Hallo an alle,
in dem Verfahren - L 17 U 682/12 – ist die Entscheidung am 24.04.2013 ergangen. Folglich kann diese noch nicht in der Gerichtsdatenbank sein.
Nachfolgendes zur Erhellung und eigenen Urtelsbildung!
Mit Schreiben vom 28.04.2010 teilt mir die BGHW BG, Hamburg, folgendes mit, Zitat:
„Der Kausalzusammenhang zwischen Ihren psychischen Beschwerden und dem Unfall vom 08.03.1966 wurde von der Berufsgenossenschaft eingehend geprüft. Das Ergebnis wurde Ihnen in diversen Bescheiden und Schreiben bekannt gegeben.
Die Einordnung der ärztlich gestellten Diagnosen in das Diagnosesystem ICD-10 ist entge-gen Ihrer Auffassung keine Voraussetzung für die Kausalitätsprüfung. Wir verweisen in die-sem Zusammenhang auch auf den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 14.07.2008, Az.: S 36 U 182/08 ER, in dem u.a. folgendes ausgeführt wird: "Zum anderen ist es nicht er-kennbar, dass der Antragsteller einen Anspruch darauf haben soll, seine Gesundheitsstö-rung unter Verwendung eines Üblichen Diagnosesystems mitgeteilt zu bekommen. Soweit der Antragsteller auf das Urteil des BSG vom 09.05.2006 Bezug nimmt, ist darin lediglich eine Benennung der Gesundheitsstörung nach einem Diagnosesystem empfohlen. Ein Anspruch daraus erwachst nicht."
Nach § 102 SGB VII haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungs-träger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird. Der Gesundheitsschaden muss sicher feststehen (Vollbeweis) und durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt ( ! ) bezeichnet werden. Zuletzt: BSG Urteil vom 15.5.2012, B 2 U 31/11 R
Per FAX 0201 7992-302
Landessozialgericht
Nordrhein-Westfalen
Zweigertstrasse 54
4513O Essen 18.11.2012
In dem Rechtsstreit
L 17 U 682/12
Werner Geschonke, Hohe Egge Unterweg 11, 45549 Sprockhövel
- Berufungskläger -
gegen
Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution, vertr. d. d. Vorstand, Große Elbstr. 134, 22767 Hamburg, Gz.: E4/1578O/757-S
- Berufungsbeklagte -
begründe ich meine Berufung mit meinem gesamten Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren.
Ich beantrage:
Das Urteil des SG DO vom 05.12.2012 Az.: - S 17 U 238/12 - aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen mir die Verschriftlichung der von ihr eingehend durch-geführten 2-stufigen Kausalitätsprüfung nach der für die GUV geltenden Theo-rie der wesentlichen Bedingung und unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Gesetzes, nebst den dazu gehörenden Beweismitteln (Atteste, Befundbe-richte, Gutachten), in Kopie zukommen zu lassen, auf welche ich einen Rechts-anspruch habe (ich verweise hier auf Art 3 Abs. 1 und Art 103 GG sowie auf Art 6 EMRK, damit ich diese Schritt für Schritt prüfen und nachvollziehen kann.
Die Angelegenheit ist vollkommen unkompliziert. Die Beklagte behauptet seit 1999 ununterbrochen, zuletzt im Schreiben vom 28.04.2010, sie habe die Kausalität in meinem Fall, wie von der Rechtsprechung verlangt, eingehend geprüft. Sie braucht diese sowie die geforderten Beweismittel nur der Akte zu entnehmen, zu kopieren, diese einzutüten und an mich abzusenden. Seit Jahren fordere ich von der Beklagten die Verschriftlichung der eingehend durchgeführten Kausalitätsprüfung in Kopie. Immer wieder ohne Erfolg. Es gibt für die Beklagte sowie dem SG DO keine rechtliche Grundlage mir diese zu verweigern.
Die Beklagte und auch das SG DO muss mir schon zubilligen, dass ich mir ein eigenes Urteil über das Ergebnis dieser Prüfung bilden will und auch kann und ob die Beklagte die vom BSG im Urteil vom 9.5.2006 zwingend verlangten Anforderungen für die Beurteilung psychi-scher Beschwerden als Unfallfolge in den Entscheidungen - B 2 U 01/05 R - und - B 2 U 26/04 R - sowie die AHP (Ziffer 71) in meinem Fall berücksichtigt und angewandt hat.
