Mitwirkungspflichten des Antragstellers und Leistungsempfängers
1. Inhalt der Mitwirkungspflichten
Nach §§ 60 bis 64 SGB I haben (Nr. 1 bis 5) oder sollen (Nr. 6 bis 9) die Empfänger von Sozialleistungen
1. alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind,
2. auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung erforderlicher Auskünfte durch Dritte zuzustimmen,
3. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen,
4. Änderungen in den Verhältnissen, über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen,
5. Beweismittel zu benennen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen,
6. auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers zur mündlichen Erörterung des Antrags oder zur Vornahme einer anderen Maßnahme, die für die Entscheidung über die Leistung notwendig ist, persönlich zu erscheinen,
7. auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers sich ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen zu unterziehen, soweit dies für die Entscheidung über die Leistung erforderlich ist,
8. sich auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung zu unterziehen, wenn zu erwarten ist, dass dies zu einer Besserung seines Gesundheitszustandes führen bzw. eine Verschlechterung verhindern würde - wenn Sozialleistungen wegen Krankheit oder Behinderungen beantragt oder bezogen werden -,
9. auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers an berufsfördernden Maßnahmen teilzunehmen, wenn unter Berücksichtigung der beruflichen Neigung und Leistungsfähigkeit dies die Erwerbs- oder Vermittlungsfähigkeit auf Dauer fördern oder erhalten wird. Dies gilt allerdings nur, wenn Sozialleistungen beantragt oder bezogen werden „wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder wegen Arbeitslosigkeit". (Zu den berufsfördernden Maßnahmen zählen Trainingsmaßnahmen, Mobilitätshilfen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen usw.)
Die Mitwirkungspflichten treffen gleichermaßen die Empfänger von Sozialleistungen wie die Antragsteller von Sozialleistungen sowie die Personen, die Sozialleistungen zu erstatten haben.
2. Kosten der Mitwirkung
Dem Antragsteller bzw. Leistungsempfänger dürfen durch die Mitwirkung keine Kosten entstehen. Ist dies bei der Pflicht zum persönlichen Erscheinen (§61 SGB I) bzw. der ärztlichen oder psychologischen Untersuchung (§ 62 SGB I) nicht zu vermeiden, kann auf Antrag nach § 65 a SGB I Ersatz der notwendigen Auslagen und des Verdienstausfalls in angemessenem Umfang bezahlt werden. Bei Aufwendungen anlässlich des persönlichen Erscheinens des Leistungsempfängers bzw. Antragstellers sollen Aufwendungen allerdings nur in Härtefällen ersetzt werden.
3. Grenzen der Mitwirkung
Die Pflichten der Antragsteller und Leistungsempfänger sind allerdings nicht grenzenlos. So muss jemand seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, soweit
1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der bezogenen oder beantragten Sozialleistung steht oder
2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder
3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann,
In der Praxis spielt bei der Pflicht zur Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen vor allem der Bezug von Einkommen bei Leistungen, die einkommensabhängig sind (z.B. Arbeitslosengeld II) eine Rolle. Das gleiche gilt für die Aufnahme einer Beschäftigung im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Arbeitslosengeld I oder II, weil diese Leistung die Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitssuche des Betroffenen voraussetzt. Zu dem Pflichtenkatalog gehört es, die Änderung der Anschrift des Leistungsempfängers bzw. Antragstellers unverzüglich mitzuteilen.
Würde sich ein Antragsteller oder Leistungsbezieher durch Angaben der Gefahr aussetzen, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, kann er diese Angaben verweigern. Das gilt auch, sofern die Gefahr ihm nahestehenden Personen (§ 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO) droht.
Der Antragsteller bzw. Leistungsempfänger kann Behandlungen bzw. Untersuchungen ablehnen, wenn bei ihnen Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann oder die Untersuchungen bzw. Behandlungen mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder sie einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten.
