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Halbierung der Dosiswerte zur BK 2108

JOS

Mitglied
Registriert seit
22 Okt. 2006
Beiträge
33
Hallo zusammen, habe mich zwar schon seit langem nicht mehr hier gemeldet, (keine Zeit) wollte Euch aber eine info nicht vorenthalten, da ich nach einer ersten Suche hier nichts zum Thema finden konnte:
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 30.10.2007 (Az: B 2 U 4/06 R) aufgrund der Ergebnisse der deutschen Wirbelsäulenstudie das Mainz-Dortmunder-Dosismodel (MDD) in folgenden Punkten modifiziert:
1. Das Erreichen einer bestimmten Mindesttagesdosis kann nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr verlangt werden. Dies bedeutet, dass nach diesem Urteil zukünftig auch berufliche Belastungen an Arbeitstagen, an denen der MDD-Richtwert für die Beurteilungsdosis Dr von 5.500 Nh bei Männern und 3.500 Nh bei Frauen unterschritten wird, bei der Berechnung der Gesamtdosis DH zu berücksichtigen sind.
2. Die MDD-Richtwerte für die Gesamtbelastungsdosis sind zu halbieren. Dies bedeutet, dass zukünftig von einer beruflichen Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit 2108 bei einer Gesamtdosis DH von 12,5 x106 Nh bei Männern und 8,5 x106 Nh bei Frauen auszugehen ist.
Von dem o.g. Urteil liegt bislang nur die beiliegende Pressemitteilung vor.
Bundessozialgericht
BUNDESSOZIALGERICHT - Pressestelle -
Graf-Bernadotte-Platz 5, 34119 Kassel
Tel. (0561) 3107-1, Durchwahl -460, Fax -474

Kassel, den 31. Oktober 2007
Terminbericht Nr. 55/07 (zur Terminvorschau Nr. 55/07)
Der 2. Senat des Bundessozialgerichts berichtet über seine Sitzung vom 30. Oktober 2007:

Der Senat hat die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen, weil die bislang festgestellten Tatsachen keine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr 2108 Anl BKV erlauben.

Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung damit begründet, dass bereits die im Tatbestand der Nr 2108 Anl BKV geforderten schädigenden Einwirkungen durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung beim Kläger nicht vorgelegen hätten. Die nach dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für die Annahme eines erhöhten Krankheitsrisikos notwendige Gesamtbelastungsdosis habe der Kläger im Verlauf seines Berufslebens lediglich zu rund 60 % erreicht. Bei einer derart deutlichen Unterschreitung des maßgebenden Richtwertes sei die Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr 2108 Anl BKV ohne weitere Ermittlungen zu verneinen.

Dieser Beurteilung konnte sich der Senat nicht anschließen. Er hat allerdings das MDD in der Vergangenheit selbst als eine "mit Abstrichen geeignete Arbeitsgrundlage" zur Bestimmung der als gesundheitsgefährdend einzustufenden Belastungsdosis bezeichnet und - ohne damals Grenzwerte im Sinne einer Mindestbelastungsdosis daraus abzuleiten - in zwei Fällen aus einer sehr deutlichen Unterschreitung der Richtwerte um 50 % bei der Gesamtdosis und um mehr als 50 % bei der Tagesdosis auf das Fehlen der arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit geschlossen. Die zwischenzeitlich abgeschlossene Deutsche Wirbelsäulenstudie hat Schwächen des MDD aufgedeckt bzw bestätigt, die dessen Aussagewert relativieren. So deuten die Ergebnisse der Studie darauf hin, dass auch unterhalb der Orientierungswerte nach dem MDD ein erhöhtes Risiko für bandscheibenbedingte Erkrankungen bestehen kann. Das Erreichen einer bestimmten Mindesttagesdosis, wie nach dem MDD gefordert, kann nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht mehr verlangt werden, sodass sich bei vielen Versicherten höhere Gesamtdosen ergeben, weil die bisher nicht berücksichtigten Belastungen an Tagen, die unterhalb der Mindesttagesdosis lagen zu den bisher schon aufaddierten Tagen mit Tagesdosen oberhalb dieses Grenzwertes hinzukommen.

