort in die Mitte genommen gefühlt. Das hat Dir gut getan.

"Good vibrations....". Du konntest etwas loslassen, die Tränen haben das gezeigt. Endlich Anlehnung! Nun ich gestehe, das hatte ich auch gehofft, dass es so kommt.

(f)
Kassandra hat uns wieder gute Ideen geliefert. Vielen Dank, liebe Kassandra, dass Du Beate zur Hilfe kommst!

Und mit Blick zu Dir, BeateT:

Es ist immer möglich, dass jemand eine Idee liefert, die bei Dir nicht so recht funktioniert. Das macht nichts. Vielleicht bringt Dir gerade die Idee, die direkt nicht funktionieren will, eben eine andere Idee, die dann funktioniert. Oder ein Dritter, der hier mitliest, kommt daher: "So kann man das nicht machen, weil (es folgt der Begründung), aber wenn man es umdreht, spiegelt und auf den Kopf stellt, dann funktioniert's") - und irgendwann einmal ist die richtige Idee da. Die, die Dir weiterhilft. Also muss man solche Ideen wälzen, von allen Seiten betrachten.

Kassandra, liebe BeateT, hat auch weiß Gott allerhand erlebt. Die weiß schon, von was sie spricht. Kassandra es deshalb in unserer Herde sehr wichtig und genießt höchstes Ansehen. Wenn sich Kassandra meldet, schaue ich immer genau hin, das ist immer ratsam, sich genau anzuhören, was sie mitteilt.

Und ich freue mich (= Herdenhilfe für mich!) , dass ich mit Kassandra in den meisten Fällen aus voller Überzeugung zustimmen kann.

(Kassandra braucht jetzt nicht rote Ohren zu bekommen. Das ist wirklich so.)


ISLÄNDER
 
Zuletzt bearbeitet:
Du schreibst wirklich rührend, lieber Isländer. Und du hast vollkommen Recht. Der Mensch ist ein Herdentier und braucht andere Menschen, die ihn verstehen. Ich fühle mich von euch gut verstanden und das tut mir gut.

Ich darf euch etwas Schönes berichten. Die Frau von meinem Freund hat mich gestern angerufen. Wir haben über das gesprochen, was passiert ist und wie es nun Not gedrungen weiter geht. Wir haben uns aber auch an Vieles erinnert, was schön war. Das war bestimmt für uns beide heilsam. In den beiden Stunden habe ich mich relativ gut gefühlt. Ich konnte jetzt auch noch ein kleines Bisschen mehr erfahren.

Nun irre ich hier aber wieder alleine durch die Gegend. Danke, dass ich mich anlehnen darf.
 
Grüß Dich, BeateT!

Fein, dass ihr beiden zusammenfindet! Das ist mal richtig gut.


01
Es gibt dabei etwas, nun, da fließen garantiert die Tränen. Aber genau das ist ja gut. Gemeinsam Fotoalben anschauen.

02
Denk dran, die Frau Deines Freundes, der geht es ja nicht besser. Jetzt liegt viel an Dir. Denn in so einer Lebenlage sind viele Menschen doch sehr scheu:

Vor lauter "Haltung bewahren" traut sich mancher nicht, sich zu öffnen. Das mit der "Haltung bewahren", das ist nur sehr beschränkt ein brauchbares Mittel. (Das hätte die Lebensumgebung von Tante Anni gern, damit die Umgebung um Tante Anni herum nicht überlegen muss, was sie tun sollen - und unbehelligt bleiben in ihrer Hilflosigkeit, mit Tante Anni umzugehen!)

Also - der Bedarf der Ehefrau, nun, der ist ganz ähnlich Deinem Bedarf. Das darf Dir Mut geben, mit ganz feinen Ohren zu hören, was sie braucht. Es ist an Dir, ganz vorsichtig herauszufinden, wie die Gefühle Deiner Auch-trauernden zu erspüren.

03
Was meinst Du?:

(a)
Ist Musik etwas für Dich? Bei Alan Parson findet sich "Old and wise", "silnece and I" - wenn Du mit den Balladen von Alan Parson, Simon and Garfunkel, Mike Oldfield etwas anfangen kannst, ist es eine Idee, und wenn Du diese Musik noch gar nicht kennst, dann ist es vielleicht einen Versuch wert.