Ich verweise hier ausdrücklich auf die Anmerkungen von Frau Ursula Spiolek, Ri'in am LSG Hamburg zum BSG Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - :
Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit, auf welche ich mich ausdrücklich berufe und dem LSG NRW zur Kenntnisnahme übersende.
In der Entscheidungsbegründung des SG DO heißt es: Zitat:
„Der Kläger begehrt mit seiner Klage nicht die Abänderung, die Aufhebung oder den Erlass eines Verwaltungsaktes, nicht die Verurteilung zu einer Leistung oder die Feststellung, dass eine bestimmte Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist. Der Kläger begehrt die Übersendung der „Verschriftlichung“ der von der Beklagten durchgeführten Kausalitätsprüfung, d. h. eine Begründung für die von der Beklagten getroffenen Entscheidung. Da das Gesetz eine solche Entscheidung nicht vorsieht ist die darauf gerichtete Klage unzulässig.
Zudem hat die Beklagte mehrfach in Bescheiden dargelegt, aus welchen Gründen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den psychischen Beschwerden des Klägers und dem Arbeitsunfall vom 08.03.1966 nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Die Entscheidung der Beklagten wurde zuletzt durch Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 09.11.2011 bestätigt.
Zudem ist ein pauschaler Antrag auf Ablichtungen aus der Verwaltungsakte nach den vorgegebenen Merkmalen unzulässig. Eine entsprechende Aufforderung des Gerichts vom 15.06.2012, die gewünschten Unterlagen konkret zu bezeichnen, ist der Kläger nicht nachgekommen.“
Diese Begründung des SG DO ist nicht nachzuvollziehen und im Übrigen auch noch falsch. Keineswegs durfte das SG DO meine Klage mit dieser abweisen.
Fakt ist:
1. Eine Begründung für die von der Beklagten getroffene Entscheidung habe ich nicht verlangt. Diese Behauptung ist falsch. Verlangt habe ich die Verschriftlichung der für die GUV geltenden Kausalitätsprüfung sowie der dazugehörenden Beweismittel in Kopie damit ich die eingehend durchgeführte Prüfung der Beklagten Schritt für Schritt prüfen und nachvollziehen kann.
2. Das SG DO hat im Urteil darauf hingewiesen, dass die Beklagte mehrfach in Bescheiden dargelegt hat, aus welchen Gründen ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den psychischen Beschwerden (welche Störung welche Ursache ) des Klägers und dem Arbeitsunfall vom 08.03.1966 nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Diese Behauptung der Beklagten sowie des SG DO ist nicht nachzuvollziehen und durch nichts bewiesen. Psychische Störungen werden im ICD-10 unter F 00 – F 99 codiert. Es handelt sich um mehrere hundert Störungen die unterschiedliche Ursa-chen haben können. Die Beklagte hat trotz wiederholter Aufforderung meinerseits nie eine exakte, klar definierte und anhand eines der anerkannten internationalen Diag-nosemanuale ICD-10 oder DSM-IV codierten Diagnose, wie von der Rechtsprechung verlangt, benannt. Folglich konnte diese den Ursachenzusammenhang überhaupt nicht prüfen wie das nachfolgende beweist.
Die Prüfung des Ursachenzusammenhangs in der gesetzlichen Unfallversicherung muss in drei Arbeitsschritten erfolgen.
1. Arbeitsschritt:
Es sind die tatsächlichen Umstände darzustellen, die als Ursachen überhaupt in Betracht
kommen.
1.1 Aus dem versicherten Bereich:
1.2 Aus dem unversicherten Bereich:
Hier kommen also jeweils Umstände als Ursachen aus dem versicherten Risikobereich und dem unversicherten Bereich in Betracht. Beide Umstände können jeweils nur berücksichtigt werden, wenn sie auch mit Vollbeweis nachgewiesen worden sind.
2. Arbeitsschritt:
Welche der festgestellten Umstände hat den Gesundheitsschaden nach der Bedingungs-/
Äquivalenztheorie zumindest mitverursacht? In dieser Phase der Kausalitätsprüfung sind die Ursachen also nach der Bedingungs-/Äquivalenztheorie festzustellen.
