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Neues Urteil in Sachen Beratungsarzt und Begutachtung wärend SG-Verfahren

JuergenS

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11 Juni 2007
Beiträge
428
SG Karlsruhe vom 12.3.2008, S 4 U 1615/07

Riss der langen Bizepssehne als Arbeitsunfallfolge anerkannt; Verfahrensbezogene Mitwirkungsrechte des Klägers

Leitsätze
Unter Verletzung von § 200 Abs. 2 SGB VII im Gerichtsverfahren eingeführte Tatsachenfeststellungen unterliegen einem Beweisverwertungsverbot


Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2007 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, den Unfall des Klägers vom 23. Juni 2005 (Ausrutschen beim Reinigen der Rückschlammanlage) als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls ab dem 29. Dezember 2005 Unfallrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - von 20 vom Hundert zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten aufgrund eines Arbeitsunfalls Unfallrente.
Der am ... Juli 1968 geborene Kläger, ein Produktionsarbeiter, der bei der X. GmbH in M. versicherungspflichtig beschäftigt ist, rutschte am 23. Juni 2005 gegen 22.30 Uhr beim Reinigen der Rückschlammanlage von der obersten Stufe einer Treppe. Dabei hielt er sich mit der rechten Hand am Geländer bzw. Handlauf fest. Dabei vernahm er ein deutliches Krachen in der rechten Schulter.

Am 25. Juni 2005 suchte der damals 180 cm groß und 105 kg schwere Kläger den Arzt Dr. S., auf. Laut Befundbericht von Dr. S. vom 29. Oktober 2005 stellte dieser anlässlich der Untersuchung des Klägers am 25. Juni 2005 mittels Ultraschall der rechten Schulter fest, dass die lange Bizepssehne nach innen verrutscht gewesen sei und der Kläger Schmerzen geklagt habe. Am 5. Juli 2005 sei die Ruptur der Bizepssehne nachzuweisen gewesen. Bereits vor dem 25. Juni 2005 habe er beim Kläger - am 16. Juni 2005 - Periarthritis der rechten Schulter diagnostiziert und als Schmerzmittel Diclofenac und Dialgirex verordnet. Diagnostiziert habe er Periarthritis und eine Ruptur der Bizepssehne.

Unter dem 5. Juli 2005 zeigte die Arbeitgeberin des Klägers der Beklagten den Unfall an. Die Arbeitgeberin schilderte den Unfallhergang wie folgt: Am 23. Juni 2005 sei der Kläger gegen 22.30 Uhr beim Reinigen der Rückschlammanlage von der obersten Stufe einer Treppe gerutscht. Beim Festhalten mit dem rechten Arm habe er sich diesen Arm verdreht. Dabei sei die Sehne aus der Fügung im Oberarm gesprungen und am Samstag, den 2. Juli 2005 gerissen. Die Angaben zum Unfallhergang beruhten auf der Schilderung des Klägers.

Am 25. August 2005 beantwortete der Kläger folgende ihm von der Beklagten gestellte Fragen: Er sei Rechtshänder und habe in seinem Beruf regelmäßig Gegenstände zu tragen. Nach dem Unfall am 23. Juni 2005 habe er dem behandelnden Arzt, Dr. S., mit dem Auto aufgesucht. Nach dem Unfall habe er seine Arbeit nicht fortgesetzt. Den Unfall habe er noch am Tag des Unfallereignisses, dem 23. Juni 2005, seinen Vorgesetzten gemeldet. Sport treibe er nicht. Frühere Erkrankungen, Unfälle oder Beschwerden an der Schulter habe er nicht gehabt. Bei dem Unfallereignis sei von einem Unfall infolge Sturzes auszugehen. Er habe den Sturz durch das Festhalten mit dem rechten Arm aber dämpfen können.

