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Haushaltsführungsschaden: 15,25 Euro/Stunde?

Grüß Dich, Emma1!

Zu Deinen Fragen:

01
Einen generell richtigen Stundensatz gibt es nicht.

Drei Elemente beeinflussten den Stundensatz in dem Urtwil des LG Köln ganz erheblich:

(a)
Die Basis dieser Berechnung war, was Haushaltskräfte verdienen. Das ist dort auf eine statistisch sehr zuverlässige Basis gestellt worden. Nämlich auf Zahlen aus dem statistischen Bundesamt.

(b)
Es ging in dem Urteil aus Köln um eine Geschädigte, die -teilwiese alleinerziehend- für kleine Kinder sorgen mußte, die insbesondere am Wochenende (= Kids nicht in Kita und Schule aufgeräumt) viel aufwand erzeugen. Folge? Zuschläge für Arbeit am Samstag, Sonntag, Feiertag.

(c)
Die Geschädigte wohne im Großstadtrevier.

Beides drückte des Stundensatz nach oben. Für einen Haushalt ohne Kinder im kleinstädtischen Bereich dürfte der Stundensatz geringer gelegen haben, überschlägig geschätzt: 13,00 Euro. .

02
Den allerwichtigsten Einfluss aber hatte etwas anderes. Dazu bitte ich Dich, in dieser Kolumne meinen ersten Beitrag zu lesen: Es geht ja um den Wert, Netto berechnet, den eine Stunde ARBEIT kostet - schließlich sind auch Stunden an ARBEIT ausgefallen. Im normalen Lohn sind aber auch Stunden bezahlt, in denen man nicht arbeitet. Das ist z.B. der Urlaub. Eine 39 Stundenwoche bedeutet zwar 52 x 39 Std./Jahr = rd. 2028 Std. Von denen werden allerdings nicht alle Stunden gearbeitet! Sondern nur rd. 1.650 Std.; wenn also jemand im Jahr netto -sagen wir- 20.280 Euro Lohn hat, dann sin das 10,00 Euro pro bezahlter Stunde. Pro gearbeiteter Stunde sind das 12,29 Euro.
Unterschied wahrgenommen-?

Dazu kommt dann auch noch zu allem, dass in der Zeit, in der die fiktive Haushaltshilfe im fiktiv coronafreien Mallorca ebenso fikltiv Urlaub hat (für den sie bezahlt wird!), was macht man da als Unfallopfer? Nun: Man beschäftigt eine Urlaubsvertretung. Die will aber auch Geld haben! Das muss mit einkalkuliert werden.


03
Pflege: Da berichte ich im nächsten Beitrag, weil ich den dortigen Stundensatz nicht im Kopf habe und das Aktenzeichen auch nicht.

Da hat sich nämlich das Landgericht Bamberg jüngst dazu entschlossen, Assistenzkosten und Pflegekosten nach dem gleichen System wie oben geschildert zu berechnen.

Die Schwäche des Bamberger Urteiles liegt aber darin, dass das Landgericht Bamberg aus besonderen Gründen dieses Falles den Tarifvertrag des Öffentliches Dienstes (= gut) für Pflege (= auch gut) verwendet hat, aber für völlig unqualifizierte HIlfepersonen (= schlecht, langt oft nicht) gewählt hat.

Das kann man aber durchaus umrechnen.

04
Vorsicht: Bei Pflege wird oft etwas vorgeschlagen, was gegen den verbindlichen Mindestlohn für Pflege (= Spezial-Midnestlohn) verstößt.

Ich melde mich wieder!


ISLÄNDER
 
Hallo Isländer,

vielen Dank für Deine Antwort zum Thema Stundenlohn beim Haushaltsführungsschaden. Das hat mir schon mal ein Stück weitergeholfen.

Viele Grüße
Emma1
 
Grüß Dich, Emma1, grüß Euch alle hier!

Emma1 hat gefragt: Wie sieht es bei den Stundensätzen für pflegerische Tätigkeiten aus? Kann man da den gleichen Stundensatz verwenden?

01
Zunächst einmal: Das System, wie man das berechnet, ist bei Pflege durch die eigene Umgebung, durch die Familie und Freunde genau das gleiche System wie das, dass das Landgericht Köln anerkannt hat.

