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Gutachten mit Würdigung von bekanntem Gutachter

rthenrw

Erfahrenes Mitglied
Registriert seit
11 Okt. 2006
Beiträge
212
Hallo zusammen,
hier ein Urteil des BSG zur psychische Störungen. Unter Punkt 30 steht auch etwas über die Würdigung von z.B. einem bekannten Gutachter. Ich glaube, das durch dieses Urteil einigen im Verfahren helfen kann. Ich habe den Teil der Würdigung mal rot geschrieben.


Viel spaß beim lesen.

Gruß an alle


Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls - Zurechnung einer Verrichtung des
Versicherten zu einer versicherten Tätigkeit - Anerkennung eines Arbeitsunfalls — Frontalzusammenstoß zweier
Straßenbahnen als Unfallereignis — Unterscheidung und Zurechnung im Sozialrecht nach den Theorien der
wesentlichen Bedingung - Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge
Gericht:
Datum:
Aktenzeichen:
Entscheidungsform:
BSG
09.05.2006
B 2 U 26/04 R
LexisNexis Fundstelle:
Urteil
LNR 2006, 22847
Fundstellen: DB 2006, XXX Heft 22 (Kurzinformation)
SGb 2006, 420-421 (Volltext)
Rechtsgrundlagen:
§581 Abs. 1RVO
§214 Abs. 3 SGB VII
§ 7 Abs. 2 SGB VII
§ 8 Abs. l SGB VII
§ 548 Abs. 3 RVO a.F.
Verfahrensgang: vorgehend:
LSG Sachsen-22.01.2004
Redaktioneller Leitsatz:
1. Das Entstehen von längerandauemden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens ist
Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente.
2. Die Voraussetzung Minderung der Erwerbsfähigkeit in Folge eines Versicherungsfalles erfordert
zunächst, dass überhaupt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch eine
Beeinträchtigung seines körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens gegeben ist und dass diese
Beeinträchtigung in Folge des festgestellten Versicherungsfalles eingetreten ist.
3. Nach der Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen
angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zur Schadensfolge zu deren Eintritt wesentlich
mitgewirkt haben.
4. Die Theorie der wesentlichen Bedingung gilt auch für psychische Störungen.
5. Die Annahme einer Verschlimmerung ggf. vorbestehender Gesundheitsstörungen durch das
Unfallereignis setzt voraus, dass der Vorschaden und der unfallbedingte Verschlimmerungsanteil
abgrenzbar sind.
In dem Rechtsstreit
hat der 2. Senat des Bundessozialgerichts
auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Mai 2006
durch
den Vorsitzenden Richter Steege,
die Richter Mütze und Dr. Becker sowie
die ehrenamtlichen Richter Liedtke und Lippert
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 2004 aufgehoben
und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
l
Der Kläger begehrt von der beklagten Berufsgenossenschaft die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen
eines Arbeitsunfalls.
2
Der im Jahre 1954 geborene Kläger arbeitete seit 1982 bei den L. Verkehrsbetrieben als Straßenbahnfahrer. Am 28.
September 1993 lenkte er einen zur Gleispflege eingesetzten Arbeitswagen stadtauswärts und prallte mit einer
stadteinwärts fahrenden Straßenbahn auf einem signalgeregelten eingleisigen Streckenabschnitt ohne ausreichenden
Sichtkontakt frontal zusammen. Etliche Fahrgäste wurden leicht, die beiden Triebwagenführer sowie ein weiterer
Arbeitnehmer erheblich verletzt. Der Fahrer des entgegenkommenden Zuges wurde vom Amtsgericht wegen fahrlässiger
Körperverletzung verurteilt.
3
Der Kläger war zunächst in seinem Arbeitswagen eingeklemmt, musste befreit werden und wurde anschließend in die
Universitätsklinik L. eingeliefert. Dort wurden u.a. eine Fraktur der ersten Rippe rechts, Kontusionen des linken
Vorfußes sowie der rechten Brustseite diagnostiziert. Ab dem 25. Oktober bis zum 8. November 1993 war der Kläger
wieder als Straßenbahnfahrer tätig. Vom 9. November 1993 an wurde er von der praktischen Ärztin B. -B. wegen
Erbrechens, Ohnmachtsanfällen und Kopfschmerzen bis zum 25. April 1994 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Nach
einer Untersuchung des Betriebsarztes war der Kläger dann fahrtauglich, bis er am 4. Mai 1994 aufgrund einer von ihm
angegebenen Bewusstlosigkeit wieder als fahruntauglich eingestuft wurde. Weitere ärztliche Behandlungen sowie
Begutachtungen und ein stationäres psychosomatisches Heilverfahren vom 26. September bis zum 7. November 1995 zu
Lasten des Rentenversicherungsträgers schlössen sich an. Mittlerweile wurde der Kläger aus dem Arbeitsverhältnis
entlassen und erhält Sozialhüfe.