Im von der Beklagten daraufhin beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers, ..., ergaben sich folgende orthopädisch bedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten:
16. bis 17. März 1995 Kreuzschmerzen
25. September bis 3. Oktober 1995 Kreuzschmerzen
29. September 2000 Carpaltunnelsyndrom
23. April 2001 Kreuzschmerzen
9. Juli 2001 Carpaltunnelsyndrom
23. August 2001 Prellung der Unterschenkel
23. September 2003 Rückenschmerzen
23. Februar 2005 Kreuzschmerzen
5. bis 18. Juli 2005 Ulz Muskel/Sehnen
Unter dem 7. November 2005 teilte der Bezirksverband N... mit, der Kläger sei ab dem 25. Juni 2005 nur 14 Tage arbeitsunfähig geschrieben gewesen. Danach sei er wieder zur Arbeit gegangen.

Darauf veranlasste die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme durch den Chirurgen Dr. P., die dieser unter dem 19. Dezember 2005 verfasste. Darin führte Dr. P. aus, dass der Kläger laut Mitteilung von Dr. S., 7 Tage vor dem angeschuldigten Ereignis wegen einer Periarthritis der rechten Schulter behandelt und mit einem Antiphlogistikum und einem Analgetikum medikamentös therapiert worden sei. Dementsprechend sei die für den 25. Juni 2005 nachgewiesene Dislokation der langen Bizepssehne sowie die am 5. Juli 2005 diagnostizierte Ruptur der Bizepssehne nicht Folge des angeschuldigten Traumas vom 23. Juni 2005, sondern einer schicksalhaften Grunderkrankung der Schulter ursächlich anzulasten. Inwieweit durch das angeschuldigte Ereignis vom 23. Juni 2005 eine Verschlimmerung eingetreten sei und, ob ein derartiges Ereignis zu diesem Zeitpunkt hinreichend zu belegen sei, sei nach Aktenlage nicht zu klären, zumal auch aktuelle Befunde nicht vorlägen. Die Ruptur der langen Bizepssehne sei bei dem übergewichtigen Kläger offenbar lediglich sonographisch gesichert, sodass nach Aktenlage ein adäquates Trauma vom 23. Juni 2005 lediglich denkbar erscheine bei unstrittig vorbestehender Periarthritis Mitbehandlungsnotwendigkeit bereits ab dem 16. Juni 2005. Eine weitere Klärung nach Aktenlage sei nicht möglich. Eine Ruptur der langen Bizepssehne, sofern sie tatsächlich eingetreten sei, bedinge üblicherweise keine messbare Verletzungsfolge. Arbeitsunfähigkeit habe offensichtlich nur vom 23. Juni bis zum 6. Juli 2005 bestanden. Auch für diesen Zeitraum sei aus den genannten Gründen ein kausaler Zusammenhang dem angeschuldigten Trauma nicht wahrscheinlich zu machen. Daraufhin lehnte die Beklagte es mit Bescheid vom 3. März 2006 ab, das angeschuldigte Unfallereignis vom 23.06.2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu bewilligen. Zur Begründung hieß es nach Auswertung der medizinischen Unterlagen könne ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Ereignis vom 23. Juni 2005 und dem Bizepssehnenriss nicht wahrscheinlich gemacht werden. Der Bizepssehnenriss sei vielmehr auf eine schicksalhafte Grunderkrankung der Schulter zurückzuführen. Das Ereignis vom 23. Juni 2005 sei somit lediglich auslösendes Moment gewesen, da eine bereits vorhandene krankhafte Anlage vorgelegen habe, die so leicht ansprechbar gewesen sei, dass jedes andere alltägliche Ereignis etwa zu derselben Zeit die Erkrankung hätte auslösen können (sogenannte Gelegenheitsursache). Für die Behandlung sei die Krankenkasse der zuständige Leistungsträger.