Die Prüfung erfolgt wieder differenziert nach dem versicherten und dem unversicherten Bereich. Da es sich hier um einen Kausalzusammenhang handelt, gilt der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit.
2.1 Mögliche Ursache aus dem versicherten Bereich:
2.2 Mögliche Ursachen aus dem unversicherten Bereich:
3. Arbeitsschritt: Feststellung der rechtlich wesentlichen Ursache:
Im dritten Schritt geht es nun nicht mehr um die tatsächliche Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs, sondern um eine rechtliche Bewertung. Es ist die Frage zu klären, ob die Ursache aus dem unversicherten Bereich die allein rechtlich wesentliche Ursache des Ge-sundheitsschadens gewesen ist.
Man kann es auch umgekehrt formulieren:
War die Ursache aus dem versicherten Bereich zumindest eine rechtlich wesentliche Mitur-sache des Gesundheitsschadens? Denn dann scheidet zugleich die Möglichkeit der alleini-gen Verursachung durch die Ursache aus dem versicherten Bereich aus.
Die (nach der Bedingungs-/Äquivalenztheorie im 2. Arbeitsschritt) festgestellten Ursachen sind nunmehr zu werten und gegeneinander abzuwägen.
Quelle: Dr. Hans BGHW BG, Mannheim
3. Weiter hat das SG DO angeführt, dass ein pauschaler Antrag auf Ablichtungen aus den Verwaltungsakten nach den vorgegebenen Merkmalen unzulässig sei. Einer ent-sprechende Aufforderung des Gerichts vom 15.06.2012, die gewünschten Unterlagen konkret zu bezeichnen, sei ich nicht nachgekommen.
„Sofern Sie Kopien von Unterlagen wünschen, dürfte dem nichts im Wege stehen. Erforderlich wäre jedoch, dass Sie genau die entsprechenden Unterlagen bezeichnen, möglichst mit Angabe der Blatt-Zahl.“
Auch diese Klageabweisungsbegründung des SG DO ist nicht nachzuvollziehen, wie meine Ausführungen in meinem Schreiben an das SG DO vom 04.06.2012 an das SG DO welches sich in der Gerichtsakte befindet, beweisen. In diesem heißt es u.a., Zitat:
„weise ich das SG DO noch einmal daraufhin, dass die Beklagte sich 2 Jahre lang geweigert hat mir die Verschriftlichung der von ihr eingehend durchgeführten 2-stu-figen Kausalitätsprüfung nach der für die GUV geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung und unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Gesetzes, nebst den dazugehörenden Beweismitteln (Atteste, Befundberichte, Gutachten), in Kopie zu-kommen zu lassen, auf welche ich einen Rechtsanspruch habe (ich verweise hier auf Art 3 Abs. 1 und Art 103 GG, auf Art 6 EMRK) damit ich diese prüfen und nachvollziehen kann.
Aus dem vorstehenden Text, geht präzise und detailliert hervor, was ich beansprucht habe und auch in diesem Verfahren beanspruche. Die Angabe der Blatt-Zahl war mir nicht möglich, weil mir diese nicht bekannt ist.
Mit freundlichen Grüßen
Anmerkung zu BSG 2. Senat, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R von Ursula
Spiolek, Ri'in am LSG Hamburg
Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit
Leitsätze
1. Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10; DSM IV) erforderlich.
2. Ein Kausalzusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall und einer seelischen Krankheit kann nur bejaht werden, wenn nach dem aktuellen medizinischen Erkenntnisstand ein Unfallereignis oder Unfallfolgen der in Rede stehenden Art allgemein geeignet sind, die betreffende Störung hervorzurufen.
A. Problemstellung
Die vorliegende Entscheidung befasst sich mit der Kausalität zwischen einem Arbeitsunfall und einer psychischen Störung.
