Dieses Urteil ist zwar schon 40 Jahre alt, aber....
Amtlicher Leitsatz:
Zur notwendigen Wiedergabe der Unterschriften der Richter in einer Urteilsausfertigung genügt nicht, daß die Namen der Richter, die an dem Urteil mitgewirkt haben, nur in Klammern angegeben sind ohne weiteren Hinweis darauf, ob sie das Urteil unterschrieben haben.
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 1975
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Vogt sowie
die Richter Dr. Girisch,
Meise,
Dr. Recken und
Doerry
für
Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in München vom 28. Juni 1973 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Der Kläger hat vom Beklagten Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 11.572,53 DM gefordert. Durch am 28. November 1972 verkündetes Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zu diesem Zeitpunkt war das Urteil noch nicht in vollständiger Form, also mit Tatbestand und Entscheidungsgründen, abgefaßt. Es war aber von allen Richtern unterzeichnet, die bei der Entscheidung mit gewirkt haben.
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Am 9. Januar 1973 stellte der Beklagte dem Kläger von Anwalt zu Anwalt die beglaubigte Ablichtung einer Urteilsausfertigung zu. Darin sind dort, wo in der Urschrift die Unterschriften der Richter stehen, mit der Maschine geschrieben und in Klammern gesetzt die Namen der Richter wiedergegeben.
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Schon am 5. Januar 1973 hatte der Kläger Berufung eingelegt. Die bis 5. März 1973 verlängerte Begründungsfrist hat er um zwei Tage versäumt. Die Berufungsbegründung ging erst am 7. März 1973 ein. Am 21. März 1973 wiederholte er Berufung und Berufungsbegründung. Er ist der Auffassung, das Rechtsmittel sei zulässig, weil die am 9. Januar 1973 vorgenommene Zustellung unwirksam sei.
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Das Oberlandesgericht hat durch Urteil die Berufungen des Klägers als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, die der Beklagte zurückzuweisen bittet.
Entscheidungsgründe
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I.
Das Oberlandesgericht meint, die am 9. Januar 1973 vorgenommene Zustellung des erstinstanzlichen Urteils leide an keinem Mangel. Zwar müsse die Urteilsausfertigung, von der eine beglaubigte Abschrift zugestellt werde, eindeutig erkennen lassen, daß die Richter ihre Unterschrift geleistet haben. Dazu sei erforderlich, aber auch genügend, daß die ausgeschriebenen Namen der Richter wiedergegeben werden. Wenn, wie hier, unter der Urteilsformel die Namen der Richter maschinenschriftlich angegeben seien, so könne das nur bedeuten, daß damit "die Tatsache der Unterschrift" wiedergegeben werde. Denn der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle dürfe nach
§ 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO Ausfertigungen des Urteils ausnahmslos erst erteilen, wenn die Urschrift vollständig unterschrieben sei. Bei diesem absoluten Verbot wäre es reiner Formalismus, zur ordnungsgemäßen Ausfertigung nicht nur die Wiedergabe der ausgeschriebenen Namen der Richter zu verlangen, sondern auch noch irgend einen Zusatz (z.B. die Abkürzung "gez.") zu fordern. Dieser Fall liege anders als die Unterzeichnung des Ausfertigungsvermerks durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Denn eine Urteilsausfertigung werde nach
§ 317 Abs. 3 ZPOüberhaupt erst existent, wenn sie von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterzeichnet worden ist.
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II.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
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Der Bundesgerichtshof hat sich - wie schon das Reichsgericht - mehrfach mit der Frage befaßt, in welcher Form Unterschriften in der beglaubigten Abschrift oder in der Ausfertigung eines Urteils wiedergegeben sein müssen, damit die Zustellung dieser Schriftstücke wirksam ist. Dabei wird unterschieden:
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1.
Unterschriften von Richtern müssen stets mit dem Namen oder zumindest so wiedergegeben werden, daß über ihre Identität kein Zweifel aufkommen kann. Denn für den Zustellungsempfänger muß nachprüfbar sein, ob die Richter, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, das Urteil auch unterschrieben haben. Deshalb genügt insoweit die Angabe "gez. Unterschrift" nicht (vgl. RGZ 159, 25, 26;
BGH Beschlüsse vom 14. Juli 1965 - VII ZB 6/65 = VersR 1965, 1075; vom 15. April 1970 - VIII ZB 1/70 = VersR 1970, 623; vom 8. Juni 1972 - III ZB 7/72 = VersR 1972, 975; Urteil vom 26. Oktober 1972 - VII ZR 63/72 = VersR 1973, 87). Dagegen sind die Erfordernisse erfüllt, wenn an den Stellen, an denen sich die Unterschriften der Richter befinden, die Buchstaben "gez." eingesetzt sind und darunter die Namen der Richter in Klammern mit Schreibmaschine stehen (Senatsbeschluß vom 14. Juli 1965 a.a.O.).