Zur Begründung des dagegen am 29. März 2006 erhobenen Widerspruchs führte der Kläger aus, der ihn behandelnde Arzt, Dr. S., sei der Auffassung, der Riss der Bizepssehne sei kein schicksalhaftes Ereignis gewesen, sondern ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen. Dr. Steinmetz sei von der Beklagten nochmals zu befragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung hieß es erneut: Nach Auswertung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen sei der Bizepssehnenriss nicht ursächlich auf das Ereignis vom 23. Juni 2005, sondern vielmehr auf eine schicksalhafte Grunderkrankung der Schulter zurückzuführen. Das Ereignis vom 23. Juni 2005 sei lediglich auslösendes Moment, weil eine bereits vorhandene krankhafte Anlage vorgelegen habe, die so leicht ansprechbar gewesen sei, dass jedes andere alltägliche Ereignis etwa zu derselben Zeit die Erkrankung hätte auch auslösen können. Damit sei das Vorliegen eines Arbeitsunfalls zu verneinen. Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung stünden dem Kläger nicht zu.

Die vom Kläger dagegen aufgrund fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids am 5. Februar 2007 zum Sozialgericht Würzburg erhobene Klage hat das Sozialgericht Würzburg durch Beschluss vom 16. März 2007 an das örtlich zuständige Sozialgericht Karlsruhe verwiesen.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, der im Juni 2005 erlittene Bizepssehnenriss sei auf das Unfallereignis vom 23. Juni 2005 zurückzuführen. Eine entsprechende weitere Sachaufklärung von Amts wegen werde angeregt.

Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Unfallereignis vom 23. Juni 2005 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm aufgrund der Unfallfolgen ab dem 29. Dezember 2005 eine Unfallrente nach einer MdE von 20 vom Hundert in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte geht weiter davon aus, dass der Unfallhergang nicht geeignet gewesen sei, die geltend gemachten Unfallfolgen an der rechten Schulter auszulösen. Ursächlich für den Unfall sei vielmehr eine Periarthritis der rechten Schulter als dem Unfallereignis vorausgehende Grunderkrankung.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens aufgrund ambulanter Untersuchung des Klägers. Das Gutachten haben die Orthopäden Prof. Dr. R. und der Facharzt für Chirurgie R. unter dem 28. September 2007 erstattet.
Zum Unfallhergang haben die Gutachter aufgrund Klägerangaben folgende Ausführungen festgehalten. Der Kläger habe am 23. Juni 2005 gegen etwa 22.30 Uhr eine sogenannte Rückschlammanlage gereinigt. Dazu habe er wie üblich auf einem etwa vier Stufen hohen Podest gestanden und mit der rechten Hand den Hochdruckreiniger zum Reinigen des Trichters der Anlage bedient. Dabei habe er sich mit den Füßen im Schlauch des Hochdruckreinigers verfangen und sei rückwärts die Podeststufen heruntergestolpert. Er habe sich noch reflexartig mit dem rechten Arm an einem Geländer bzw. Handlauf festhalten können. Hierbei sei es zu einem deutlichen Krachen in der rechten Schulter gekommen. Zuerst habe er wenig Probleme gehabt und weitergearbeitet, im Verlauf seien aber stärker werdende Schmerzen aufgetreten. Am Folgetag habe er dann deutliche Schmerzen und eine deutliche Schwellung im Schulter- bzw. Oberarmbereich rechts bemerkt. Deswegen habe er dann auch am 25. Juni 2005 seinen Hausarzt, Dr. S. in ..., aufgesucht, bei dem er schon einige Tage zuvor, am 16. Juni 2005 wegen Beschwerden im Bereich der rechten Schulter in Behandlung gewesen sei. Damals sei eine Periarthritis der rechten Schulter diagnostiziert worden, die mit Diclofenac und Dialgirex behandelt worden sei. Bei der Untersuchung am 25. Juni 2005 sei ein Verrutschen der langen Bizepssehne mittels Ultraschall diagnostiziert worden. Am 2. Juli 2005 seien dem Kläger erneut Schmerzmittel verordnet worden, bevor es am 4. Juli 2005 zu einer Röntgenuntersuchung der rechten Schulter in zwei Richtungen sowie zu einer Sonographie gekommen sei. Sonographisch sei die Ruptur der langen Bizepssehne dabei gesichert worden.