(a)
Ihr habt hoffentlich oben alle gemerkt, wie ich das Urteil des LG Köln erläutert habe: Man darf nicht den Nettolohn pro Stunde ausrechnen und diesen dann ansetzen.

(b)
Man muss den Nettolohn pro gearbeiteter Stunde ausrechnen. Das ist sehr viel mehr: Denn Lohn wird auch bezahlt für Stunden, in denen gar nicht gearbeitet wird. Zum Beispiel an Feiertagen. Oder während des Urlaubes. Und während die fiktive Haushaltshilfe Urlaub macht und nicht arbeitet, trotzdem aber bezahlt wird, in dieser Zeit muss ja eine Urlaubsvertretung her.

(c)
Und das ist genauso bei Pflegetätigkeiten. Das Prinzip der Berechnung ist also das gleiche: Bis auf einen Unterschied. Man muss sich das Pflegegeld der Pflegekasse auf den Schaden anrechnen lassen. Genauso, wie man sich beim Verdienstentgang Erwerbsunfähigkeitsrente anrechnen lassen muss.


02
Das Landgericht Bamberg hat im Urteil vom 26.02.2021, Aktenzeichen 23 O 480/19 einen solchen Pflegefall gehabt, hat aber die Ansicht vertreten, der Anspruchsinhaber brauche zwar Hilfe zum Leben, die aber in seinem Fall keine qualifizierte Tätigkeit ist.

(a)
Das mag in einem anderen Fall anders aussehen!

(b)
Trotzdem hat das Landgericht Bamberg den Rechenweg, wie ihn das Landgericht Köln gesehen hat, ebenfalls nachvollzogen. Obwohl nur unqualifizierte Arbeit erforderlich war, hat das Landgericht Bamberg im Ergebnis einen Netto-Stundensatz von 16,55 € pro Arbeitsstunde zugesprochen. Das sind jetzt alle Zuschläge für Hilfe am Wochenende, an Sonntagen und Feiertagen drin, die Umlage für die Urlaubsvertretung und auch Zuschläge für Überstunden.


(c)
Das Landgericht Bamberg hat seine Berechnung auf den TVÖD aufgebaut, dass es der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes. Das hat viel für sich, denn es gibt sehr viele Arbeitsverhältnisse, die von diesem Tarifvertrag direkt betroffen sind. Und es strahlt aus auf den übrigen Arbeitsmarkt! Und so hat der TVÖD eine gewisse Leuchtturm-Wirkung.

(d)
Das Landgericht Bamberg hat nicht übersehen, dass es für Pflegekräfte eine besondere Tabelle gibt (die etwas mehr gibt als die allgemeine Tabelle des TVÖD-VKA).

(e)
Sollte einmal ein Gericht da nicht recht mitspielen wollen:

Achtung, es gibt für die PFlegebranche einen speziellen gesetzlichen Mindestlohn, der weit höher ist als der allgemein bekannte. Der Mindestlohn in der Pflege beträgt im Augenblick brutto 11,80 Euro/Stunde, ab 01.09.2021 sind es 12,00 €.
Das steht sogar im Gesetz: In der "4.PflegeArbbVO"

Das ist schon mal mehr als der allgemeine Mindestlohn: Der liegt bei 9,35 €, mit dem einige rumhantieren.


03
Genau diesen Rechenweg ist das Landgericht Bamberg schon in einem früheren Urteil gegangen: Urteil 2 O 173/98 vom 06.02.2008.

04
Wir haben also inzwischen 3 Urteile, die diesen Rechenweg bestätigen.

05
Es wird nicht leicht sein, dass durchzusetzen.

(a)
Es langt sicher nicht, dass man nur darauf hinweist, was das Landgericht Köln oder das Landgericht Bamberg entschieden hat. Denn dann merken die Richter in Euren Fällen nicht, worin die Besonderheit liegt. Das muss man aber tun, sonst machen die das so, wie sie es immer schon gemacht haben. Aus Tradition, aber halt eben falsch.