4
Nachdem der Kläger im Rahmen eines Gutachtens für eine Privatversicherung eine Kopfverletzung durch den Unfall
angegeben hatte, diagnostizierten der neurologische Sachverständige Prof. Dr. W. ein Schleudertrauma der
Halswirbelsäule (HWS), eine Commotio cerebri und ein Schmerzsyndrom sowie der neuropsychologische
Sachverständige Dr. D. ein psychovegetatives Allgemeinsyndrom. Beide schätzten die Minderung der Erwerbsfahigkeit
(MdE) des Klägers auf insgesamt 40 v.H. nach den im sozialen Entschädigungsrecht geltenden Grundsätzen. Dem trat
der Chirurg Dr. B. als Beratungsarzt der Beklagten entgegen, weil schon eine Kopfverletzung nicht gesichert sei. Der
von der Beklagten beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. H. stimmte ihm in seinem Gutachten zu, zumal es
unwahrscheinlich bis ausgeschlossen sei, dass der Unfall ein Allgemeinsyndrom - was mimer darunter zu verstehen sei -
ausgelöst habe. Daraufhin lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente ab (Bescheid vom 27. August 1996,
Widerspruchsbescheid vom 11. September 1997).
5
In dem anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Leipzig (SG) zahlreiche weitere ärztliche Unterlagen sowie
ein psychiatrisches Gutachten bei Dr. G. eingeholt, nach dem der Kläger bei dem Unfall eine Prellung des Herzmuskels
erlitten habe, die zu Herzrhythmusstörungen und den Ohnmachtsanfällen geführt habe, außerdem sei es zu einem
Schädel-Hirn-Trauma im Bereich des Temporallappens mit Persönlichkeitsveränderungen gekommen, aus dem
chronischen Unverstandenfühlen habe sich eine chronifizierte Anpassungsstörung entwickelt. Seit der
Herzschrittmacheroperation des Klägers am 12. Juli 1998 sei dessen MdE vorläufig mit 30 v.H. einzuschätzen. Das SG
hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger infolge seines Arbeitsunfalls eine Verletztenrente nach einer MdE von 25 v.H.
zu gewähren (Urteil vom 14. September 1999).
6
Das Sächsische Landessozialgericht (LSG) hat nach Vorlage bzw. Beiziehung weiterer ärztlicher Unterlagen ein
neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei Dr. H. eingeholt, der einen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall
und den erörterten Gesundheitsstörungen verneinte. In der Sache hat das LSG die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen (Urteil vom 22. Januar 2004) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Dem Gutachten von Dr.
G. könne nicht gefolgt werden, denn eine HWS-Verletzung, eine Herzprellung oder eine Verletzung des Gehirns durch
den Unfall seien nicht bewiesen. Der Kläger habe aufgrund des Unfalls im Sinne einer conditio sine qua non mit
Wahrscheinlichkeit eine Somatisierungsstörung und eine ängstlich depressive Störung entwickelt. Vor dem Unfall sei er
beschwerdefrei, beruflich und sozial integriert gewesen. Psychische Vorschäden in einem Umfang, dass alltägliche
Ereignisse geeignet gewesen wären, diese zu verschlimmern und den Kläger psychosozial zu desintegrieren, seien nicht
im Vollbeweis gesichert. Nur in der von der Beklagten vorgelegten Stellungnahme von Prof. Dr. M. und in dem
Gutachten von Dr. H. sei zu der unfallversicherungsrechtlichen Zusammenhangsfrage näher Stellung genommen worden.
Prof. Dr. M. könne nicht gefolgt werden, weil er entgegen anderen übereinstimmenden ärztlichen Aussagen schon eine
psychische Störung mit Krankheitswert verneint habe. Keiner der Ärzte, für die der Unfall nur ein Anlassgeschehen für
die weitere psychische Entwicklung des Klägers gewesen sei, habe eine plausible Erklärung dafür geliefert, warum das
Leben des bis dahin erkennbar unauffälligen Klägers nach dem Unfall eine derartige Wendung genommen habe. Dr. H.
habe den Unfall zwar auch als beliebig austauschbare Bedingung angesehen, jedes andere gravierende bzw. besonders
belastende Ereignis habe angesichts der Persönlichkeitsstruktur des Klägers ähnliche Reaktionsweisen hervorrufen
können. Der Zusammenstoß von zwei aufeinander zufahrenden Straßenbahnen könne jedoch nicht als
Gelegenheitsursache im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und damit als "alltäglich
vorkommendes Ereignis" angesehen werden (ua Hinweis auf BSG SozR 2200 § 549 Nr. 10). Diesen Rechtsbegriffhabe
Dr. H. verkannt, andererseits sei er aber von einem besonders belastenden Ereignis ausgegangen. Die für die
Unfallversicherung zuständigen Senate des BSG hätten sich der verdeckten Rückkehr des für das soziale
Entschädigungsrecht zuständigen 9. Senats des BSG zur Adäquanztheorie nicht zu Eigen gemacht, wonach von einem
Ursachenzusammenhang zwischen einer bestimmten seelischen Krankheit und einem bestimmten seelisch schädigenden
Vorgang nur gesprochen werde könne, wenn nach allgemeinem medizinischem Erfahrungswissen die Krankheit nach
einem Vorgang dieser Art gehäuft auftrete (Hinweis auf BSG SozR 3-3800 § l Nr. 4). Diese Auffassung widerspreche
der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Auch die mnestischen Störungen des Klägers seien
auf die durch den Unfall unmittelbar psychisch ausgelösten Synkopen zurückzuführen, zumal er erst nach dem Unfall
über diese Störungen berichtet habe.