Anlässlich der gutachtlichen Untersuchung am 29. August 2007 haben die Dres. R. und R. folgende orthopädische Diagnosen gestellt: Ruptur der langen Bizepssehne rechts, degenerative Schultereckgelenksarthrose (AC-Gelenksarthrose) rechts mit beginnendem subacromialen Impingementsyndrom, chronisch rezidivierende Lumbago, Zustand nach Carpaltunnelsyndrom-Operation beidseits, Zustand nach Verletzung des rechten Daumens im Kindesalter.
Die Diagnose der Ruptur der langen Bizepssehne lasse sich allein durch die klinische Untersuchung eindeutig stellen. Bei der grob orientierenden Bewegungsuntersuchung der rechten Schulter habe sich bei der Abduktion ein nicht immer reproduzierbares schmerzhaftes Ziehen und Knacken in Form eines Painful arcs von etwa 70/80 Grad, Abduktion bis etwa 130 Grad reichend gezeigt. Die Anteversion (das Vorwärtsstrecken des Armes) habe aktiv kein Problem bereitet, gegen Widerstand habe sich aber eine deutliche Schwäche im Vergleich zur gesunden linken Seite gezeigt. Zudem sei bei der groben Kraftprüfung eine deutliche Kraftminderung des Bizepsmuskels rechts festzustellen gewesen. Zudem habe der Kläger ziehende Schmerzen seitlich der Schulter bis zum Oberarm auslaufend angegeben. Außerdem habe sich über dem abgerutschten Muskelbauch eine Druckschmerzhaftigkeit etwa dem Sehnen-Muskel-Übergang entsprechend gefunden. Das nach hinten Führen des rechten Armes in die sogenannte Schürzenbinderposition sei kaum möglich gewesen, auf der linken Seite hingegen unproblematisch gelungen. Dies liege an einer schmerzhaften Einschränkung, ein Ziehen trete im Bereich der Schulter und des Oberarmes auf. Dementsprechend sei die Überprüfung der Subscapularismuskulatur nicht aussagekräftig möglich gewesen. Links habe sich ein unauffälliger Befund gezeigt.

