Von besonderer Bedeutung für die Haushaltsführung sind die Störungen der Gedächtnisfunktion. Da das Gedächtnis der Klägerin in der Art und Weise beeinträchtigt ist, dass sie sich teilweise nicht mehr erinnern kann, ist die Klägerin in allen Bereichen beeinträchtigt, die zur richtigen Erledigung ein funktionierendes Erinnerungsvermögen benötigen. So können noch Einkäufe durchgeführt werden, aber diese können zum mehrfachen Kauf der gleichen Waren führen, weil die Klägerin sich nicht erinnern kann, die gleiche Ware bereits kurz zuvor gekauft zu haben. Selbst die Einkaufszettel nutzen in dieser Situation nicht, da es zur allgemeinen Lebenserfahrung gehört, dass man beim notieren der zu kaufenden Waren etwas vergessen kann. Steht ein Artikel nicht auf der Liste und kann sich die Klägerin nicht erinnern den Artikel bereit gekauft zu haben, schließt sie daraus, dass sie den Artikel vergessen hat zu notieren. Diese Schlussfolgerung fällt ihr umso leichter, als sie um die Störung ihrer Gedächtnisleistung weiß und vermutet lediglich vergessen zu haben, die Ware auf der Einkaufsliste zu notieren. Mehrfachkäufe von zum Teil verderblichen Waren führen zur Vernichtung der zu viel gekauften Waren.
Zu den Aufgaben als Hausfrau gehörten im Bereich der Klägerin
- die Sozialisation und Erziehung der Kinder, also die Vermittlung von Befähigungen, Handlungsorientierungen und Werterhaltungen zur Alltagsgestaltung und Lebensbewältigung (= Sozialisierungsfunktion)
- die Betreuung und Versorgung von Familienmitglieder im Hinblick auf ihre physische Gesundheit und psychische Stabilität (= Regenrationsfunktion)
- die wirtschaftliche Versorgung der Familienmitglieder durch Sicherung und Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen und Leistungen (= Haushaltsfunktion)
Wenngleich die Klägerin diese Aufgaben auch in Abstimmung und mit Unterstützung ihres Ehemannes erbrachte, musste Sie dennoch oftmals zugehörige Entscheidungen treffen, sowie Maßnahmen selbsttätig einleiten und/oder durchführen und ggf. kontrollieren. Insbesondere wenn sich ihr Mann auf den bis zu 3 Wochen dauernden Geschäftsreisen befand oblag ihr der gesamte Aufgabenbereich der Haushaltsführung als Hausfrau allein.
Die Arbeitsanforderungen der Klägerin umfassten also alle Arbeitsleistungen, die notwendig waren, um die Funktion der Familie sicherzustellen und zu erfüllen, und zwar sowohl aus Sicht der einzelnen Familienangehörigen als auch aus gesellschaftlicher Sicht.
Die Arbeitsanforderungen an die Klägerin als Hausfrau beschränkten sich in ihrem Haushalt also nicht auf „Kochen, Putzen, Waschen und Einkaufen“. Sie umfassten vielmehr alle Aufgaben der Sachgüterproduktion und der personenbezogenen Dienstleistung, die für die Betreuung und Versorgung der Familienangehörigen und die Sozialisation des Kindes bzw. der Kinder erforderlich waren. Darüber hinaus gehörten auch Aufgaben und Leistungen zur Hausarbeit, die in Kommunikation und Interaktion mit umgebenden Netzwerken und Institutionen erbracht wurden. Die Wechselbeziehungen und der gegenseitige Leistungsaustausch des Haushalts mit Nachbarn, Bekannten und Verwandten, aber auch zu zahlreichen Einrichtungen des Marktes und der öffentlichen Dienste (wie Banken, Versicherungen, Schulen, Beratungsstellen etc.) sind Bestandteil der Haushaltstätigkeit gewesen. (Vgl. dafür z.B. auch Thiele-Wittig 1996 für den Bereich der Interaktion zwischen Haushalten und Institutionen, Dienstleistungsanbietern usw., sowie Bien 1994 für die Beziehungen innerhalb von Familiennetzwerken).