7
Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie macht
geltend: Das LSG habe das früher in § 548 Abs. l der Reichsversicherungsordnung (RVO), jetzt in § 8 des Siebten
Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) normierte und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte
Kausalitätsprinzip verletzt. Die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG sei auf die gesetzliche Unfallversicherung zu
übertragen. Denn auch in der gesetzlichen Unfallversicherung müsse von den gesicherten Erkenntnissen der
medizinischen Wissenschaft ausgegangen werden. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Unfallereignis eine Erkrankung
im Sinne einer conditio sine qua non verursacht habe, müsse zunächst geklärt werden, ob aus ärztlicher Sicht eine
geeignete Ursache vorgelegen habe. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung erfordere nach den
gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie sie in den Klassifikationssystemen ICD-10 oder DSM IV definiert
seien, als Eingangskriterium "eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation
außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes ..., die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung
hervorrufen würde". Ohne ein solches Trauma dürfe die Diagnose "posttraumatisches Belastungssyndrom" nicht gestellt
werden. Eine generalisierende Zugrundelegung von Kausalitätsmaßstäben hinsichtlich der Zusammenhangsfrage bei
psychischen Erkrankungen sei auch aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Ungleichbehandlung
geboten. Erst auf der Basis genereller Erkenntnisse zur Kausalität sei in einem weiteren Prüfungsschritt der konkrete
Einzelfall unter Berücksichtigung der individuellen Persönlichkeit zu beurteilen. Des Weiteren müsse bedacht werden,
dass die gesetzliche Unfallversicherung der Ablösung der zivilrechtlichen Unternehmerhaftpflicht diene, private
Versicherungen aber mittlerweile so genannte Schockschäden aus dem Kreis der versicherten Risiken ausschlössen.
Ohne bestimmte Eingangskriterien und bestimmte Kausalitätsanforderungen wären beliebige psychische Reaktionen auf
minderschwere Ereignisse nach dem subjektiven Ausmaß der Beeinträchtigung des Betroffenen zu entschädigen. Zur
Bejahung des Ursachenzusammenhanges sei es nicht ausreichend, wenn psychische Vorschäden nicht mit dem
Vollbeweis gesichert seien und ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und den psychischen Störungen
bestehe. Ebenso wenig genüge es, wenn andere Erklärungsversuche für die Krankheit scheiterten.
8
Das LSG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten, indem es sich in medizinischen Fragen über die
Beurteilung der gehörten Sachverständigen hinweggesetzt habe. Dem Gutachten von Dr. G. sei das LSG zu Recht nicht
gefolgt. Der vom LSG gehörte Sachverständige Dr. H. habe einen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den
Gesundheitsstörungen des Klägers verneint. Das LSG hingegen habe diesen Zusammenhang aus eigener Sachkunde
bejaht, ohne diese darzulegen. Konkurrierende Ursachen, wie die in einzelnen ärztlichen Unterlagen angedeuteten
Partnerschaftsprobleme oder ein Sich-unverstanden-Fühlen des Klägers seien nicht erörtert worden. Die MdE-Schätzung
sei nicht nachvollziehbar.
9
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 22. Januar 2004 und des Sozialgerichts Leipzig vom 14.
September 1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus: Nach der Rechtsprechung des Senats (Hinweis
auf BSGE 18, 173) komme es nicht darauf an, wie ein "normaler" Verletzter reagiert habe. Vielmehr sei für die Bejahung
der Wesentlichkeit die gegebenenfalls anlagebedingt geringere Widerstandskraft des Verletzten zu berücksichtigen, der
durch die gesetzliche Unfallversicherung in seiner speziellen Persönlichkeit geschützt werde.
II
12
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache
begründet. Denn nach den derzeitigen Feststellungen des LSG kann nicht beurteilt werden, ob der Kläger aufgrund
seines Arbeitsunfalls am 28. September 1993 einen Anspruch auf Verletztenrente gegen die Beklagte hat oder nicht.
13
Versicherte haben Anspruch auf eine Verletztenrente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über
die 13. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist (§ 581 Abs. l RVO, der trotz des
Inkrafttretens des SGB VII am 1. Januar 1997 vorliegend noch anwendbar ist, weil um die Gewährung einer
Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls am 28. September 1993 gestritten wird, und über die Verletztenrente schon
vor dem 1. Januar 1997 von der Beklagten entschieden worden ist - § 214 Abs. 3 SGB VII).
14
Die erste Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente - das Vorliegen eines Versicherungsfalles, hier: eines
Arbeitsunfalls - ist erfüllt. Für einen Arbeitsunfall ist nach § 8 Abs. l SGB VII in der Regel erforderlich, dass die
Verrichtung des Versicherten zurzeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher
Zusammenhang, vgl. BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92 S 257; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 19), dass diese
Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt
hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten
verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des
Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines
Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 11/04 R -
BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 14 jeweils RdNr. 5; BSG Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -
BSGE 94, 269 [BSG 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R] = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 jeweils RdNr. 5).