Der Kläger stürzte beim Besteigen eines knapp zwei Meter hohen Gerüstes ab, fiel auf den Rücken und zog sich eine Halswirbelsäulen(HWS)-Distorsion sowie eine Schulterprellung zu. Zwei mit den Unfallfolgen befasste Ärzte waren unterschiedlicher Auffassung über die weitere Behandlung. Während der eine eine HWS-Operation vorschlug, sah der andere keine Operationsindikation. Ein halbes Jahr nach dem Unfall waren körperliche Folgen nicht mehr feststellbar. In einem neurologi-schen Gutachten wurde jedoch eine anhaltende somatoforme Schmerz- und Anpassungsstörung diagnostiziert. Nach Durchführung einer stationären Heilbehandlung lehnte der Unfallversicherungs-träger die Gewährung von Verletztenrente ab. Das Sozialgericht verurteilte ihn zur Leistungsgewäh-rung nach einer MdE von 30 v.H. unter Anerkennung einer „somatoformen Schmerzstörung mit
depressiver Fehlverarbeitung“. Dabei stützte es sich auf ein Gutachten einer Fachärztin für Neuro-logie, Psychiatrie und Sozialmedizin, nach welchem die somatoforme Schmerzstörung zwar nicht durch den Unfall selbst, wohl aber durch die unklare Behandlungssituation im Spannungsfeld zwischen zwei Ärzten mit konträren Auffassungen verursacht worden sei. Das Landessozialgericht wies die Berufung des Unfallversicherungsträgers mit der Maßgabe zurück, dass die Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren sei. Die Schmerzstörung sei durch den Unfall wesentlich mitverursacht. Im Gegen-satz zur Rechtsprechung des 9. Senats des BSG (Urt. v. 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77, 1; BSG, Urt. v. 26.01.1994 - 9 RVg 3/93 - BSGE 74, 51) sei im Unfallversiche-rungsrecht jede durch den Arbeitsunfall wesentlich verursachte psychische Erkrankung zu entschädigen. Die anfänglich unterschiedlichen Einschätzungen, welches die richtige Behandlung der körperlichen Unfallfolgen sei, hätten bei dem Kläger eine erhebliche Verunsicherung hervorgerufen, mit der die Entstehung der somatoformen Schmerzstörung erklärt werden könne. Ein Versicherter sei auch gegen einen ärztlichen Behandlungsfehler bzw. einen Diagnosefehler mit belastendem Thera-pievorschlag bei der Behandlung des unfallbedingten Primärschadens geschützt. Selbst wenn von prätraumatischen pathogenen (= krank machenden) Persönlichkeitsmerkmalen bei dem Kläger ausgegangen werde, könnten diese nicht derart konkretisiert werden, dass sie die anderen versicherten Ursachen als rechtlich nicht wesentlich in den Hintergrund drängen würden.
Mit der gegen diese Entscheidung eingelegten – vom Landessozialgericht zugelassenen – Revision machte der Unfallversicherungsträger geltend, das Landessozialgericht habe die kausalrechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung psychischer Unfallfolgen verkannt.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das BSG hat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landes-sozialgericht zurückverwiesen. Die derzeitigen Feststellungen reichten zur Entscheidung über einen Verletztenrentenanspruch nicht aus. Zwar habe der Kläger den körperlichen Erstschaden kausal durch den Arbeitsunfall erlitten. Ob eine Kausalität weiterer Unfallfolgen (und damit eine MdE) vorliege, sei jedoch noch offen.
Zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen müsse ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Ausgangsbasis sei die naturwissenschaftlich- philosophische Bedingungstheorie, wonach jedes Ereignis Ursache eines Erfolges sei, das nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der Erfolg entfiele.
In einer zweiten Prüfungsstufe sei die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht würden bzw. denen der Erfolg zugerechnet werde und solchen, die für den Erfolg rechtlich unerheblich seien. Welche Ursache wesentlich sei, müsse aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs (Gesundheitsschadens) abgeleitet werden (Theorie der wesentlichen Bedingung). Hierbei seien folgende Grundsätze zu beachten: - Sozialrechtlich sei relevant, ob das Unfallereignis wesentlich gewesen sei.
Demgegenüber komme es nicht darauf an, ob konkurrierende Ursachen wesentlich gewesen seien. Das Unfallereignis könne auch rechtlich wesentlich sein, wenn es sich um keine annähernd gleichwertige Ursache handele, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung habe (hätten). Eine (oder mehrere) Ursache(n) von überragender Bedeutung sei(en) die wesentliche Ursache. Eine nicht wesentliche Ursache könne u.U. eine sog. Gelegenheitsursache oder einen Auslöser darstellen.