Aus der Funktion sind folgende Hauptgruppen der von der durch die Klägerin erbrachten Hausarbeit abzuleiten:
- Haushaltsführung („Management“ mit Planung, Disposition, Information, Entscheidungen, Kontrolle)
- Hauswirtschaft (materiell-technische Hausarbeit; klassische Bereiche wie Nahrungszubereitung, Vorratshaltung, Reinigung und Pflege von Geschirr, Wäsche etc.)
- Betreuung und Erziehung der Kinder, Betreuung und Pflege erwachsener, pflegebedürftiger Personen
- Beziehungs- und Netzwerkarbeit innerhalb und außerhalb der Familie
- Gestaltung des Lebensstils, Kultur des Zusammenlebens (die Unverwechselbarkeit, das Persönliche des privaten Haushalts, wie Einrichtung und Ausschmückung der Wohnung, Kleidungsstil, Lebensstil bei den Mahlzeiten).
Durch die Unfallfolgen sind wesentliche Funktionen zur Ausfüllung dieser Arbeiten, abgesehen von den körperlichen Beeinträchtigungen, eingeschränkt. Denn zur Führung des Haushalts gehören die zwischen den Haushaltsangehörigen vereinbarten kurz-, mittel- oder langfristig vereinbarten Ziele, die im Haushalt der Klägerin unter anderem sind: Umweltbewusste Haushaltsführung, gesundes Leben, sparsame Haushaltsführung, Berufserfolg des Kindes bzw. der Kinder, Familie als Ort der Geborgenheit und Zuflucht, beruflicher Erfolg des Ehemannes. Diesen Haushaltsziele sind auch im Haushalt der Klägerin Bewertungsmaßstäbe zugeordnet. Als Zeichen sparsamer Haushaltsführung gelten im Haushalt der Klägerin beispielsweise das Löschen von Licht, in Räumen in denen sich niemand befindet, in den kühlen Jahreszeiten das Schließen der Fenster nach den Lüftungsphasen, das Einkaufen in jenen Mengen, die nicht dafür sorgen, dass Lebensmittel weggeschmissen werden müssen etc. Die vor dem Unfall definierten Ziele zu erreichen ist für die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen als Unfallfolgen nicht mehr möglich.
Das Ziel des Haushalts für ein gesundes Leben beinhaltete vor dem Unfall unter anderem sportliche Aktivitäten (Fahrrad fahren, Bowling, Federball spielen). Auch dieses Haushaltsziel kann die Klägerin aufgrund der unfallbedingten gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr erreichen.
Das Ziel des Aufbaus einer aktiven Beziehungs- und Netzwerkarbeit gegenüber der Lebenstellung der Klägerin vor dem Unfall ist aufgrund der unfallbedingten Folgen nicht mehr möglich. Die gesundheitlichen Einschränkungen verringerten den „Aktionsradiuns“, die Beweglichkeit und die Möglichkeiten zur zeitlichen Planung so grundlegend, dass die Lebensgestaltung vor und nach dem Unfall nicht mehr zu vergleichen sind. Vor dem Unfall mögliche Tätigkeiten im Rahmen der „Nachbarschaftshilfe“ wie Babysitter, Kinderbetreuung, Betreuung von Nachbarschaftswohnungen wegen der Abwesenheit der Bewohner, versorgen von Tieren in der Nachbarschaft während der Abwesenheit der Besitzer etc. sind der Klägerin nach dem Unfall bedingt durch ihre gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr möglich.
Vor dem Unfall entsprach es der Lebensstellung der Versicherten gute Beziehungen z.B. zu Nachbarn, Bekannten, Verwandten oder Lehrern aufzubauen. Nach dem Unfall ist das Ziel, den Tag ohne größere als notwendige Schmerzen zu "überstehen". Die Herstellung guter Beziehungen ist einerseits nicht mehr wichtig bzw. ausdrückliches Ziel, sondern im Gegenteil: Bekanntschaften werden nur eingegangen, wenn diese Verständnis für die unfallbedingten gesundheitlichen Einschränkungen haben. War früher die Nachbarschaftshilfe ein wesentlicher Aspekt beim Aufbau von Beziehungen ist diese völlig in den Hintergrund getreten. Einerseits kann die Versicherte keine Hilfe leisten, andererseits möchte sie auf die Hilfe möglichst verzichten, weil diese bisher immer mit den Erklärungen über die Art und Ursache ihrer Behinderungen und Einschränkungen verbunden waren. Dass dies eine zusätzliche Belastung darstellt und deshalb, weil nicht unbedingt notwendig, vermieden wird, ist jedem plausibel, der schon einmal ernsthaft bzw. schmerzhaft erkrankt war. Die bisherige diesbezügliche Lebensstellung als Hausfrau ist somit vollständig zerstört.