15
Der Kläger lenkte zurzeit des Unfalls im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Straßenbahnfahrer einen Arbeitswagen
(sachlicher Zusammenhang). Diese Arbeit führte auch zu dem Frontalzusammenstoß der Straßenbahnen als
Unfallereignis (Unfallkausalität). Durch das Unfallereignis war der Kläger zunächst in seinem Arbeitswagen
eingeklemmt und erlitt als physischen Gesundheitserstschaden zumindest eine Fraktur der rechten Rippe, eine Kontusion
des linken Vorfußes sowie der rechten Brustseite. Dies ergibt sich aus den für den Senat bindenden Feststellungen des
LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).
16
Ob die zweite Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente, eine Minderung der Erwerbsfahigkeit in Folge
dieses Versicherungsfalles, erfüllt ist, kann aufgrund der Feststellungen des LSG nicht beurteilt werden. Diese
Voraussetzung erfordert zunächst, dass überhaupt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten durch eine
Beeinträchtigung seines körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens gegeben ist und dass diese Beeinträchtigung in
Folge des festgestellten Versicherungsfalles - hier des Arbeitsunfalls - eingetreten ist, also über einen längeren Zeitraum
andauernde Unfallfolgen vorliegen. Zur Feststellung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung infolge eines
Versicherungsfalles muss zwischen dem Unfallereignis und den geltend gemachten Unfallfolgen entweder mittels des
Gesundheitserstschadens, z.B. bei einem Sprunggelenksbruch, der zu einer Versteifung führt, oder direkt, z.B. bei einer
Amputationsverletzung, ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen
Bedingung bestehen.
17
1.
Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur
Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Auflage 2006, Vorb v § 249 RdNr. 57 ff m.w.N. sowie zu den
Unterschieden BSGE 63, 277, 280 [BSG 28.06.1988 - 2 RU 28/87] = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der
naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache
eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Auf Grund
der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische
Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die
rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für
den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.
18
Da Verschulden bei der Prüfung eines Versicherungsfalles in der gesetzlichen Unfallversicherung unbeachtlich ist, weil
verbotswidriges Handeln einen Versicherungsfall nicht ausschließt (§ 548 Abs. 3 RVO; heute: § 7 Abs. 2 SGB VII),
erfolgt im Sozialrecht diese Unterscheidung und Zurechnung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Nach dieser
werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum
Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (grundlegend: Reichsversicherungsamt, AN 1912, S 930 f;
übernommen vom BSG in BSGE l, 72, 76; BSGE l, 150, 156 f; stRspr vgl. zuletzt BSG Urteil vom 12. April 2005 - B 2
U 27/04 R - BSGE 94,269 [BSG 12.04.2005 - B2U27/04R] = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr. 11). Welche
Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung
der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE l, 72, 76).
19
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze
herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das
Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht
gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern
rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die
andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG SozR Nr. 69 zu § 542 a.F. RVO; BSG SozR Nr. 6
zu § 589 RVO; vgl. Krasney in Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd 3, Gesetzliche Unfallversicherung,
Stand Januar 2006, § 8 RdNr. 314, Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003,
Kap 1.3.6.1, S 80
f). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von
überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im
Sinne des Sozialrechts (BSGE 12,242, 245 = SozR Nr. 27 zu § 542 RVO; BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die andere
Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich"
anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts
ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden
(BSGE 62,220, 222 f [BSG 27.10.1987 - 2 RU 35/87] = SozR 2200 § 589 Nr. 10; BSG SozR 2200 § 548 Nr. 75; BSG
Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 [BSG 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R] = SozR 4-2700 § 8 Nr.
15 jeweils RdNr. 11). Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits
vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so
stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art
unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben
Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (BSGE 62,220, 222 f [BSG 27.10.1987 - 2 RU 35/87] = SozR 2200 § 589 Nr. 10;
BSG Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 [BSG 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R] = SozR 4-2700 § 8
Nr. 15 jeweils RdNr. 11; ähnlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.). Bei der Abwägung kann der Schwere des
Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der
versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu
dem vom LSG offenbar gezogenen Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen, wie
es im Fall des Klägers vorgelegen hat, ein gegenüber der Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne
weiteres zu unterstellen ist.
20
Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der
versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die
konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens -
aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die Letzte war -, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten
des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten
Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (vgl. BSGE 38, 127, 129 = SozR
2200 § 548 Nr. 4; BSG SozR 4-2200 § 589 Nr. 1).
21
Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache
orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt (vgl. zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 [BSG 28.06.1988
- 2 RU 28/87] = SozR 2200 § 548 Nr. 91; Krasney in Brackmann, a.a.O., § 8 RdNr. 312), bedeutet dies nicht, dass
generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingungen
nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären (vgl. schon BSG SozR Nr. 6 zu § 589 RVO). Die
Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über 'die Möglichkeit von
Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen.
Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte
körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Soweit das LSG die bei psychischen Erkrankungen zuletzt
insbesondere vom 9. Senat des BSG (BSGE 74, 51, 53 = SozR 3-3800 § l Nr. 3; BSGE 77, l, 3 [BSG 18.10.1995 - 9
RVg 4/92] = SozR 3-3800 § l Nr. 4) erhobene Forderung nach einer generellen, durch wissenschaftliche Erkenntnisse
untermauerten Plausibilität der behaupteten Ursache-Wirkungs-Beziehung ablehnt, weil darin eine verdeckte Rückkehr
zur Adäquanztheorie des Zivilrechts zu sehen sei, verkennt es Inhalt und Zielrichtung dieser Rechtsprechung. Es geht
dabei nicht um die Ablösung der für das Sozialrecht kennzeichnenden individualisierenden und konkretisierenden
Kausalitätsbetrachtung durch einen generalisierenden, besondere Umstände des Einzelfalls außer Betracht lassenden
Maßstab, sondern um die Bekräftigung des allgemeinen beweisrechtlichen Grundsatzes, dass die Beurteilung
medizinischer Ursache- Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen
muss (BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9; BSG SozR 1500 § 128 Nr. 31 = SGb 1988, 506 mit Anmerkung von K. Müller; BSG
SozR 3-3850 § 52 Nr. 1; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl. 2005, III RdNr. 47,
57; Rauschelbach, MedSach 2001, 97; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Kap 2.3.4.3, S 146).
22
Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss
(so wohl Stevens/Foerster, MedSach 2003, 104, 107), weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher
Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und
braucht, z.B. nicht bei einem Treppensturz und anschließendem Beinbruch ohne erkennbare Besonderheiten (vgl.
Krasney in Brackmann, a.a.O., § 8 RdNr. 312). Gibt es keinen allgemein geltenden medizinischen Erkenntnisstand zu
einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt
vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG SozR Nr. 33 zu § 128 SGG; ähnlich Kopp / Schenke, VwGO, 14. Aufl.
2005, § 108 RdNr. 9).
23
Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des
Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten
Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind (vgl. BSGE 18, 173, 176 = SozR Nr. 61 zu § 542
RVO). Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann entgegen der Auffassung der Beklagten nur auf das individuelle
Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie
es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte ist so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von
individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen: Die Ursachenbeurteilung im
Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und
Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes.
24
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende
Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung
positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor
allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des
Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache
automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer
Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a.F. RVO; BSG Urteil vom 7. September 2004 -
B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl. § 9 Abs. 3 SGB VII). Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs -
der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (stRspr
BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a.F. RVO; BSGE 32,203,209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a.F. RVO;
BSGE 45,285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr
für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht
(BSG SozR Nr. 41 zu § 128 SGG; BSG SozR Nr. 20 zu § 542 a.F. RVO; BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a.F.
RVO; BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Kap 1.8.2, S 119 f; Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 128 RdNr. 3c).
25
2.
Diese Grundlagen der Theorie der wesentlichen Bedingung gelten für alle als Unfallfolgen geltend gemachten
Gesundheitsstörungen und damit auch für psychische Störungen. Die Anerkennung von psychischen
Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer Verletztenrente für sie ist ebenso wie für andere
Gesundheitsstörungen möglich. Denn auch psychische Reaktionen können rechtlich wesentlich durch ein Unfallereignis
verursacht werden (vgl. schon Reichsversicherungsamt, AN 1926,480; BSG Urteil vom 18. Dezember 1962,
BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84 -; BSG Urteil vom
18. Dezember 1986, BSGE 61, 113 = SozR 2200 § 1252 Nr. 6; BSG Urteil vom 18. Januar 1990 - 8 RKnU 1/89 =
BSGE 66, 156 = SozR 3-2200 § 553 Nr. 1; vgl. im Übrigen Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Kap 5.1, S 227 ff;
ebenso zum sozialen Entschädigungsrecht BSGE 19, 275, 277 f = SozR Nr. 174 zu § 162 SGG). Aus dem Ausschluss so
genannter Schockschäden aus dem Kreis der versicherten Risiken in der privaten Unfallversicherung ist für die
gesetzliche Unfallversicherung ebenso wenig herleitbar wie für das zivilrechtliche Schadensersatzrecht (vgl.
BGHZ 132, 341, 343 f; BGHZ 137, 142, 145; Heinrichs in Palandt, a.a.O., Vorb v § 249 RdNr. 69 ff). Psychische
Gesundheitsstörungen können nach einem Arbeitsunfall in vielfältiger Weise auftreten: Sie können unmittelbare Folge
eines Schädel-Hirn-Traumas mit hirnorganischer Wesensänderung sein, sie können aber auch ohne physische
Verletzungen, z.B. nach einem Banküberfall, entstehen, sie können die Folge eines erlittenen Körperschadens, z.B. einer
Amputation, sein, sie können sich in Folge der Behandlung des gesundheitlichen Erstschadens erst herausbilden (vgl. nur
Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.).
26
a)
Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge und die Gewährung einer
Verletztenrente aufgrund von ihnen ist zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem
Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84; vgl. BSG
Urteil vom 19. August 2003 - B 2 U 50/02 R -). Angesichts der zahlreichen in Betracht kommenden Erkrankungen und
möglicher Schulenstreite sollte diese Feststellung nicht nur begründet sein, sondern aufgrund eines der üblichen
Diagnosesysteme und unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erfolgen, damit die Feststellung
nachvollziehbar ist (z.B. ICD-10 = Zehnte Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und
verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische
Dokumentation und Information <DIMDI> ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV =
Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus
dem Jahre 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Aufl. 2001). Denn je genauer und
klarer die bei dem Versicherten bestehenden Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu
erkennen und zu beurteilen sowie letztlich die MdE zu bewerten. Begründete Abweichungen von diesen
Diagnosesystemen aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts sind damit nicht
ausgeschlossen.