(b)
Was habt ihr drei denn immer besonders gern gemacht? Dann erzähle mal, natürlich nur, wenn Du willst. Vielleicht bringt mich das auf etwas.

(c)
Es ist mit diesen Ideen so wie der Gedanke mit den Tieren. Es gibt Menschen, denen hilfts unglaublich. Das passte aber nicht bei Dir. Nun, da brauchst Du etwas anderes.

(d)
Ich suche gerade ein wenig herum, was Dir helfen könnte.

Bitte habe da etwas Geduld mit mir, ich muss da ein wenig herumgehen und schauen, was Dir helfen könnte, das ist jetzt ein wenig "ausprobieren, was passen könnte".

Wenn's Dir aber zuviel wird, was ich Dir vorschlage - dann sag's, dann warte ich geduldig, bis Du vielleicht wieder nachfragst. Ich bin ja nicht weg. Ich bin immer wieder im Forum anzutreffen, und wenn Du mal 20 (oder 25?) Beiträge geschrieben hast, dann kann man auch eine Privatnachricht schicken. Das ist dann eine direkte Kontaktaufnahme, die die anderen nicht sehen. Was aber nicht wirklich "privatissime" ist, das ist besser im öffentlichen Teil. Da kann vielleicht mal jemand vorbeischauen, der Gutes beiträgt.

ISLÄNDER
 
Zuletzt bearbeitet:
Was für ein Geschenk, lieber Isländer!

Ich heule hier schon wieder Rotz und Tränen, denn mein lieber Freund hat mir in all den Jahren so viel schöne Musik verlinkt, dass ich sie nicht zählen kann. Und ich war jedes Mal so gespannt darauf, was jetzt als Nächstes kommt. Mir hat fast alles gefallen. Vieles an ihm, aber auch seine Musik hat meinen Horizont so erweitert. - Nun wird er mir nie wieder ein Lied schicken. Stattdessen bekomme ich nun gleich zwei Lieder von dir. Das fühlt sich neu und auch schön an. Ich habe sie mir sofort angehört und sie waren schön. Schade, dass ich sie nicht mehr direkt weiterreichen kann. Simon and Garfunkel hat er mir auch mal verlinkt, Alan Parson nicht.

Und ja, ich möchte gerne für die liebe Frau meines lieben Freundes da sein. Habe es ihr immer wieder angeboten, auch schon vor dem Unfall. S. hatte ja mit Angststörungen zu tun. Das ging über Jahre und war für sie nur schwer auszuhalten. Sie hat aber schon in ihrer Familie Menschen, die sie auffangen. Da braucht sie mich, denke ich, nicht so sehr. Sie hat uns vor 2 Monaten mal von sich aus besucht und da hatten wir eine schöne Zeit zusammen. Ich kann ihr aber nur das geben, was sie von mir annimmt. - Jetzt nach dem Unfall erscheint sie mir stärker als ich. Weiß nicht, ob das "Haltung bewahren" ist. Sie hatte eine Reha und da hat sie gelernt, mit diesen Dingen umzugehen. Außerdem hat sie jeden Tag einen depressiven Mann gesehen und konnte selbst kaum noch. Bin mir nicht sicher, ob sie auch in gewisser Weise Erleichterung spürt.

Was haben wir gemacht? Ich habe ja in erster Linie mit ihm kommuniziert. Wir hatten ein gemeinsames Projekt, in dem es um die Rechte von schwerstbehinderten Menschen ging. Da haben wir uns manchmal getroffen und überlegt, was wir tun können. Wir waren auch einige Male zusammen bei Politikern und anderen Menschen, die uns vielleicht weiterhelfen konnten. Wir haben uns aber sehr gut verstanden und deshalb auch viel über Politik, Weltanschauung und Menschenrechte debattiert. Wir haben uns da auch häufiger dolle gestritten, aber nie so, dass es aus war. Das waren nicht die interessanten Themen für seine Frau. Wenn ich aber bei ihnen zu Hause war, dann hat sie mich immer sehr herzlich empfangen und hat für uns alle etwas Schönes zum Essen gekocht. Manchmal haben wir uns auch im Restaurant getroffen und manchmal kam sie mit. Dann haben wir eher über Alltsagsthemen geredet. Es war trotzdem immer unterhaltsam. - In meinen Augen haben die beiden eine sehr schöne Ehe geführt. Sie sind so rührend miteinander umgegangen, dass mir das Herz leuchtete. Ich glaube, das hat sie zuletzt fast vergessen. Ich musste sie daran erinnern.
 