Auch die Diagnose der AC-Gelenksarthrose beruhe im Wesentlichen auf der klinischen Untersuchung sowie auf einer Auswertung des Kernspinbefunds. Inwieweit diese AC-Gelenksarthrose bereits im Jahre 2005 zum Unfallzeitpunkt vorgelegen habe, lasse sich anhand der vorliegenden Untersuchungen nicht feststellen. In diesem Zusammenhang sei zu bemerken, dass die Röntgenaufnahmen vom 4. Juni 2005 zumindest ein noch nahezu unauffälliges AC-Gelenk zeigten.
Der Riss der langen Bizepssehne sei sicherlich durch den Arbeitsunfall aufgetreten. Im Nachhinein sei anhand der Aktenlage aber nicht mehr sicher zu beurteilen, ob es zunächst lediglich zu einer Dislokation und später zu einer Ruptur der Bizepssehne gekommen sei, oder ob es sich um einen sofortigen Riss gehandelt habe, der zunächst nicht eindeutig diagnostizierbar gewesen sei. Insgesamt gesehen sei dies jedoch unerheblich, weil die gerissene Bizepssehne eindeutig von dem angegebenen Arbeitsunfall herrühre. Inwieweit eine Vorschädigung der Bizepssehne zum Unfallzeitpunkt vorgelegen habe, sei spekulativ. Die Aktenlage und die Anamnese zeigten lediglich, dass der Kläger einige Tage zuvor bereits wegen Schulterbeschwerden rechts behandelt worden sei. Die Ursachen für diese vorbestehenden Schulterbeschwerden könnten vielfältig sein, z. B. eine Entzündung des subacromialen Schleimbeutels, eine Verkalkung im Bereich der Rotatorenmanschette oder eben eine AC-Gelenksarthrose. Im Nachhinein sei sicherlich nicht mehr exakt zu klären, was damals Auslöser dieses Schmerzsyndroms gewesen sei. Ebenso wenig sei im Nachhinein zu klären, inwieweit eine Degeneration der langen Bizepssehne zum Unfallzeitpunkt vorgelegen habe. Fest stehe jedoch, dass mit zunehmenden Alter auch das Sehnenmaterial einem Verschleiß unterliege, dem unterschiedliche Ursachen zugrunde lägen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände habe man davon auszugehen, dass eine gewisse Degeneration der langen Bizepssehne zum Unfallzeitpunkt vorgelegen habe. Andererseits sei zu berücksichtigen, dass das Unfallereignis vom 23. Juni 2005 sicherlich kein Bagatelltrauma ausgelöst habe. Es sei vielmehr durchaus geeignet gewesen, eine Sehnenverletzung, wie sie der Kläger erlitten habe, herbeizuführen. Somit wäre dann zumindest eine Verschlimmerung einer vorbestehenden Gesundheitsstörung eingetreten. Die übrigen gestellten Diagnosen (chronisch rezidivierender Lumbago und Zustand nach CTS-Operation beidseitig) stünden nicht im Zusammenhang mit dem Unfallereignis.
Die Folge des vom Kläger am 23. Juni 2005 erlittenen Arbeitsunfalls sei eine deutliche Kraftminderung durch Riss der langen Bizepssehne rechts. Behandlungsbedürftigkeit für die Unfallfolgen habe sicherlich zwei bis drei Monate nach dem Unfall bestanden. In Zusammenschau der vorliegenden Untersuchungsergebnisse, der körperlichen Untersuchung und der anamnestischen Angaben sowie der Angaben des Hausarztes Dr. S. sei sicherlich eine MdE von 20 bis zum Ende des zweiten Unfalljahres anzusetzen; auf Dauer wahrscheinlich ebenfalls eine MdE von 20.
Auf die gutachtlichen Feststellungen von Prof. Dr. R. und Dr. R. hat die Beklagte mit fachärztlicher Stellungnahme des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. W., vom 18. Dezember 2007 reagiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakte und den Inhalt der Prozessakte (S 4 U 1615/07) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Das Unfallereignis vom 23. Juni 2005 ist als Arbeitsunfall anzuerkennen und durch Unfallrente zu entschädigen.
Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII - Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Durch das Wort „infolge“ drückt § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII aus, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden Verrichtung und dem Unfall als auch zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden erforderlich ist. Diese sogenannte doppelte Kausalität wird nach herkömmlicher Dogmatik bezeichnet als die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität. Der Bereich der haftungsbegründenden Kausalität ist u.a. betroffen, wenn es um die Frage geht, ob der Unfall wesentlich durch die versicherte Tätigkeit oder durch eine sogenannte innere Ursache hervorgerufen worden ist, während dem Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität die Kausalkette - Unfallereignis (primärer) Gesundheitsschaden und (sekundärer) Gesundheitsschaden - weitere Gesundheitsstörungen zuzuordnen ist. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund eines Gesundheits-(erst)-Schadens im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (vgl. BSG, Urteil vom 12. April 2005, B 2 U 27/04 R).
Für die Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung. Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus und einen zweiten, wertenden Schritt, dass das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war (Bundessozialgericht, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Während für die Grundlagen der Ursachenbeurteilung - versicherte Tätigkeit, Unfallereignis, Gesundheitsschaden - eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, genügt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden Tatsachen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht (BSG, Urteil vom 07. September 2004, B 2 U 34/03 R m. w. N.). Dabei müssen auch körpereigene Ursachen erwiesen sein, um bei der Abwägung mit den anderen Ursachen berücksichtigt werden zu können; kann eine Ursache jedoch nicht sicher festgestellt werden, stellt sich nicht einmal die Frage, ob sie im konkreten Einzelfall auch nur als Ursache in naturwissenschaftlich-philosophischem Sinn in Betracht zu ziehen ist (BSGE 61, 127 ff.). Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet war, eine bestimmte körperliche Störung hervorzurufen (vgl. Urteil des BSG vom 09. Mai 2006, B 2 U 1/05 R JURIS).
An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der fundierten gutachtlichen Feststellungen von Prof. Dr. R. und Dr. R. (Gutachten vom 28. September 2007) fest, dass das vom Kläger erlittene Unfallereignis vom 23. Juni 2005 den Riss der langen Bizepssehne des rechten Arms überwiegend wahrscheinlich verursacht hat. Dabei kommt es, wie von den Gerichtsgutachtern zutreffend angemerkt, nicht darauf an, ob es unmittelbar am Unfalltag lediglich zu einer Dislokation und erst einige Tage später zu einer Ruptur der Bizepssehne gekommen ist. Denn der vom Kläger konsistent von Anbeginn an geschilderte Unfallhergang stellt - erste Voraussetzung - einen geeigneten Verletzungsmechanismus dar. Seinen unbestrittenen Angaben zufolge stolperte der Kläger mit den Füßen im Schlauch eines Hochdruckreinigers verfangen rückwärts Podeststufen herunter, als er eine Rückschlammanlage mit dem Hockdruckreiniger gereinigt hat. Dabei hat er sich reflexartig mit dem rechten Arm an einem Geländer bzw. Handlauf festhalten und so einen Sturz vermeiden können. Dabei ist es zu dem deutlichen Krachen in der rechten Schulter gekommen. Dementsprechend verneinen die Gerichtsgutachter nachvollziehbar ein Bagatelltrauma. Die Tatsache, dass der Unfallhergang einen geeigneten Verletzungsmechanismus darstellt, ergibt sich für das Gericht weiter aus den Ausführungen in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Auflage, 2003, Seite 507, auf der unter dem Schlagwort „geeignete Verletzungsmechanismen“ zur Verletzung einer Supraspinatussehne ausdrücklich ausgeführt wird: massives plötzliches Rückwärtsreißen oder Heranführen des Arms, Sturz beim Fensterputzen aus der Höhe nach vorn mit noch festhaltender Hand; Treppensturz mit der Hand am Geländer. Diese Unfallhergänge sind für eine Verursachung zwar nicht beweisend, aber durchaus geeignet. Die Voraussetzungen für weitergehende Kausalitätsüberlegungen sind damit gegeben; die wesentliche (Teil-)Ursache ist zu ermitteln.