Auch die Aufgabe der Pflege und Unterstützung bedürftiger Personen im Haushalt oder anderer Angehöriger kann die Klägerin nach dem Unfall aufgrund ihrer Einschränkungen nicht mehr erbringen. Sie selbst muss regelmäßig gepflegt und unterstützt werden.
Selbst das Ziel den anderen Haushaltsangehörigen einen Ort der Geborgenheit und Zuflucht zu bereiten ist durch die gesundheitlichen Einschränkungen kaum noch umzusetzen. Liebevolle Zuwendungen zu anderen Haushaltsmitgliedern sind angesichts der Schmerzsituation kaum noch möglich. Arzt-, Therapie- und Krankenhausbesuche prägen die Thematik und Organisation des Alltags. Der jeweilige Gesundheitszustand bestimmt den Alltag der Klägerin und beschränkt die Möglichkeiten der anderen Familienmitglieder.
Zuverlässige mittelfristige und langfristige Planungen, wie beispielsweise für gemeinsame Aktivitäten, sind nicht mehr möglich. Gemeinsame Urlaubswünsche werden regelmäßig angesprochen, sind aber mittel- bis langfristig aus gesundheitlichen Gründen nicht planbar. Selbst die Reise zum Klagetermin, als die Wahrnehmung ihrer eigenen Interessen, stellt die Klägerin vor größte Herausforderungen, die sich aus ihrem gesundheitlichen Zustand und den zugehörigen Einschränkungen ergeben.
Insgesamt kann die Funktion als Hausfrau von der Klägerin nicht mehr so erbracht werden, wie es ihrer Lebenstellung vor dem Unfall entsprach.
Die Fähigkeit zur Konfliktverarbeitung und Auseinandersetzung mit unqualifizierten Behauptungen, zum Beispiel bezüglich eines Suizidereignisses und den Behauptungen, dass es sich bei dem Unfall nicht um einen Unfall gehandelt habe, belastet und beschäftigt die Klägerin täglich und maßgeblich. Dies ist insbesondere damit zu erklären, dass die Klägerin aufgrund der postraumatischen Belastungsstörung und der Schmerzen ohnehin einer behandlungsbedürftigen erhöhten psychischen Belastung ausgesetzt ist. Die sehr beschränkte Fähigkeit mit den aus den Behauptungen entstehenden psychischen und körperlichen Reaktionen umzugehen und die stark eingeschränkte Fähigkeit dies zu verarbeiten, wie es ein Gesunder machen würde, ist eine unfallbedingte Folge und stellt eine Änderung der vorherigen Lebensstellung dar.
Aber auch die rein funktionalen Arbeiten als Hausfrau, deren Ziel im Haushalt der Klägerin die zweckrationale, strukturierte Arbeit unter dem Gesichtspunkt einer Zeit- und Kostenökonomie war, ist ihr nur noch sehr eingeschränkt möglich. Die Änderungen gegenüber der bisherigen Lebensstellung ergeben sich aus der folgenden Übersicht eines typischen Tages.
Nicht der Tabelle zu entnehmen ist, dass Belastungen durch gleichzeitige unterschiedliche Anforderungen regelmäßig durch die Klägerin nicht zu bewältigen sind und teilweise zum totalen erliegen der Haushaltstätigkeiten führen. Die Erledigung der Haustätigkeit nach Bedürfnisbezug stellt die Klägerin nach dem Unfall vor teilweise nicht lösbare Aufgaben, die sie zuvor leicht erbringen konnte. Kommt beispielsweise der Sohn früher als geplant aus der Schule, während das Essen fertig gekocht wird, klingelt gleichzeitig das Telefon und beispielsweise der Postbote an der Haustür, stellt dies für die Klägerin nach dem Unfall eine extreme Belastungssituation dar, die zu Stressreaktionen mit u.a. Verspannungen, Schmerzempfinden und Gedächtnisproblemen führt.