27
Derart klar definierte Gesundheitsstörungen des Klägers sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Das LSG
hat zwar ausgeführt, der Kläger habe eine Somatisierungsstörung sowie eine ängstlich depressive Störung entwickelt und
leide an mnestischen Störungen. Was dies aber konkret und bezogen auf die für die Gewährung einer Verletztenrente
entscheidende MdE bedeutet, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Eine ängstlich depressive Störung z.B. kann völlig
unterschiedliche Ausprägungen haben, dauerhaft, nur zeitweise oder nur in Abhängigkeit von bestimmten Umständen
bestehen. Angesichts dieser mangelnden Feststellungen des LSG zu den beim Kläger vorliegenden
Gesundheitsstörungen bedarf es auch keiner Auseinandersetzung mit dem Revisionsvorbringen der Beklagten, beim
Kläger liege keine posttraumatische Belastungsstörung vor, weil er kein Trauma im Sinne der Definition einer solchen
nach der ICD-10 oder dem DSM-IV erlitten habe.
28
b)
Für die im nächsten Schritt erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und
den festgestellten psychischen Gesundheitsstörungen gelten die obigen allgemeinen Grundsätze (so schon BSG Urteil
vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84). Zunächst muss geprüft werden, welche Ursachen für die festgestellte(n) psychische
(n) Gesundheitsstörung(en) nach der Bedingungstheorie gegeben sind, und dann in einem zweiten Schritt, ob die
versicherte Ursache - das Unfallereignis - direkt oder mittelbar für diese Gesundheitsstörungen wesentlich im Sinne der
Theorie der wesentlichen Bedingung war.
29
Basis dieser Beurteilung müssen zum einen der konkrete Versicherte mit seinem Unfallereignis und seinen Erkrankungen
und zum anderen der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen
Ereignissen und psychischen Gesundheitsstörungen sein.
30
Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes mag gerade auf Gebieten, die derart in der
Entwicklung begriffen sind, wie die Psychiatrie und Psychologie (vgl. aktuell nur MedSach 2006, Heft 2, S 49 ff zu
neuen Aspekten bei der Beurteilung psychoreaktiver und neuropsychologischer Störungen) schwierig sein, ist aber für
eine objektive Urteilsfmdung unerlässlich. Ausgangsbasis müssen die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur
Begutachtung im jeweiligen Bereich sein (vgl. ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Fritze, Ärztliche Begutachtung, 6.
Aufl. 2001, Mehrhoff/Meindl/Muhr, Unfallbegutachtung, 11. Aufl. 2005; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.; vgl.
speziell Venzlaff/ Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004). Außerdem sind, soweit sie vorliegen und
einschlägig sind, die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen
Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen (vgl. Leitlinie Somatoforme Störungen l, AWMF-Leitlinien-Register
Nr. 051/001; Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung, ICD-10: F 43.1, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/010; die
nicht aktualisierte Leitlinie Ärztliche Begutachtung in der Psychosomatik und Psychotherapeutischen Medizin -
Sozialrechtsfragen AWMF-Leitlinien-Register Nr. 051/022, jeweils im Internet unter: www.uni-duesseldorf.de/awmf).
Hinzu kommen andere aktuelle Veröffentlichungen (vgl. nur die Beiträge in: MedSach 2006,49 ff sowie M. Fabra,
MedSach 2006, 26 ff; V. Kaiser, BG 2005, 679 ff; E. Wehking, MedSach 2004, 164 ff; zu ähnlichen Anforderungen bei
der Beurteilung psychischer Störungen im Rentenrecht: BSG Beschluss vom 9. April 2003 - B 5 RJ 80/02 B -). Diese
verschiedenen Veröffentlichungen sind jedoch jeweils kritisch zu würdigen, zumal ein Teil der Autoren aktive oder
ehemalige Bedienstete von Versicherungsträgern sind oder diesen in anderer Weise nahe stehen.
31
Eine bloße Literaturauswertung seitens des Gerichts dürfte zur Feststellung des aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes in der Regel nicht genügen, weil dessen Beurteilung zumeist medizinische Fachkunde voraussetzt.
Vielmehr wird die Klärung des der Ursachenbeurteilung zu Grunde zu legenden, aktuellen wissenschaftlichen
Erkennmisstandes im Rahmen des für die Einzelfallbeurteilung ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen können oder,
wenn der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang umstritten ist, wird ggf. über ihn ein besonderes
Sachverständigengutachten einzuholen sein. Andererseits wird, wenn eine bestimmte Diagnose ein Ereignis einer
bestimmten Schwere voraussetzt, von einem entsprechenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand auszugehen
sein.