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2.
Der Name des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle im Ausfertigungsvermerk braucht dagegen nicht mitgeteilt zu werden, sondern kann durch die Formel "gez. Unterschrift" ersetzt werden (RGZ 164, 52, 56/57; BGH Beschluß vom 15. April 1970 a.a.O.). Es muß aber hinreichend erkennbar sein, daß ein Urkundsbeamter den Ausfertigungsvermerk überhaupt unterschrieben hat
(BGH Beschluß vom 9. Februar 1971 - VI ZB 19/70 = VersR 1971, 470). Das ist nicht der Fall, wenn der Ausfertigungsvermerk zwar in seinem vollen Wortlaut wiedergegeben ist, aber den Namen des Urkundsbeamten nur in Klammern gesetzt und ohne den Hinweis enthält, ob sich darüber oder daneben auch dessen Unterschrift befindet
(BGH Urteil vom 10. Juni 1964 - VIII ZR 286/63 = LM ZPO § 317 Nr. 8; Beschluß vom 1. Juli 1974 - VIII ZB 17/74 = VersR 1974, 1129).
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3.
Der vorliegende Fall bietet die Besonderheit, daß in der Urteilsausfertigung, von der eine beglaubigte Abschrift zugestellt wurde, am Ende der Urteilsformel zwar die Namen der Richter, die an dem Urteil mitgewirkt haben, angegeben sind, aber nur in Klammern und ohne weiteren Hinweis darauf, ob sie das Urteil auch unterschrieben haben. Damit ist den Anforderungen, die an die Wiedergabe der Unterschriften von Richtern zu stellen sind, nicht genügt.
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a)
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts läßt sich nichts daraus folgern, daß hier ein ordnungsgemäßer Ausfertigungsvermerk des Urkundsbeamten vorliegt. Denn wenn auch nach
§ 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO Urteilsausfertigungen nicht erteilt werden dürfen, solange das Urteil nicht unterschrieben ist, so hat doch der jeweilige Zustellungsempfänger keine Gewähr dafür, daß sich der Urkundsbeamte an diese Bestimmung gehalten hat. Ob das der Fall ist, muß für ihn aus der ihm zugestellten Abschrift der Ausfertigung zu ersehen sein. Insofern besteht kein Unterschied zu den sonstigen Fällen, in denen eine Ausfertigung oder Abschrift mit der Urschrift in einem wesentlichen Punkt nicht übereinstimmt. Solche Mängel werden ganz allgemein durch einen ordnungsgemäßen Ausfertigungsvermerk nicht geheilt.
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b)
Die im oben genannten Urteil BGH LM
ZPO § 317 Nr. 8 zur Unterschriftsleistung des Urkundsbeamten entwickelten Rechtsgedanken sind auf Fälle der vorliegenden Art zu übertragen. Es wäre ein merkwürdiges Ergebnis, geringere Anforderungen an die Wiedergabe der Unterschrift eines Richters als eines Urkundsbeamten zu stellen, wenn der Name des Unterzeichners lediglich in Klammern mitgeteilt wird, während grundsätzlich (wie oben II 1 und 2 dargelegt), strengere Maßstäbe an die Wiedergabe der Unterschrift von Richtern als von Urkundsbeamten angelegt werden.
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Das ist auch von der Sache her nicht gerechtfertigt. Denn die Unterschrift der Richter soll u.a. verbürgen, daß die Formel des schriftlichen Urteils mit der verkündeten Entscheidung übereinstimmt (vgl. etwa Stein/Jonas (19.) Anm. I 1 zu
§ 315 ZPO). Deshalb ist es für die Parteien nicht nur wichtig zu wissen, wer das Urteil unterzeichnet hat, sondern auch, ob es überhaupt von Richtern unterzeichnet worden ist. Eine Ausfertigung der nicht zu entnehmen ist, ob das Urteil von Richtern unterschrieben ist, bietet keine Gewähr dafür, daß sie das Urteil so wiedergibt, wie es tatsächlich gefällt worden ist. Sie kann ebenso gut von einem Urteilsentwurf hergestellt worden sein, der gar nicht oder nicht in diesem Umfang zum Urteil geworden ist.
