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Hab ne Frage Unfall oder nicht?

Hallo @Isländer!

Da ich mit einem vergleichbaren Problem zur Schuldfrage mit der Versicherung eines der Unfallverursacher über die Höhe der Schuldfrage ihres VN und damit der Übernahme der Konsequenzem diskutieren darf - der andere Unfallverursacher ist mangels Fahrerflucht und Verfahrenseinstellung nicht greifbar - wärst du so nett, das Aktenzeichen etc. des von dir genannten Urteilsinhalts ebenfalls bereitzustellen?

Herzlichen Dank schon mal jetzt
 
Grüß Dich, Ehemann!

01
Ich bin gerade im Urlaub und deshalb nicht nahe meinen Büchern. Aber ich sehe mal nach, ob ich in meinen Daten etwas finde. Ggf. sprich mich nochmal in 2 Wochen an, bis dahin aber:

02
Das, was ich geschreiben habe, ist aber Juristen eigentlich selbstverständlich. Deshalb finde ich auch sicher einige Urteile
Ich meine, ich hätte den Fall aus der NZV, der Neuen Zeitschrift für Verkehrsrecht.

03
Inzwischen: Wir war denn Dein Fall-? Das wäre zudem auch hilfreich, vielleicht finde ich da ein besonders treffendes Beispiel. Denn der Fall, den ich beschrieben habe, zeichnet sich durch die Besonderheit "Kind beteiligt" aus. Mit Glück finden wir sogar bei meinen eingeschränkten Möglichkeiten etwas, die ich im Urlaub habe. Also, erzähle mal. Wie war das?


ISLÄNDER
 
Grüß Dich, Ehemann!

01
Einen besonderen Fall "Unfall mit Haftung ohne Berührung" habe ich gefunden:
BGH VersR 1988, 640 [BGH 09.02.1988 - VI ZR 168/87] (VI ZR 168/87)

Ein Hund wurde aus dem Auto rausgelassen, lief auf die Fahrbahn, wurde von einem Auto erfaßt, flog deshalb in die Gegenfahrbahn - dort beschädigte der Aufprall des Hundes einen anderes Auto. Der BGH fand: Das hat noch "bei Betrieb" des Autos passiert, aus dem der Unglückshund herausgesprungen ist. Der Halter dieses Autos haftet also!

02
Nun - Du verstehst, weshalb Du Deinen Fall etwas genauer schildern solltest, damit ich eine treffendere Entscheidung finde.

ISLÄNDER
 
Grüß Dich, Rekobär!

01
In Deiner letzten Antwort ist ein Begriff aufgetaucht: „Anscheinsbeweis“. Was das ist, wird vielen Lesern nicht viel sagen. Ich glaube, wir sollten es einmal erklären.

02
Der Anscheinsbeweis ist der Versuch, sich mithilfe von Erfahrungen der Wahrheit zu nähern.

Wir nehmen an, Du kommst gerade um die Straßenecke, und das siehst Du:

Vor einer Ampel stehen 2 Autos. Das vordere ist hinten beschädigt. Das hintere Auto ist vorne beschädigt. Dazwischen liegt etwas Glas und Dreck auf der Fahrbahn, und einige Leute stehen mit mehr oder weniger betretenen oder zornigen Gesichtern auf dem Gehweg. Das ist die Ausgangslage.

Was wirst Du jetzt denken? Vermutlich: „Aha, das kennt man schon, hier wie in zahlreichen ähnlichen Fällen, der hintere wird dem Forderung aufgefahren sein. Warum, weiß man nicht so genau, vielleicht war zu schnell, hatte zu wenig Abstand, hat zu spät gebremst, dass es aber eigentlich wurscht, denn: in allen Varianten ist der Auffahrer der Schuldige".

03
Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit stimmt das auch. Denn das Ergebnis, nämlich die Situation, die Du gesehen hast, lässt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf den Vorlauf schließen. Tritt so eine Lage auf, spricht man vom „Anscheinsbeweis“, genauer: dem „Beweis des 1. Anscheines“.
Er beruht schlicht und innig auf Lebenserfahrung.