32
Die Klärung des aktuellen wissenschaftlichen Erkennmisstandes macht die Einholung von Sachverständigengutachten
und die eigenständige verantwortliche Beurteilung des konkreten Einzelfalls durch einen Sachverständigen nicht
entbehrlich. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung des Sachverständigen, von der er nur
wissenschaftlich begründet abweichen kann, und macht sein Gutachten für die Beteiligten und das Gericht transparent
und nachvollziehbar. Denn auch für die Beurteilung des Einzelfalles kommt es nicht auf die allgemeine
wissenschaftliche Auffassung des einzelnen Sachverständigen an, sondern den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand.
33
Eine wissenschaftlich begründete Ursachenbeurteilung sowohl nach der naturwissenschaftlich-philosophischen
Bedingungstheorie als auch nach der Theorie der wesentlichen Bedingung erfordert, dass neben der Feststellung der
vorliegenden Gesundheitsstörungen klar festgestellt wird, worin das oder die schädigenden Ereignisse lagen: In dem
Unfallereignis - vorliegend in dem Frontalzusammenstoß der zwei Straßenbahnen mit dem Eingeklemmtsein - oder z.B.
in der nachfolgenden Behandlung oder in dem Fortbestehen physischer Einschränkungen, die durch das Unfallereignis
verursacht wurden. Ohne klare Feststellung der naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhänge hinsichtlich der
geltend gemachten Gesundheitsstörung kann eine zuverlässige Ursachenbeurteilung nach der Theorie der wesentlichen
Bedingung und in Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache
nicht erfolgen. Andernfalls können die Ereignisse und Ursachen nicht zueinander in Verhältnis gesetzt und nicht in die
Krankheitsgeschichte des Verletzten eingeordnet werden. Die Annahme einer Verschlimmerung ggf. vorbestehender
Gesundheitsstörungen durch das Unfallereignis setzt voraus, dass der Vorschaden und der unfallbedingte
Verschlimmerungsanteil abgrenzbar sind (BSGE 7, 53, 56; BSG SozR 3-3100 § 10 Nr. 6; Krasney in Brackmann, a.a.O.,
§ 8 RdNr. 383; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Kap 1.3.7.2 S 84 ff).
34
Diesen Anforderungen wird das Urteil des LSG nicht gerecht. Auf der Grundlage welchen wissenschaftlichen
Erkenntnisstandes das LSG seine Entscheidung getroffen hat bzw. welcher den Gutachten, denen es zum Teil gefolgt ist,
zu Grunde lag, ist dem Urteil nicht zu entnehmen, zumal das LSG dem im zweitinstanzlichen Verfahren gehörten
Sachverständigen Dr. H. im Ergebnis nicht gefolgt ist. Angaben zu allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen über
die Zusammenhänge zwischen Unfallereignissen wie hier und dem Auftreten von psychischen Gesundheitsstörungen
fehlen. Das LSG geht in seinem Urteil (S 25) davon aus, das Unfallereignis habe im Sinne einer conditio sine qua non
mit Wahrscheinlichkeit eine Somatisierungsstörung und eine ängstlich depressive Störung entwickelt, andere Ursachen
für diese Erkrankung seien nicht feststellbar. Dies genügt jedoch nicht zur Feststellung einer wesentlichen Verursachung
dieser Erkrankung durch das Unfallereignis, wie sich aus den oben dargelegten Grundlagen ergibt. Auch wenn - laienhaft
betrachtet - der Frontalzusammenstoß zweier Straßenbahnen für deren Fahrer ein Ereignis sein mag, das bei diesen zu
psychischen Beschwerden und ggf. Erkrankungen fuhren kann, führt dies angesichts der Komplexität psychischer
Vorgänge nicht quasi automatisch zur Anerkennung einer, wie dargelegt, ungenau bezeichneten Somatisierungsstörung
bzw. ängstlich depressiven Störung. Entgegen der Auffassung des LSG kann aus dem rein zeitlichen Aufeinanderfolgen
des Unfalls und der später auftretenden psychischen Gesundheitsstörung sowie der mangelnden Feststellung
konkurrierender Ursachen nicht gefolgert werden, dass die psychischen Gesundheitsstörungen wesentlich durch den
Unfall verursacht wurden. Denn - wie in den Grundlagen ausgeführt - kann aus einem rein zeitlichen Zusammenhang
und der Abwesenheit konkurrierender Ursachen nicht automatisch auf die Wesentlichkeit der einen festgestellten
naturwissenschaftlich-philosophischen Ursache geschlossen werden. Ebenfalls unzureichend ist die Erwägung des LSG,
keiner der Ärzte, die einen wesentlichen Ursachenzusammenhang verneinten, habe eine plausible Erklärung für die
Wendung und den Verlauf des Lebens des Klägers nach dem Unfall geliefert. Hieraus ist entsprechend den obigen
Grundlagen nichts ableitbar. Angesichts der Komplexität psychischer Vorgänge und des Zusammenwirkens
gegebenenfalls lange Zeit zurückliegender Faktoren, die unter Umständen noch nicht einmal dem Kläger bewusst sind,
würde dies zu einer Beweislastumkehr führen, für die keine rechtliche Grundlage zu erkennen ist/Das Urteil des LSG
lässt außerdem offen, ob sich die vom LSG festgestellten Gesundheitsstörungen direkt aufgrund des Unfallereignisses
entwickelt haben oder ob mögliche Zwischenschritte, z.B. das vom SG angeführte "Unverstandenfühlen", zu
berücksichtigen sind und welche Bedeutung ihnen im Krankheitsgeschehen zukommt.