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c)
Das Urteil wird mit der Verkündung (oder der Zustellung der Formel an Verkündungs statt) wirksam. "Ausfertigungsreif" wird es aber erst mit der Unterschrift der bei der Entscheidung mitwirkenden Richter. Die Ausfertigung entsteht noch später, nämlich erst durch die Unterschrift des Urkundsbeamten. Bis dahin liegt nur ein "Ausfertigungsentwurf" vor.
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Ohne die Unterschrift der Richter ist das Urteil also - was die Erteilung der Ausfertigungen angeht - in einer "Vorstufe", die noch vor der eines "Ausfertigungsentwurfs" liegt, bei dem die Unterschrift des ausfertigenden Urkundsbeamten fehlt. Es besteht somit kein Grund, in der Frage der Erkennbarkeit der Unterzeichnung an die Unterschriften der Richter geringere Anforderungen zu stellen als an die des Urkundsbeamten.
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d)
Deshalb ist es keineswegs eine leere Förmelei, wie das Berufungsgericht irrig meint, zur ordnungsgemäßen Ausfertigung bei der Wiedergabe der Unterschriften der Richter, ebenso wie zur ordnungsgemäßen Abschrift einer Ausfertigung bei der Wiedergabe der Unterschrift des Urkundsbeamten unter den Ausfertigungsvermerk, einen auf die Unterzeichnung hinweisenden Zusatz zu verlangen, wenn die Namen der Richter lediglich in Klammern am Ende des Urteils angegeben sind. Wie der VIII. Zivilsenat LM
ZPO § 317 Nr. 8 dargelegt hat, ist es weitgehend üblich geworden, den meist nicht deutlich lesbaren Namen, mit dem ein Schriftstück unterzeichnet ist, unter der Unterschrift in Klammern mit Maschinenschrift zu wiederholen. Davon machen Urteile - wie der vorliegende Fall zeigt - keine Ausnahme. In der Regel wird der Text der Schriftstücke aber vollständig hergestellt, bevor die Unterschrift geleistet wird. Deshalb besagt der in Klammern gesetzte Name dessen, der unterzeichnen soll, allein noch nichts darüber, ob die ohnehin erst später anzubringende Unterschrift tatsächlich geleistet wurde. Mehr als die in Klammern gesetzten Namen der Richter sind der Urteilsausfertigung aber hier nicht zu entnehmen.
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Das ist der maßgebliche Unterschied zu den Fällen, in denen in der Ausfertigung die Unterschriften der Richter zwar ohne weiteren Zusatz, aber ohne Klammer wiedergegeben werden, was für die Wirksamkeit der Zustellung ausreicht (so im Urteil des VIII. Zivilsenats LM
ZPO § 317 Nr. 8; vgl. auch den Beschluß des VI. Zivilsenats vom 9. Februar 1971 a.a.O., der die Wiedergabe des Namens des Urkundsbeamten im Ausfertigungsvermerk ohne Klammer als genügend erachtet). Eine solche Gestaltung des Urteilstextes läßt nicht darauf schließen, daß die Namen der Richter bereits vor der Unterschriftsleistung und ohne Rücksicht auf sie eingesetzt worden sind.
18
e)
Aus dem einleitenden Satz des Urteils, wonach es von den "unterfertigten" Richtern erlassen werde, ergibt sich nichts anderes. Dieser Satz kann nicht aus dem Zusammenhang genommen werden. Er gehört mit zu dem Text, der insgesamt vor der Unterzeichnung hergestellt worden ist, und besagt deshalb ebensowenig etwas über die tatsächliche Unterschriftsleistung, wie die am Ende der Urteilsformel in Klammern gesetzten Namen der Richter.
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4.
Die der Zustellung zugrunde liegende Urteilsausfertigung ist nach alledem fehlerhaft. Schon wegen dieses nicht heilbaren Mangels konnte die Zustellung vom 9. Januar 1973 die Berufungsfrist nicht in Lauf setzen. Sowohl die im Schriftsatz des Klägers vom 6. März 1973 zu erblickende als auch die am 21. März 1973 wiederholte Berufung sind somit rechtzeitig. Beide sind auch rechtzeitig - nämlich mit der Einlegung - begründet worden. Auf die von der Revision gerügten angeblichen weiteren Mängel der zugestellten Ausfertigung kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an.
20
III.
Auf die Revision des Klägers ist das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nunmehr sachlich über die vom Kläger eingelegte Berufung zu befinden haben.
Vorsitzender Richter Vogt
Richter Girisch
Richter Meise
Richter Recken
Richter Doerry
Von Rechts wegen
Verkündet am 23. Januar 1975