Anderweitige Feststellung über den Grad der MdE
Eine eigenständige Feststellung des GdB durch das Versorgungsamt ist dann nicht zu treffen, wenn bereits in einer Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung eine anderweitige Feststellung über den Grad der MdE getroffen ist. Dies gilt insbesondere für Bescheide über Renten, Kapitalabfindungen und sonstige Versorgungs- oder Entschädigungsleistungen, in denen der jeweilige Leistungsträger einen bestimmten MdE-Grad zugrunde gelegt hat. Die Feststellungen binden insoweit, als das Versorgungsamt zuungunsten des behinderten Menschen hiervon nicht abweichen darf. Ist in einem Festsetzungsverfahren nach dem Recht der Unfallversicherung eine unfallbedingte MdE rechtsverbindlich festgesetzt worden, ist für eine niedrigere Festsetzung des GdB nach dem SGB IX kein Raum mehr (SG Karlsruhe Breithaupt 1995, 275 = HVBG-INFO 1995, 1170). Die Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit schließt nach § 69 Abs. 2 SGB IX eine von ihr abweichende Feststellung des Grades der Behinderung durch das Versorgungsamt auch dann aus, wenn diesem bei der Entscheidung über die Höhe des Grades der Behinderung oder über dessen Herabsetzung nach § 48 SGB X der Bescheid des Unfallversicherungsträgers nicht bekannt war und der behinderte Mensch sich erst nachträglich – z. B. im Gerichtsverfahren – auf ihn berufen hat (vgl. LSG Berlin Urteil vom 16. November 2000 – L 11 SB 15/99 = E-LSG SB-026 = SGb 2001, 184)
Die Rentenbescheide der Rentenversicherungsträger nach dem SGB VI zur Erwerbsunfähigkeit / Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung haben dagegen keine solche Bindungswirkung, da in ihnen kein MdE-Grad festgestellt wird. Ob eine Person einen GdB von 50 aufweist und somit schwerbehindert ist, steht mit der Frage, ob bei ihr nach dem SGB VI a. F. Erwerbsunfähigkeit oder nach dem SGB VI n. F. volle Erwerbsminderung besteht, in keinerlei Wechselwirkung, weil die jeweiligen gesetzlichen Voraussetzungen völlig unterschiedlich sind. Die Frage nach dem Bestehen von Schwerbehinderung ist für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bzw. vollen Erwerbsminderung auch nicht als Vorfrage entscheidungserheblich (BSG Beschluss vom 9. 12. 1987 – 5b BJ 156/87; Beschluss vom 8. 8. 2001 – B 9 SB 5/01 R).
Auch umgekehrt binden folgerichtig die Bescheide der Versorgungsverwaltung über den GdB nicht den Rentenversicherungsträger bezüglich der Feststellung der MdE (LSG Baden-Württemberg Urteil vom 11. 3. 2003 – L 11 RJ 4989/02 m. w. Nachw.). Der Bescheid des Versorgungsamtes über die Schwerbehinderteneigenschaft eines Beamten und den Grad seiner Behinderung (GdB) binden die Dienstbehörde nicht bei der Entscheidung, ob eine wesentliche Beschränkung der Erwerbsfähigkeit i. S. des § 35 Abs. 1 BeamtVG vorliegt (OVG Lüneburg Urteil vom 25. 5. 1993 – 2 L 51/89 = NdsMBl. 1994, 116).
Allerdings haben die Versorgungsämter eine eigenständige Feststellung des GdB dann zu treffen, wenn der behinderte Mensch hieran ein Interesse glaubhaft macht. Die Vorschrift des § 69 Abs. 2 SGB IX soll einen doppelten Verwaltungsaufwand lediglich für die Wiederholung einer bereits getroffenen Feststellung entbehrlich machen. Muss aber das Versorgungsamt wegen des glaubhaft gemachten Interesses des behinderten Menschen ohnehin tätig werden und eine verbindliche Feststellung treffen, so liegt kein Grund für eine Bindung des Versorgungsamtes an die anderweitige Feststellung vor (Niedersächs. LSG Urteil vom 26. 5. 2000 – L 9 SB 247/98). Bei einer Feststellung der MdE nach den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsätzen ist dies dann der Fall, wenn die dort üblichen MdE-Sätze niedriger sind als der GdB nach den Anhaltspunkten. So wird z. B. bei Verlust des Unterschenkels mit langem Stumpf der GdB nach den Anhaltspunkten mit 50%, die MdE in der Unfallversicherung mit 40% bewertet. Ein Interesse an einer anderweitigen Feststellung i. S. des § 69 Abs. 2 SGB IX besteht auch dann, wenn nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) eine Feststellung nur wegen der anerkannten Schädigungsfolge getroffen worden ist und weitere Behinderungen bislang keine Berücksichtigung gefunden haben (Bayer. LSG Beschluss vom 19. 5. 2000 – L 18 B 53/00 SB PKH = SGb 2000, 369. Deshalb kann ein Prozesskostenhilfeantrag für eine Klage auf Feststellung des GdB nach dem SGB IX nicht wegen mutwilliger Rechtsverfolgung abgelehnt werden, wenn wegen dieser Behinderung gleichzeitig ein Rechtsstreit nach dem OEG anhängig ist (Bayer. LSG a. a. O.).
Die Entscheidung darüber, ob ein schon festgestellter Vomhundertsatz einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ungeprüft in den Schwerbehindertenausweis übernommen wird, ist ein Verwaltungsakt (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 4 = Breithaupt 1992, 755).