Grüß Dich, BeateT!

Ah - Musik! Da sind wir also zusammengekommen, sehr schön!

Waren es die melodischen Wege des Klanges, der Dich mitgenommen hat auf eine Reise? Das öffnet sich ja zuerst. Man kann beide Lieder oft hören - und hört immer wieder etwas anderes heraus.

Irgendwann wirst Du nach den Texten fragen. "Old and wise" erweitert, was die Meoldie andeutet. Da nimmt jemand Abschied von den Seinen. Zuletzt noch: "...as far as my eyes can see....", "soweit meine Augen zu sehen vermögen, ...." - und was er jetzt noch zu sagen hat, das spricht er nicht mit Worten. Die letzten Sätze werden nicht gesprochen. Sie müssen nicht gesprochen werden. Sie verdichten sich in der Musik und bedürfen der Worte nicht mehr. Der "old and wise" man hinterläßt seine Musik seiner Nachwelt.

Jetzt habt ihr es: Er spricht mit Euch durch Musik, die er Euch geschenkt hat.
Die hat er für Euch hinterlassen.

Es wird alles gut.

ISLÄNDER
 
Ja, lieber Isländer, seine Musik wird immer bei mir und bei uns sein. Das ist schön, aber auch schmerzlich.

Und zumindest das ist nicht unbedingt etwas Neues. Denn er war ja schon lange nicht mehr in der Lage, wirklich zu sprechen. Man konnte mit ihm schon lange fast nur noch über Musik kommunizieren.

Ich hatte mir gestern schon die Texte zu deinen Liedern angeschaut. Das ist eine Angewohnheit von mir. Ich verstehe die englischen Texte meist nicht so gut und schaue auf die deutsche Übersetzung. Trotzdem danke für deine Erklärung, auf die bin ich nämlöich nicht gekommen.

Ich frage mich, ob ich seine Musik jemals wieder unbeschwert werde hören können. ...
 
Grüß Dich, BeateT!

Du wirst, nehme ich an, gerade solch ansprechende Musik nicht mehr so hören wie früher. Das macht aber nichts. Du gewinnst etwas.
Am Anfang wirst Du heulen wie ein Schlosshund, ja. Später wird Dir warm ums Herz, wenn Du "seine Musik" hörst.

Musik ... paßt manchmal zu Architektur. Auch die kann anfangen zu sprechen.
Auf Island hatte ein Mann namens Hallgrim eine Idee für eine überaus vielsagende Gestalt eines Kirchturmes. Er hat ihn gebaut Hallgrimskirkja hat einen sehr eigenwilligen, sehr sprechenden Turm. So viele streben dem Turm zu.

Im Internet ist er leicht zu finden.

Aber er spricht nicht alle an. Wenn er Dir aber zu steinig vorkommt und zu hart erscheint:

Dann gibt es für Dich einen anderen Turm, an dessen Mauern man sich gut anlehnen kann, schon seit 800 Jahren, was durchaus beruhigend ist: Der Turm hat auch schon einiges zu sehen bekommen.

Gemeint ist der Kirchturm auf der Fraueninsel im Chiemsee. Faszinierend, wie dieser gar nicht mal so besonders große Turm die Insel gestaltet.

Vielleicht gibt es in Deinen Fotosammlungen ein Bild von Euch, das Euch beide zeigt - und auch ein gelassenes, ruhiges und doch konzentriert wirkendes Bauwerk, das Euch dann verbindet.

ISLÄNDER
 
Danke, lieber Isländer, dass du noch da bist. Es tut mir gut, dass mich jemand versteht und darum bemüht ist, dass es mir besser geht. Für die Menschen in meinem Umfeld ist das Thema leider schon beendet und ich muss allein damit klar kommen.

Es gibt nur ein Foto von uns beiden auf einer Demo, das recht verschwommen und schlecht gelungen ist. Aber ich habe schon das Versprechen erhalten, dass ich ein ordentliches Foto von ihm bekomme. Das ist ein kleines bisschen tröstlich.