Der Senat hält trotz dieser Schwächen und der weiterhin geäußerten Kritik gegenwärtig noch am MDD in modifizierter Form als Grundlage für die Konkretisierung der im Text der Nr 2108 Anl BKV zur Kennzeichnung der beruflichen Einwirkungen verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe fest, weil aktuell kein den wissenschaftlichen Erkenntnisstand besser abbildendes Alternativmodell zur Verfügung steht. Im Hinblick auf die bestehenden Unsicherheiten sind aber die Richtwerte des MDD für die Gesamtbelastungsdosis zu halbieren, sodass von einem langjährigen Heben oder Tragen schwerer Lasten bzw einer langjährigen Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen ist, wenn mindestens 50 % des nach dem MDD ermittelten Wertes für die Gesamtbelastungsdosis erreicht oder überschritten wurden. Da Letzteres beim Kläger bereits nach der bisherigen, ungünstigeren Berechnungsmethode der Fall war, sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen in seinem Fall erfüllt und es bedarf der weiteren Prüfung, ob das Bandscheibenleiden ursächlich auf die beruflichen Belastungen zurückzuführen ist.

Der Rechtsstreit gibt Anlass, den Verordnungsgeber nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Fassung der Berufskrankheiten-Tatbestände in der Anlage der BKV dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot genügen muss. Das schließt die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zur Beschreibung der arbeitstechnischen und medizinischen Voraussetzungen einer BK nicht aus, solange sich deren Inhalt auf der Grundlage eines gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisstandes hinreichend konkretisieren lässt. Eine gleichmäßige Rechtsanwendung ist aber nicht mehr gewährleistet, wenn ein solcher Erkenntnisstand nicht existiert und sich Inhalt und Voraussetzungen der BK deshalb mit den herkömmlichen juristischen Auslegungsmethoden nicht mehr zuverlässig bestimmen lassen.

SG Mannheim - S 11 U 599/01 -
LSG Baden-Württemberg - L 6 U 2188/03 - -BSG B 2 U 4/06 R -


mfg JOS

 
Hallo Jos,

sollte das Urteil des BSG in Zukunft in dieser Form umgesetzt werden, ist das die beste Nachricht, die ich so kurz vor meiner Verhandlung hätte erhalten können. Meinen ganz besonderen Dank dafür!

Aber wie steht es mit der Umsetzung? Sind die Richter schon jetzt daran gebunden? Ist zu erwarten, dass die dieses Urteil schon kennen und sich danach richten? Oder wie ist es sonst möglicherweise auszulegen? Und das Wichtigste, kann es sich schon bei meiner Verhandlung auswirken?

Ich hätte schon gerne noch Näheres gewusst, bevor ich meinen Anwalt damit konfrontiere. Für weitere Erläuterungen wäre ich Dir sehr dankbar!

Grüsse von
IngLag

Hallo Jos,

wo finde ich für meinen Anwalt diesen Terminbericht im Internet?

Grüsse von
IngLag
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hallo IngLag,
Das Urteil ist auf der BSG-Seite zu finden unter Termine/ Pressevorberichte oder hier:
http://juris.bundessozialgericht.de...ent.py?Gericht=bsg&Art=tm&Datum=2007&nr=10110
Ob die Richter das Urteil kennen - sie sollten es kennen; ob es umgesetzt werden wird? Frag die Leute vom HVBG, die hier reinschauen...
Das Urteil sollte jedenfalls gehörig publik gemacht werden, denn es ändert die Rechtsprechung zur BK 2108 gravierend!
mfg
JOS
 
Hallo Jos,

vielen Dank! Du hast mir sehr geholfen.

Grüsse von
Inglag
 
Hallo JOS,

Besten Dank für diese Information, das ist nicht nur für BK 2108 wichtig, das enthält einen Grundsatzgedanken!

.... ob es umgesetzt werden wird? Frag die Leute vom HVBG, die hier reinschauen...
Das Urteil sollte jedenfalls gehörig publik gemacht werden, denn es ändert die Rechtsprechung zur BK 2108 gravierend!

Gruß Ariel
 
Hallo an euch,

das Urteil wird bestimmt vielen Betroffenen helfen können. Nach meinen Erfahrungen (und auus Urteilen zu der BK 2108, die ich bisher gelesen habe) ist eine Anerkennung oft an der zu geringen Belastungsdosis gescheitert.
Oft sind Betroffene schon vom TAD zu gering bewertet worden und hatten somit gar keine Chance überhaupt ernst genommen zu werden.