(b)
Man musste mich dazu sehr genau vortragen. Im Fall des Landgerichts Köln und im älteren der beiden Fälle in Bamberg waren jeweils Sachverständige eingeschaltet, die offenbar sich einmal richtig gründlich mit Personalkosten befasst haben.
Im jüngeren Fall des Landgerichts Bamberg hat sich ein Rechtsanwalt hingesetzt. Der arme Hunde hat vermutlich mehrere Tage lang nichts anderes gemacht, als zu lernen, wie der TVÖD funktioniert. Ein mutiger Mann: Der TVÖD hat so 260 Seiten. Aber irgendwie hat er es geschafft.


06
Vor kurzer Zeit hat mir übrigens ein vernünftiger Mensch einen einen besonders netten Hinweis gegeben:


In der Zeitschrift „Versicherungsrecht" 2019, Seite 1122 ist ein Aufsatz, in dem die Autoren den Kopf darüber schütteln, wie man heute noch mit 8,00 oder 9,00 € pro Stunde beim Haushaltsführungsschaden kalkulieren könne, wie das einige Oberlandesgerichte, weit von der Welt entrückt aber immer noch tun.
Die Autoren vertreten die Ansicht, es sei anständig und gerecht, von 12,00 € pro Stunde beim Haushaltsführungsschaden netto auszugehen.
(Ich habe den Artikel nachgelesen. Da steht wirklich etwas von Anstand und von Gerechtigkeit.)

Der Witz daran ist aber: Einer der beiden Autoren ist ein gewisser Herr Lang. In der Fußnote zu dem Aufsatz steht, dass er Abteilungsdirektor der Allianz ist.

Wer jetzt einen Fall mit der Allianz zu verarbeiten hat, hat damit einen tollen Hebel. Denn die Allianz wird er wohl kaum behaupten wollen, dass die eigenen Allianzdirektoren würden zu Lasten der eigenen Versicherung die Preise in die Höhe treiben!

Also, das sollte man dann aber auch in der Verhandlung gründlich ansprechen und der Gegenseite aufs Butterbrot schmieren. Es ist übrigens kein Fehler, eine Fotokopie dieses Artikels dann auf den Richtertisch zu legen, und zu saftig zu fragen, ob irgendjemand dagegen etwas zu vermelden habe?! ("Jetzt, Herr Allianzanwalt, machen Sie mal wahrheitsgemäße Angaben, wahrheitsgemäße, wenn ich bitten darf!")

06
Kommst Du damit zu Schuss, Emma1?


Ich wünsch Euch allen frohe Ostern!

ISLÄNDER
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Isländer,

vielen herzlichen Dank für Deine detaillierten Ausführungen und entschuldige bitte meine späte Rückmeldung.

Ich muss mich erst mal noch konzentriert dahinter klemmen, ist ja doch ein komplexes Thema. Ich melde mich dann nochmal, sollten Fragen auftreten.

Schönes Wochenende und viele Grüße
Emma
 
Hallo Isländer, ist das Urteil LG Bamberg mit dem Aktenzeichen 23 O 480/19 veröffentlicht?
 
Grüß Dich, Fridadoro,

soweit mir es bekannt ist, ist das Urteil nicht veröffentlicht. Aber man kann es bestellen beim LG Bamberg in anonymisierter Form, wenn man ein rechtliches Interesse darlegt.

ISLÄNDER
 
Hallo ISLÄNDER,

ein sehr interessanter Beitrag und sehr schlüssig.

Ich brauchte da dennoch deinen Rat.

Mein Anwalt hat für die gegnerische Versicherung nach dem Hohenheimer Verfahren folgendes errechnet:


In dem Zeitraum 08.04.2020 - 17.04.2021
denn von mir zu 90% geführten Haushalt mit unterschiedlichen Einschränkungen zwischen 50 und 100% Ausfall von meiner Seite.

Das Hohenheimer Verfahren legt 36 Std. von meiner Seite aus an Arbeistsanteil proWoche zu Grunde, das machen 5,14 Std am Tag, das wären für diesen Zeitraum 1876,1 Std. Da ich aber zum Teil Arbeiten eingeschränkt verrichten konnte, werden nach Abzug dieser Std. noch 1383.39 Std. für die Berrechnung berücksichtigt.
Die Vergütung erfolgt mit 10 €/ Std.
(OLG Frenkfurt/M Urt.v. 18.10.2018, 22 U 97/16)

Das würde heißen, das mein Anwalt meinen Haushaltsführungsschaden nicht optimal für micht berechnet hat?