Die den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegende Gegenargumentation der Beklagten, beim Unfallereignis vom 23. Juni 2005 handele es sich lediglich um ein auslösendes Moment, bei dem eine bestehende Vorerkrankung der rechten Schulter gelegenheitsursächlich verwirklicht worden sei, vermag das Gericht aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen. Das von der Beklagten zu Recht beigezogene Vorerkrankungsverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung des Klägers ist im Hinblick auf Schulterverletzungen blank, d. h. ohne Eintrag. Der Kläger ist also wegen Schulterbeschwerden niemals arbeitsunfähig gewesen. Der einzige Hinweis, der sich auf eine Vorerkrankung der rechten Schulter des Klägers ergibt, findet sich in der apodiktisch knappen Befunddarstellung des Hausarztes des Klägers, Dr. S., vom 29. Oktober 2005, in der es heißt, der Kläger sei am 16. Juni 2005 wegen einer Periarthritis der rechten Schulter mit Schmerzmitteln versorgt worden. Die medizinische Bezeichnung Periarthritis ist ein Sammelbegriff für Reizungen, Entzündungen im Weichteilbereich an einem Gelenk, insbesondere auch in den Sehnenansätzen und dem Verlauf der Sehnen, an Schleimbeutel und an Muskeln im gelenknahen Bereich. Damit könnte eine Vorerkrankung der später, nach dem Unfallereignis gerissenen Bizepssehne beim Kläger zwar in der Tat vorgelegen haben; gegen eine wesentliche Degeneration der langen Bizepssehne bereits zum Unfallzeitpunkt spricht aber nach Aktenlage, dass in der Röntgenuntersuchung vom 4. Juli 2005 - also nur wenige Tage nach dem Unfallereignis - keine gravierenden degenerativen Veränderungen im Sinne einer AC-Gelenksarthrose erkennbar gewesen sind. Ebenso wenig werden solche Veränderungen in der damals durchgeführten Sonographie der Schulter beschrieben. Die von der Beklagten gleichwohl aufgestellte These, auslösendes Moment für die Bizepssehnenruptur sei in erster Linie die AC-Gelenksarthrose gewesen, müssen somit als „rein spekulativ“ beurteilt werden (so zutreffend Gutacher Prof. Dr. R.).
Die Beklagte muss sich in diesem Zusammenhang auch vorhalten lassen, den Sachverhalt nicht adäquat aufgeklärt und durchermittelt zu haben. Sie stützt ihre Argumentation allein auf ein Wort des Hausarztes des Klägers Dr. S. vom 29. Oktober 2005 („Periarthritis“), bei dem es nicht einmal für notwendig erachtet worden ist, durch nochmalige Nachfrage um präzisere Angaben zu bitten. Geschweige denn hat die Beklagte, wie es bereits im Verwaltungsverfahren geboten gewesen wäre, ein orthopädisch-chirurgisches Sachverständigengutachten als Zusammenhangsgutachten veranlasst. Diese Verfahrensweise hat dazu geführt, dass allein das Gericht die Sachverhaltsaufklärungsarbeit hat leisten müssen und geleistet hat.
Soweit sich die Beklagte dann der Sachverhaltsermittlung im gerichtlichen Verfahren aufgenommen hat, ist dies der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zufolge (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Februar 2008, B 2 U 8/07 R, Terminsbericht Nr. 7/08 vom 8. Februar 2008; zuvor bereits entsprechend: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Juni 2007, L 17 U 125/704, Breith. 2008, S. 104, 110 ff.) erheblich verfahrensfehlerhaft geschehen. Denn bei der Anforderung der gutachtlichen Äußerung von Dr. W. hat die Beklagte gegen die Regelung in § 200 Abs. 2 SGB VII verstoßen, weil sie den Kläger weder vorher auf sein Widerspruchsrecht gegen die Übermittlung seiner Sozialdaten hingewiesen noch ihm mehrere Gutachter zur Auswahl benannt hat. § 200 Abs. 2 SGB VII gilt auch für Gutachten und gutachtlichen Stellungnahmen, die ein Unfallversicherungsträger im Laufe eines Gerichtsverfahrens in Auftrag gibt. Bei der gutachtlichen Stellungnahme von Dr. W. vom 18. Dezember 2007, die immerhin elf Seiten umfasst, handelt es sich um ein Gutachten im Sinn von § 200 Abs. 2 SGB VII; der dort verwendete Begriff ist weit auszulegen und erfasst alle sachkundigen Äußerungen, die ihrem Inhalt nach Gutachtenscharakter haben (vgl. Bundessozialgericht, a. a. O.). Ausgenommen sind lediglich prüfärztliche Stellungnahmen von dem Organisationsbereich des Versicherungsträgers zuzurechnenden Ärzten, das heißt von solchen Ärzten, die beim Versicherungsträger angestellt sind oder denen gegenüber der Versicherungsträger weisungsbefugt ist. Dies ist bei Dr. W., der als Chefarzt eines nicht im Organisationsbereich der Beklagten stehenden Krankenhauses beschäftigt ist, offenkundig nicht der Fall. Dr. W. hat mit der Beklagten, wie von der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau N., fernmündlich dem Kammervorsitzenden bestätigt, lediglich einen Beratervertrag als freier Mitarbeiter.