Eine Gelegenheitsursache liege vor, wenn jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung sei mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen. Es sei darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar gewesen sei, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedürfe.
Der Begriff der Gelegenheitsursache sei zwar durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere täglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet. Dennoch könne nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen der Heilbehandlung das Nichtvorliegen einer Gelegenheitsursache unterstellt werden dürfe.
- Kriterien für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg seien: versicherte Ursache bzw. Ereignis als solches, insbesondere Art und Ausmaß der Einwirkung, konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes der Einwirkung, zeitlicher Ablauf des Geschehens, Verhalten des Versicherten nach dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes, gesamte Krankengeschichte und ggf. Schutzzweck der Norm.
- Bei der Theorie der wesentlichen Bedingung seien auch generelle und allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang zu berücksichtigen. Es komme auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten an. Insbesondere gehöre hierzu die Prüfung, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet sei, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Auch bei psychischen Erkrankungen sei eine generelle, durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermauerte Plausibilität der behaupteten Ursache-Wirkungs-Beziehung – wie zuletzt in den Entscheidungen des 9. Senats des BSG (Urt. v. 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77, 1; BSG, Urt. v. 26.01.1994 - 9 RVg 3/93 - BSGE 74, 51) dargelegt – zu fordern.
Fehle zu einer bestimmten Fragestellung ein wissenschaftlicher Erkenntnisstand, seien die verschiedenen Auffassungen abzuwägen und sei einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung zu folgen.
- Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall habe „anhand“ des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen. Abzustellen sei auf das individuelle Ausmaß seiner Beeinträchtigungen, wie es sich objektiv darstelle, nicht jedoch wie er es subjektiv bewerte.
- Die Kausalität sei als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festzustellen. Es genüge die hinreichende Wahrscheinlichkeit (wenn mehr für als gegen den Zusammenhang spreche und keine ernsthaften Zweifel bestünden); die reine Möglichkeit jedoch nicht. Es gebe im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, wonach bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaft-liche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache sei.
Diese Grundsätze seien ebenfalls auf psychische Störungen – inklusive Schockschäden – anzuwenden, die auch ohne Körperschaden auftreten könnten.
Als erstes müsse hierbei die konkrete Gesundheitsstörung aufgrund der üblichen Diagnose-systeme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel (z. B. ICD) und Bezeichnungen festgestellt werden. Begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischen-zeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts seien damit nicht ausgeschlossen. Vorliegend habe das Landessozialgericht zwei sich teilweise widersprechende Bezeichnungen der Gesundheitsstörung angegeben („somatoforme Schmerzstörung mit depressiver Fehlverarbeitung“ und „anhaltende somatoforme Schmerzstörung gemäß F 45.4 ICD-10“).
Bei der nachfolgenden Beurteilung des Kausalzusammenhangs nach den o.g. Grundsätzen sei vom aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Störungen auszugehen. Für die Feststellung dieses Erkenntnisstandes seien Fachbücher und Standardwerke die Ausgangsbasis. Hinzu kämen die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaften der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften und andere aktuelle Veröffentlichungen. Es biete sich eine Klärung im Rahmen des ohnehin einzuholenden medizinischen Gutachtens oder in einem gesonderten Gutachten an. Vom aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand als Basis der sachverständigen Beurteilung könne nur wissenschaftlich begründet abgewichen werden.
Diesen Anforderungen werde das Urteil des Landessozialgerichts nicht gerecht. Es fehle die Herausarbeitung jedes Teils der Ursachenkette (Unfallereignis, körperlicher Schaden, nachfolgende Behandlung, Fortbestehen von psychischen Einschränkungen, die durch das Unfallereignis verursacht wurden), u.U. mit Abgrenzung von Vorschäden und unfallbeding-tem Verschlimmerungsanteil und Feststellungen zu konkurrierenden Ursachen.