Das wären nach deinem Stundensatz/ Urteil ein nicht unwessentlich höherer Betrag, der da im Raume steht.

Liege ich da richtig oder mache ich da einen Denkfehler?
 
Grüß Dich, Gaby!

Deine Frage kann man mit den vorliegenden Angaben nicht so ohne weiteres beantworten, aber:

01
Du verlangst Haushaltsführungsschaden für Ausfälle im Jahre 2020/2021. Dann muss man auch das Lohnniveau der Jahre 2020 und 2021 zugrunde legen.
Das Urteil, das Du zitierst, bezieht sich auf Schäden des Jahres 2014 und damit auch auf das damalige Lohnniveau. Inzwischen sind aber die Durchschnittslöhne in Deutschland um + 12,70 % gestiegen. Wer arbeitet 2014 für den Lohn von 2020/21-?


02
LG Köln und LG Bamberg haben sich Gedanken gemacht, die sich sonst fast keiner macht. Auch nicht das OLG Frankfurt.

Das OLG Frankfurt hat sich in dem Urteil, das Du zitierst, keine Gedanken dazu gemacht:

(a)
Man muss nicht am 25.12. eines Jahres Staubsaugen und Wäsche bügeln. Das kann man verschieben. Anderes nicht:

- Betreuungsarbeit für Kinder
- Küchenarbeit

Also gibt's Haushaltsarbeit, die man nicht auf die Tage Monats bis Freitag verschieben kann. Oder gibts bei Dir an Weihnachten nur kalten Braten, abgespült wird erst am 27.12.-?

Wo sind die Feiertagszuschläge bedacht?

(b)
Auch folgendes hat das OLG Frankfurt nicht bedacht:

"10,00 Euro netto pro (bezahlter) Stunde" kann (in Großstädten sicher nicht, aber in strukturschwachen Gegenden vielleicht noch) für Haushaltsarbeit im akzeptabelen Bereich liegen, wenn man damit, wohlgemerkt, die bezahlten Stunden meint.

Nur, bei Dir geht es um den Wert nicht der bezahlten Stunden, sondern um den Wert der "Sonst gearbeiteten" Stunden, also der ausgefallenen Arbeitsstunden. Also geht es bei Dir um das Netto, das die tatsächlich gearbeitete Stunde gekostet hätte.

Der ist deultich höher. Denn es werden viele Stunden BEZAHLT, in denen ABER NICHT GEARBEITET wird.

(a)
Hättest Du eine Haushaltshilfe gehabt, wäre diese über einen Monat lang nicht zur Arbeit gekommen. Aber Du hättest sie zahlen müssen. Wie das? Na, sie wäre in Urlaub gewesen! In Deutschland muss Urlaub bezahlt werden! 30 Tage (Mo-Sa) hat der durchschnittliche Deutsche Urlaub.

(b)
Da hätte also eine Urlaubsvertretung ran müssen. Die hätte man aber auch bezahlen müssen. Wo ist das Geld für die Urlaubsvertretung?


03
Dein Anwalt hat etwas ganz übliches gemacht. Das ist durchaus "normal", wie er gerechnet hat. Aber wenn man genau hinschaut, ist das einfach falsch. Weil keiner genauer hinschaut. Urlaub und ähnliche Dinge gibt's nun mal.

04
Es gib einen nette Aufsatz in der Zeitschrift "Versicherungsrecht" von 2019, Seiten 1122 ff.; da schreiben zwei Autoren, die vielfach auch benutzten 8,50 Euro pro Stunde seien nicht nachvollziehbar, fairerweise müsse man von 12,00 Euro netto ausgehen. Was der Sache den nötigen Schwung gibt: Einer der Autoren ist ein Richter am OLG a.D., der andere aber ist: Abteilungsdirektor der ALLIANZ Versicherung AG. Solltest Du die Allianz auf der Gegenseite haben: Dann würde ich den Artikel zitieren und scharf nachfragen, ob man vielleicht glauben solle, dass die Allianz-Direktoren neuerdings der Allianz in den Rücken fallen?

ISLÄNDER
 
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