Beispiel:
A. hat an einem Finger eine durch einen Arbeitsunfall verursachte Lähmung, die zu einer Greifschwäche der Hand führt und auch Schmerzen verursacht. Die Ärzte der Berufsgenossenschaft erläutern A., dass mit einer erheblichen Besserung seines Zustandes und einer vollständigen Funktionsfähigkeit der verletzten Hand zu rechnen sei, wenn der gelähmte Finger amputiert werde.
A. wendet sich hiergegen (zu Recht!) mit der Begründung, eine Fingeramputation sei eine Art Selbstverstümmelung, die ihn mehr belaste als der gegenwärtige Zustand.
Das BSG hat hierzu ausgeführt, dass der Gesundheitszustand einer Hand primär an ihrer Funktionsfähigkeit gemessen werden müsse. Die in § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I enthaltene Grenze der Mitwirkung (Unzumutbarkeit aus einem wichtigen Grund) stelle aber darauf ab, ob der Sozialleistungsberechtigte einen aus seiner Sicht verständlichen Grund für seine Weigerung habe. Diesen Grund objektiv nachzuvollziehen, bedeute aber nicht, dass jedes Mitglied der Solidargemeinschaft denselben Grund nennen würde. Hier kommt es vor allem auf die Bewertung des Heilerfolgs durch den Sozialleistungsberechtigten selbst an. Allerdings darf es sich bei seinen Befürchtungen nicht nur um allgemein geäußerte Bedenken handeln, die in keiner Weise objektiv nachvollzogen werden können.
Nach § 60 Abs. 2 SGB I hat der Leistungsempfänger bzw. Antragsteller bei der Angabe von Tatsachen sowie der Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen möglichst Vordrucke zu benutzen, soweit dies vom Leistungsträger vorgesehen ist. Die Norm stellt aber lediglich eine Soll-Vorschrift dar.
4. Folgen fehlender Mitwirkung
Das SGB schreibt nicht vor, dass die Mitwirkungspflichten durch Zwangsmittel o.ä.durchgesetzt werden sollen. Vielmehr kann (nicht muss!) der Leistungsträger nach seinem Ermessen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung nach § 66 SGB I ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus:
1. Die Nichterfüllung einer gesetzlichen Mitwirkungspflicht (ob Verschulden vorliegt oder nicht, ist unmaßgeblich),
2. ein schriftlicher Hinweis auf die konkreten Folgen einer fehlenden Mitwirkung an den Betreffenden,
3. eine Aufforderung unter Fristsetzung zur Erfüllung der Mitwirkungspflichten,
4. eine eindeutige Mitteilung in der Entscheidung des Leistungsträgers, dass Ermessen ausgeübt worden ist.
Ziel der Versagung (ganz oder teilweise) bzw. Entziehung ist es, den Leistungsberechtigten zur Nachholung der unterlassenen Mitwirkung anzuhalten. Dies ist mit einer rückwirkenden Entziehung nicht zu erreichen. Deswegen scheidet im Rahmen der §§ 60 ff. SGB I eine rückwirkende Entziehung aus. Die Untersagung bzw. Entziehung richtet sich demgemäß nur auf die Zukunft. Der Leistungsträger muss den Antragsteller bzw. Leistungsempfänger unmissverständlich bei einer Zuwiderhandlung gegen §§60 bis 64 SGB I darüber aufklären, dass bei einer weiteren Weigerung die Leistungen versagt würden. Dabei müssen sowohl das zeitliche Ausmaß als auch der Umfang der vorgesehenen Leistungsversagung konkret benannt werden. Der pauschale Hinweis, der Leistungsträger werde sich ggfls. gezwungen sehen, sein Verhalten nach § 66 SGB I zu werten und die Leistung zu versagen, reicht nicht aus.
Holt der Leistungsempfänger bzw. Antragsteller seine Mitwirkung nach, steht es im Ermessen des Leistungsträgers, die Sozialleistungen, die er versagt bzw. entzogen hat, nachträglich ganz oder teilweise zu erbringen (§ 67 SGB I). Für die Zukunft werden die Leistungen sowieso erbracht.