Von Architektur verstehe ich nicht so viel, aber es ist trotzdem schön, dass du sie herangezogen hast. Mein lieber Freund war nämlich fasziniert von Architektur und er hat mir oft etwas darüber erzählt und erläutert. Ich habe mir leider nicht merken können, was er da gesagt hat, aber ich erinnere mich, wie er es gesagt hat. Er hat so schön jedes kleine Detail erwähnt und Hintergründe erläutert, dass es eine Freude war.
 
Grüß Dich, BeateT,


also Architektur hat er Dir gezeigt und bis ins letzte Detail erklärt. Und Musik hat er Euch gegeben, Musik interpretierst Du auch selbst, Du verstehst davon offensichtlich etwas: Sonst hättest Du nicht gestaunt, wie ich das Ende des Songs "old and wise" sehe! Du bist also ein Mensch mit Kunstverständnis. Kultur ist also ein Thema, das Euch verbindet.

Solche Menschen, solche wie Du also haben dann ihrerseits irgendetwas, was sie ihrer Herde erklären, erzählen. Etwas, was Dich besonders anspricht.

Was war "Dein Thema, Dein Faszinosum"-?

Geschichte könnte es sein - vielleicht, ich habe jetzt nur geraten.
Daneben? Nun, was ist dann Dein Thema, aus dem Du gerne beisteuerst?

(Damit, meine lieben Freunde, jetzt riskiere jetzt einiges. Hoffentlich ist es nichts, von was ich keinen Dunst habe. Gute Güte, jetzt wird's womöglich für mich peinlich, und ich kann womöglich nur sagen: "Herr, in meinem Kopf ist nur Nebel..." (Don Camillo). Jetzt, liebe Freunde, dürft ihr gespannt sein, ob ich gleich in der Tinte sitz oder nicht! Aber, Freunde, ihr wißt ja: Die Isländer sind ein durchaus mutiges Völkchen. Brauchst Du auch am Polarkreis.

ISLÄNDER
 
Einen lieben Gruß zurück, lieber Isländer. Und danke, dass du so viel nachfragst. Ich erzähle gerne über meinen lieben Freund. Ich möchte aber auch nicht allzu Persönliches allzu öffentlich schreiben. Deshalb freue ich mich schon darauf, wenn ich dir eine persönliche Nachricht schicken kann. Falls es dich dann wirklich weiter interessiert.

Der absolute Kunstinteressent und -versteher war mein lieber Freund. Ich selbst habe mich immer für Musik interessiert, aber nicht für so viele Musikrichtungen wie er. Ich habe Musik gehört, weil ich sie schön fand. Habe schon immer gerne auf Texte gehört und auf das, was sie mir sagen. Ich mochte schon immer am Liebsten Rock und Pop-Musik. Mein Freund aber hat nicht nur das gehört, sondern auch klassische Musik, Orgel zum Beispiel, oder Stücke mit Schlagzeug. Und er kannte auch aus dem Rock und Pop viel mehr als ich. Ihn interessierte nicht nur der Wohlklang, sondern auch Musik mit Reibungen und Dissonanzen. Er brachte mir ein Stück nach dem Anderen, das ich als ganz besonders empfand. Manches hätte ich mir nie angehört, aber er hat es geschafft, mich dafür zu begeistern. Er hat mir den Unterschied erklärt zwischen Kunst und Kitsch in der Musik, den ich zuvor nicht wahrgenommen habe. Die Texte erschienen ihm wohl zweitrangig. Er hörte die Musik und verstand sie auch ohne Text.

Mein Freund hat mir auch Gemälde gezeigt. Dafür hatte ich ebenfalls vorher so gar kein Verständnis. Ich fand immer Gemälde schön, die fast wie ein Foto aussehen. Weil ich es als eine unglaubliche Kunst betrachte, so real malen zu können. Mein Freund hingegen mochte Bilder, die ganz verschwommen aussehen. Er konnte dabei mehr Phantasie haben. Und nachdem er mir das erklärt hatte, mochte ich diese Bilder auch lieber. Genauso oder soähnlich erzählte er dann eben auch über Architektur. - Und ich sagte ja, ich verstand nicht wirklich etwas davon. Aber WIE er das erzählt hat, das war einmalig. Mein Freund war einfach mitreißend.