Viele Betroffene lassen sich durch die erste Ablehnung bereits abschrecken.
Die andere Seite ist, weiß ich aus eigener Erfahrung, dass, wenn die Dosis stimmt, die medizinischen Kriterien so hingedreht werden - von den Gutachtern - dass auch eine Anerkennung flachfallen muss.
Es werden sogar Falschdiagnosen gemacht (in meinem Fall vorgekommen)

Hätte ich jetzt eine Verhandlung wie du, IngLag, würde ich das Urteil auf alle Fälle ansprechen, vorlegen lassen vom Anwalt.
Wozu sollten denn die Urteile sonst gut sein? Es geht um dein Recht und da solltest du alle Möglichkeiten, die dir helfen könnten, nutzen.

Gruß und allen ein schönes weekend
Ramona
 
Hallo Ramona,

ich denke, für mich sieht die Sache ganz gut aus! Ich kann dem Richter beweisen, dass die Berechnungen der Belastungsdosis durch den TAD fehlerhaft und unvollständig sind, weil sehr belastende Tätigkeiten, die z.B. bei der Montage einer Grabmalanlage unerlässlich sind, nicht enthalten sind. Weiterhin hat der TAD mehrere Tages-Belastungen knapp unter die bisherigen geforderten 5.500 N angesetzt, die aber jetzt in die Berechnung einfliessen müssen.

Von der med. Seite ist zu sagen, dass der vom Gericht bestellte Gutachter (ausgerechnet Dr. Visé) eine berufliche Verursachung meiner LWS-Schädigungen sah und eine MDE von 20 % vorgeschlagen hat. Dies Gutachten ist schon 1 Jahr alt und scheint von der BG akzeptiert worden zu sein. Sie hatten ja nicht mit dieser neuen Entwicklung gerechnet. Ob sie jetzt dagegen noch was machen können, ist sehr fraglich. Es wäre ja zu offensichtlich und nur als eine Reaktion zum BSG-Urteil zu sehen.

Grüsse von
IngLag
 
Hallo IngLag,

da kann ich dir nur noch viel Glück für deine bevorstehende Verhandlung beim SG wünschen.

Gruß Ramona
 
Hallo,


Grundsatzfrage:

Was mache ich mit einem bereits abgeschlossenen Verfahren? Wideraufnahmeverfahren beantragen?

Hier nochmals der Link
http://www.rechtsanwaeltin-ingrid-claas.de/html/_neue_bsg_urteile.html


Grundsätzlich ist damit zu rechnen, dass viele Fälle, die in der Vergangenheit abgelehnt wurden, neu aufgerollt werden müssen. In Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung in Wiesbaden am 31. 10. 2007 zum Thema 2108 wurde darauf hingewiesen, dass 50 % aller Fälle wegen Fehlen der arbeitsrechtlichen Voraussetzungen abgelehnt wurden. Hier besteht konkreter Handlungsbedarf. Die Problematik beginnt in der vollständigen Erfassung der Einzelbelastungen, die häufig in viele Einzelschritte zu teilen und einzeln aufzulisten sind. Hier fehlen oft wichtige Positionen, die dann zur Ablehnung führen. Neu sind in der Deutschen Wirbelsäulenstudie die verschiedenen Belastungsmodelle, die bei Verschleiss oder Bandscheibenvorfall zur Anwendung kommen können, in der Praxis aber noch nicht getestet sind. Für die medizinischen Voraussetzungen kann das neue Konsensmodell herangezogen werden, das den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, bzw. den kleinsten gemeinsamen Nenner der verschiedenen Theorierichtungen widerspiegelt.
 
Zuletzt bearbeitet:
"Urteil" des BSG vom 30.10.07

Hallo,

wie bezeichnet man korrekterweise diese in der Pressemitteilung als Terminbericht Nr. 55/07 bezeichnete Zurückverweisung an das LSG?

Ich glaube nicht, dass man da von einem Urteil sprechen kann. Und ich will mir am Montag bei der Verhandlung keine Blösse mit einer unkorrekten Bezeichnung geben, sollte ich dies zur Sprache bringen müssen.
Wer weiss da mehr?

Grüsse von
IngLag
 
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