Gutachten, die unter Verstoß gegen die den Schutz der Sozialdaten bezweckenden Belehrungspflicht zustande gekommen sind, dürfen vom Gericht nicht verwertet werden. Da die gutachtliche Stellungnahme von Dr. W. Bestandteil der Gerichtsakte geworden ist, erstreckt sich das Beweisverwertungsverbot auf diese Stellungnahme, deren Inhalt das Gericht folglich nicht zur Kenntnis nehmen darf und nicht zur Kenntnis genommen hat.
Schließlich merkte das Gericht an, dass angesichts des blanken Vorerkrankungsverzeichnisses und unter besonderer Berücksichtigung des noch relativ jungen Alters des Klägers zum Zeitpunkt des Unfallereignisses - damals ist der Kläger erst knapp 37 Jahre alt gewesen - objektiv nichts für wesentliche degenerative Veränderungen an Schultergelenk und Sehnen des rechten Arms spricht. In dieses Bild fügt sich eine weitere Tatsache schlüssig ein. Der linke Arm des Klägers und das linke Schultergelenk sind den gutachtlichen Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. R. zufolge ohne jeden krankhaften Befund gewesen, insbesondere habe sich dort keine arthritische Erkrankung nachweisen lassen.
Das Gericht folgt dem Gutachter Prof. Dr. R. auch im Hinblick auf seine Einschätzung zur MdE, die er auf Dauer mit 20 bewertet. Zur Begründung führt Prof. Dr. R. aus, dass eine deutliche Kraftminderung durch den Riss der langen Bizepssehne rechts beim Kläger auszumachen ist. Diese Kraftminderung führt zwar bei leichten Alltagsbewegungen zu nur kaum feststellbaren Auffälligkeiten und hat für solche Bewegungen mithin auch kaum einschränkenden Charakter. Dies deshalb, weil ein Teil der Funktion der langen Bizepssehne durch die kurze Bizepssehne übernommen werden kann. Dadurch wird auch das typische Abrutschen des Muskelbauchs im Alltagsleben nahezu unbemerkt bleiben oder lediglich als kosmetisch störend empfunden. Ganz anders aber sieht die Situation bei körperlich starker Arbeit, wie sie der Kläger bis heute zu verrichten hat, aus. Hierbei wirkt die deutliche Kraftminderung im rechten Arm durch Riss der langen Bizepssehne nicht unerheblich leistungseinschränkend. Dies gilt erst Recht im Hinblick darauf, dass es sich beim Kläger um einen Rechtshänder handelt. Mit der MdE-Bewertung aufgrund der festgestellten Funktionseinschränkungen des rechten Arms liegt der Gutachter Prof. Dr. R. im Übrigen auch im Rahmen dessen, was Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., Seite 514 vorgeben. Dort heißt es zu den Beurteilungswerten für die MdE bei Sehnenrissen pauschalierend, dass bei einem Quermaß der schmerzhaften Funktionseinschränkungen im Hinblick auf die Beweglichkeit des Arms beim Vorwärts- und Rückwärtsdreh sowie beim seitwärts Drehen sowie bei der Ausführung von Hinterhaupt-, Nacken- und Schürzengriff eine MdE von 10 bis 20 vom Hundert festzustellen ist. Im Rahmen dieser Bandbreite, wenn auch am oberen Ende, liegt die entsprechende Empfehlung von Prof. Dr. R.
Der Beginn der Unfallrente richtet sich nach § 56 Abs. 1 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert sind, einen Anspruch auf Rente. Der Versicherungsfall ist mit dem Unfallereignis vom 23. Juni 2005 eingetreten. Mit Ablauf von 26 Wochen nach diesem Unfallereignis - vorliegend also ab dem 29. Dezember 2005 - beginnt damit die dem Kläger zu gewährende Unfallrente.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.


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