Und ja, interpretieren, philosophieren, wie ist etwas gemeint, wie könnte etwas gesehen werden, das war so etwas, was uns beide verband. Da hatten wir verschiedene Themen jenseits von Kunst, über die wir uns mal heftig gestritten haben und bei denen wir uns ein anderes Mal sehr einig sein konnten. Eine solche Kommunikation habe ich noch nie mit einem anderen Menschen so intensiv geführt. Und auch da habe ich gefühlt, dass er ein ganz besonderer Mensch ist. Er war bereit, mit mir da weiter zu diskutieren, wo andere längst dicht gemacht hätten.

Ich habe heute eine Frau getroffen, der ich nur ein kleines Bisschen was über meinen Freund erzählt habe. Sie sagte: "Menschen mit Depressionen sind oft Genies." - Und damit hat sie wohl recht. Zumindest traf das auf meinen Freund zu. Er war einfach ein Genie. Ich hatte ein ganz besonderes Glück, einen ganz besonderen Menschen zu treffen. - Und jetzt habe ich eben das ganz besondere Pech, diesen ganz besonderen Menschen schon nach 9 Jahren, die ich ihn kannte, wieder zu verlieren. ...

Und lieber Isländer, es kommt gar nicht darauf an, ob du von einem Thema Dunst hast oder nicht. Das Besondere an dir ist, dass du nachfragst und dass du mir Gelegenheit gibst, von meinem besonderen Freund zu schreiben. - Dafür danke ich dir.
 
Grüß Dich, BeateT!

01
Wie ich jung war (in der Tiefe des vergangenen Jahrtausends), war für mich ein Foto zur Dokumentation da. Entsprechend kam rein technische Fotographie heraus: Möglichst alles schön scharf abgebildet. Das ist gut, wenn man Korrisionsschäden an einer Brücke fotografiert. Aber wenn man von einem Hügel auf ein Dorf herfotographiert, ist das Mülltonnenhäuschen neben dem Lager hinter dem Schuhgeschäft vielleicht nicht das wichtig. Zwar ist wahr, da ist ein Tonnenhäuschen. Kommt es darauf an? Und ich begann, mir Gedanken zu machen, auf was es mir eigentlich ankommt (was will ich dennn eigentlich zur Abbildung bringen? Was will ich zeigen?).

02
Der Dorfplatz war, was ich zeigen wollte, eingebettet in einen Ring älterer Häuser.

Aber da war ein großer scharzer Hund auf dem Dorfplatz zufällig mit abgelichtet worden. Den hatte ich bei der Aufnahme gar nicht bemerkt. Der Hund schaute sich ganz versonnen die Sonnenuhr an, na sowas, das wollte ich dann in der Bildbearbeitung dem Betrachter besonders zeigen. Weil es gar so kurios war. So kam die Bearbeitung im Labor ("Fotoshop" gabs damals noch nicht).

03
Habe ich jetzt die Wahrheit manipuliert? Sicher, ja. Habe ich. War das gelogen? War es Unrecht? Nein - es diente nicht der Täuschung. Ich habe eine andere Wahrheit sichtbarer gemacht, den Betrachter die seltsame Szene gezeigt, als wolle der Hund sagen: "Was...schon 11:00 Uhr?".

Eine Interpretation macht aber auch eine Wahrheit sichtbar, was sonst vielleicht übersehen wird, also durchaus auch auf seine Art wahrheitsliebend.

"Was ist Wahrheit?" (Pontius Pilatus)

04
Ich bin froh, technische Fotographie an der Schule gehabt zu haben, die brauche ich heute noch in meinem Beruf. Aber ich bin auch froh, dass ich auch interpretierende Fotografie gelernt habe. Denn sie verleitet (auch ohne Kamera in der Hand!), nachzudenken: "Was sehe ich eigentlich da alles?" Man nimmt sich zum Schauen Zeit, und dann bekommt man auf einmal ein offenes Ohr für:

"Zum Sehen geboren
zum Schauen bestellt
dem Turme geschworen
gefällt mir die Welt...."

Was für eine Ruhe und Selbstsicherheit.

Den Rest (es ist das Türmerlied in Goethe, Faust II) wirst Du, da bin ich sicher, schnell selbst im Internet lesen wollen.

05
Island ist voller Gedichte. Es kann gut sein, dass ein Isländische Gedichtband in 30.000 Exemplaren verkauft wird - jeder 10. Isländer kauft ihn dann. Erstaunlich, nicht wahr, wenn man an den Kampf um's Leben am Polarkreis denkt. Aber es ist eben auch das Land der Sagas.

ISLÄNDER
 
Status
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