04
Der Anscheinsbeweis kann einen auch einmal in die Irre führen. Denn nur, weil es häufig so ist, muss es nicht jedes Mal zu sein. Das gleiche Bild vor der Ampel kann auch dadurch erzeugt worden sein, dass alle beide Autos friedlich dagestanden sind, bist im Vorderen eingefallen ist, dass er die Spur wechseln will, sodass er zurück setzte, ohne zu schauen. Auch das gibt es.

05
Deshalb gibt es auch spezielle Regeln dafür, wie man eine Bewertung im Anscheinsbeweis wieder vernichtet. Man muss nicht den Gegenbeweis führen, also den Beweis dafür, dass es diesmal anders gewesen ist. Es reicht aus, dass man den untypischen Geschehensablauf vorträgt. Das muss man aber sehr gründlich tun (auf Juristen-deutsch: „substantiiert darlegen“). Damit ist dann der Anscheinsbeweis erschüttert, das Gericht kann sich dann nicht mehr auf diese typische Geschehenslage stützen.

06
Nicht immer arbeiten Gerichte sauber und korrekt damit. Immer wieder liest man fehlerhafte Sätze in Urteilen, sinngemäß so: Die eine oder andere Seite konnte nicht das Gegenteil von dem beweisen, was der Anscheinsbeweis bereits belegt hat. (Der Anscheinsbeweis muss nicht widerlegt werden! Es genügt, einen anderen, halt eben untypischen Geschehensablauf schlüssig darzustellen).

Deshalb muss man dann, wenn ein Gericht mit dem Wort „Anscheinsbeweis“ arbeitet, sorgfältig darauf hinwirken, dass das Gericht nicht in Irrtümer verfällt.

07
Der Anscheinsbeweis spielt eine noch größere Rolle dann, wenn man einmal so weit gekommen ist, dass feststeht: Der Beklagte muss ganz oder teilweise haften“..

(a)
Hat man diese Phase hinter sich, so stellt sich die Frage: „Na und? Was sind jetzt eigentlich die Folgen?"

(b)
Für die Antwort auf diese Frage gibt es Beweiserleichterungen. Derjenige, dessen Recht verletzt worden ist, muss nicht mehr voll beweisen, es genügt, dass er den Richter mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit vom Schadensumfang überzeugt.

Es liegt auf der Hand, dass man dazu Erfahrungswerte, statistische Erkenntnisse, übliche Handlungsmuster und Ähnliches berücksichtigen darf.


ISLÄNDER
 
Hallo Isländer,

sehr gut erklärt, Hätte ich nicht besser machen können.

In dem Ulmer Fall war meine Erklärung in meinem Gutachten, welches ich für den Kläger erstellte, für die Richter am OLG plausibler, als die Schutzbehauptung des Beklagten. Dieser bzw. der Rechtsanwalt der gegnerischen Versicherung, hatte diese Schutzbehauptung als Erschütterung des Anscheinsbeweises genutzt, was zunächst auch in der ersten Instanz für die Beklagten zum Teilerfolg führte.

Nun, die Schutzbehauptung der Beklagten hätte tatsächlich zutreffen können. Dann kam noch dazu, dass die Richterin der ersten Instanz die Strecke, auf der der Unfall passierte, fast tätglich befährt. Und da sie das tat, meinte sie zu wissen, wann ein Fahrzeug zu sehen ist und wann nicht.

Ich ntuzte am Vorabend der Verhandlung am LG Ulm die Chance und durchfuhr mit dem Kläger die Strecke. Ich hatte dabei die Fahrt gefilmt. Genau aus diesem Grund wusste ich, ab wann der Beklagte eine Gefahr für sich hätte erkennen können. Dieser Ort befand sich allerdings näher am Kollisionsort, als vom Beklagten behauptet, sodass für das von ihm behauptete Fahrmanöver des Klägers nicht genügend Zeit zur Verfügung gestanden hätte.

Der SV-Kollege, der von der Richterin bestellt wurde, hatte den Unfallort weder durchfahren, noch dies gefilmt. Stattdessen besorgte er sich eine Draufsicht des Unfallortes von Googlemaps und behauptete, man hätte genug Sicht von beiden Seiten aus gehabt. Von oben stimmte das auch. Da aber die beiden keine Hubschrauber flogen, sondern auf der Straße fuhren, bot sich im Durchfahrmodus der Straße ein anderes Bild.