Abschließend hat das BSG noch darauf hingewiesen, dass eine allgemeingültige Abgrenzung, bis zu welcher Intensität ein Unfall bei keinem Versicherten eine (bestimmte) psychische Unfallfolge wesentlich verursachen könne, fehle. Dennoch sei die Schwere des Unfallereignisses nicht ohne Bedeutung, zumal bestimmte Diagnosen ein entsprechend schweres Ereignis voraussetzten (z.B. das posttraumatische Belastungssyndrom nach der ICD-10 F 43.1). Die auf Basis des aktuellen wissenchaftlichen Erkenntnisstandes durchzuführende Beurteilung des Einzelfalls dürfe nicht auf einen fiktiven Durchschnittsmenschen abstellen, sondern auf den konkreten Versicherten.
Wunschbedingte Vorstellungen des Versicherten (z.B. nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben) könnten einen Ursachenzusammenhang nicht begründen und seien als konkurrierende Ursachen zu würdigen, die u.U. der Bejahung eines wesentlichen Ursachenzusammenhanges entgegenstehen könnten. Ein rein zeitlicher Zusammenhang und die Abwesenheit konkurrierender Ursachen könnten bei komplexen Gesundheitsstörungen nicht automatisch die Wesentlichkeit der einen festgestellten naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache begründen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Bedeutung der Entscheidung liegt in der ausführlichen Zusammenfassung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Beurteilung des Kausalzusammenhanges im Unfallversicherungsrecht. Darüber hinaus klärt sie einige Zweifelsfragen. Gerade bei psychischen Erkrankungen in zeitlichem Zusammenhang mit einem Unfallereignis stehen die Unfallversicherungsträger und die Gerichte häufiger vor dem Problem, dass einerseits ein Unfallzusammenhang möglich erscheint und andererseits eine konkurrierende Ursache nicht ersichtlich ist.
Hinzu kommt, dass es weitgehend in der Macht des Versicherten liegt, psychische Vorerkrankungen, frühere ärztliche Behandlungen, Konflikte in sonstigen Lebensbereichen und die psychische Grundverfassung vor dem Ereignis offen zu legen. Erschwerend ist insoweit, dass auch der Versicherte selbst sich seiner Lebenssituation vor dem Ereignis nicht unbedingt bewusst ist, z.B. weil der Partnerkonflikt seit dem Unfall bedeutungslos wurde. Insoweit klärt die BSG-Entscheidung mit ihrem Hinweis auf die in dieser Situation noch fehlende positive Feststellung eines Ursachenzusammenhanges eine häufige Zweifelsfrage. Zu begrüßen ist weiter der mit deutlichen Worten vorgenommene Anschluss an die Rechtsprechung des 9. Senats (BSG, Urt. v. 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77,
1; BSG, Urt. v. 26.01.1994 - 9 RVg 3/93 - BSGE 74, 51) zur Notwendigkeit der auf generellen wis-senschaftlichen Erkenntnissen basierenden Plausibilität der Ursachen-Wirkungs-Beziehung.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die begrüßenswerte Zusammenfassung der Rechtsprechung des BSG zur Beurteilung der Kausalität insbesondere bei psychischen Unfallfolgen zeigt die Differenziertheit und Kom-plexität dieser Rechtsprechung auf.
Es liegt auf der Hand, dass (Behörden und) Instanzgerichte einen erheblichen Ermittlungsaufwand leisten müssen. Auch die medizinischen Sachverständigen dürften ohne gesonderte „Schulung“ hinsichtlich der Anforderungen, die an ihre Gutachten gestellt werden, wohl kaum im Prozess verwertbare sachverständige Äußerungen abgeben können. Die richterliche Anleitung des medizinischen Sachverständigen über ausdifferenzierte Fragestellung und gegebenenfalls Hinweise fordert nicht nur eine umfassende Durcharbeit der Aktenlage bei Vergabe des Gutachtenauftrages, sondern auch die vorausschauende Einbeziehung von möglichen Einzelfallkonstellationen, die sich u.U. noch gar nicht abzeichnen. Standardbeweisanordnungen dürften – ohne zusätzliches Wissen der Gutachter – kaum ausreichend sein. In vielen Fällen wird es sich nicht vermeiden lassen, über ergänzende konkrete Fragen (schriftlich oder bei einer Vernehmung im Termin) nachzusteuern.
Gruß
ht5028