Dieser Fakt wurde letztendlich von der Richterin und von ihrem beauftragten Gutachter schlichtweg ignoriert.

Herzliche Grüße vom RekoBär :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Grüß Dich, Rekobär!

01
Jetzt bin ich aber wirklich platt. Wie konnte es nur kommen, dass ein Sachverständiger für die Rekonstruktion eines Unfalles den Unfallort nicht besucht?

Bodenwelle, Senken, Kuppen, all das kann man nicht sehen in Google-Earth.


02
Bei den geologischen Landesämtern gibt es allerdings unter Umständen Möglichkeiten. So zum Beispiel kann man mithilfe des „BayernAtlas“ sich auch ein Höhenprofil erstellen lassen. Ob das allerdings ausreicht, ist die Frage. Und zwar eine, hinter die zwei „?“ gehören!

03
Als besonders problematisch sehe ich es an, sich auf die Bilder der Polizei zu verlassen. Warum ist das problematisch?

(a)
Nach meiner Erfahrung hat die Polizei von Fotografie selten etwas gehört.

(aa)
Dann macht ein Polizist ein Bild, vielleicht 80 m von der Unfallstelle entfernt, Fahrtrichtung des Unfallbeteiligten 01. Dann das gleiche, 80 m aus der anderen Richtung, das war die Fahrtrichtung des Unfallbeteiligten 02.

(ab)
Wenn jetzt der eine Unfallfahrer mit einem ganz normalen Pkw unterwegs war, dann hatte er eine andere Perspektive. Denn ich wette, dass der Polizist sein Foto geschossen hat, da stand er breitbeinig da, und hatte die Kamera so ungefähr in Augenhöhe. Die Augenhöhe ist aber bei einem Menschen, der in einem Pkw setzt, so ungefähr ganz grob einen halben Meter weiter unten.

(b)
Nun haben ja Kuppen die Eigenschaft, dass man sich sieht. Meint man!

(ba)
Im wirklichen Leben fallen sie einem nicht auf, wenn es sich um Formationen handelt, die 20 oder 30 cm hoch sind. Es gibt aber einen Unterschied zwischen „fällt mir nicht auf“ und „ist nicht da“.

(bb)
Dann entsteht der Fehler, dem die Richterin in der 1. Instanz zum Opfer gefallen ist und die meinte, dass er die Strecke kenne. Weil Sie sie täglich fahre.
Nun, da fällt eine Kuppe von 20 cm gar nicht mehr auf. Hat aber erheblichen Einfluss darauf, wie weit man sieht.

Und wenn man täglich eine Strecke fährt, wer legt sich schon jeden Tag Rechenschaft darüber ab, wie weit man wirklich sieht? Daraus, dass man die Sichtverhältnisse (wie sie auch immer sind) gewohnt ist, sind die Sichtverhältnisse nicht gut.

04
Das hätte der Rechtsanwalt der Geschädigten aber merken müssen! Denn wenn ein Sachverständiger im Gerichtsauftrag tätig wird, dann einen Ortsaugenschein ansetzt, muss er auch die Parteivertreter laden. Ob das nun in jeden einzelnen Fall zweckmäßig ist oder nicht, entscheidet nicht der Sachverständige, sondern: Er muss laden.

Bei genauer Lektüre des Gutachtens hätte der Rechtsanwalt merken müssen, dass dem Höhenprofil in der Nähe der Unfallstelle nicht erwähnt worden ist.

05
Daran sieht man aber auch, durch welche scheinbaren Kleinigkeiten ein Prozess in Gefahr geraten kann.


ISLÄNDER
 
Hallo Isländer,

wie wahr, wie wahr. Naja, Gott sei Dank hat sich die Berufung zum Guten gewendet und die Meinung der Richterin der Instanz war damit hinfällig.

Jedenfalls hat sich meine Arbeit, die ja im Gegenhalten gegen das Gerichtsgutachtens lag, nun doch für den Kläger ausgezahlt. Und darauf bin ich richtig stolz.

Herzliche Grüße vom RekoBär :)
 
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