\A
35
c)
Zu den vom LSG und den Beteiligten erörterten weiteren Gesichtspunkten ist ausgehend von den aufgezeigten
Grundlagen auf Folgendes hinzuweisen:
36
Es kann dahingestellt bleiben, ob und in welchen Konstellationen die Forderung nach einem geeigneten Unfallereignis,
bei dessen Nichtvorliegen die wesentliche Verursachung einer psychischen Unfallfolge generell ausgeschlossen wird und
die letztlich auf die Festlegung eines ungeeigneten Unfallereignisses abzielt, derzeit wissenschaftlich begründbar ist. Sie
setzt voraus, dass es möglich ist, in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu bestimmen, bis zu welcher Intensität ein
Unfall bei keinem Versicherten eine (bestimmte) psychische Unfallfolge wesentlich verursachen kann. Derartiges ist den
genannten Standardwerken in dieser Absolutheit für kein Unfallgeschehen zu entnehmen (vgl.
Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Kap 5.1.9.2.2, 5.1.10, S 236 ff; M. Benz, NZS 2002, 8, 14; vgl. zum Zivilrecht
BGHZ 137, 142, 146 ff). Die ihr zu Grunde liegende Auffassung unterscheidet außerdem nicht zwischen den zwei
Prüfungsstufen Bedingungstheorie sowie Theorie der wesentlichen Bedingung und führt gegebenenfalls bei der
wertenden Entscheidung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu einem Zirkelschluss.
37
Dies bedeutet andererseits nicht, dass die Schwere des Unfallereignisses ohne Bedeutung wäre. Vielmehr ergibt sich
dessen Gewicht zunächst schon aus den oben aufgezeigten allgemeinen Grundsätzen (zum Missverhältnis zwischen
Unfallereignis, Krankheitsverlauf und psychischen Reaktionen vgl. S. Brandenburg, MedSach 1997, 40,41 f). Hinzu
kommt, dass bestimmte Diagnosen ein entsprechend schweres Ereignis voraussetzen, z.B. erfordert das in diesem
Zusammenhang oft und vorliegend von der Beklagten auch erörterte posttraumatische Belastungssyndrom nach der ICD-
10 F 43.1 "ein belastendes außergewöhnliches Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit
außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen
würde".
38
Eine Ursachenbeurteilung auf der Basis des aktuellen medizinischen-wissenschaftlichen Erkennmisstandes setzt - wie
ausgeführt - voraus, dass es wissenschaftliche Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang zwischen bestimmten
traumatischen Ereignissen und bestimmten psychischen Erkrankungen gibt (ebenso zum Sozialen Entschädigungsrecht
der 9. Senat des BSG in BSGE 74, 51, 53 = SozR 3-3800 § l Nr. 3; BSGE 77, l, 3 [BSG 18.10.1995-9 RVg 4/92] =
SozR 3-3800 § l Nr. 4). Dies beinhaltet entgegen der am 9. Senat geäußerten Kritik (S. Brandenburg MedSach 1997,40,
42; W. Keller, SGb 1997, 10, 12 f) keine Ausnahme von der Theorie der wesentlichen Bedingung oder Übernahme der
Adäquanztheorie. Denn die wissenschaftlichen Erkenntnisse, aufgrund deren die Beurteilung im Einzelfall erfolgt,
können - wie oben dargelegt - nur allgemeine oder generelle sein (M. Benz, NZS 2002, 8, 12). Auch die Entscheidung
über die Wesentlichkeit einer Ursache bei psychischen Gesundheitsstörungen kann keine von diesen wissenschaftlichen
Erkenntnissen unabhängige Wertentscheidung im Einzelfall sein, sondern muss, wie auch aus den oben aufgezeigten
allgemeinen Kriterien folgt, wissenschaftlich begründet sein.
39
Die auf der Basis dieses aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes durchzuführende Beurteilung des Einzelfalls hat
in Würdigung des konkreten Versicherten zu erfolgen und darf nicht von einem fiktiven Durchschnittsmenschen
ausgehen. Daher schließt eine "abnorme seelische Bereitschaft" die Annahme einer psychischen Reaktion als Unfallfolge
nicht aus (BSGE 18, 173, 176 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84 -; BSG
Urteil vom 5. August 1987 - 9b RU 36/86 - SozR 2200 § 581 Nr. 26; vgl. zum sozialen Entschädigungsrecht
BSGE 19, 275, 278 = SozR Nr. 174 zu § 162 SGG; zum Zivilrecht: BGHZ 132, 341, 345 f; BGHZ 137, 142, 145 f).
40
Andererseits liegt es auf der Hand, dass wunschbedingte Vorstellungen seitens des Versicherten nach einem Unfall, z.B.
allgemein nach einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ("Unfall als Regressionsangebot") oder konkret auf eine
Verletztenrente, einen wesentlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und nun bestehenden
psychischen Gesundheitsstörungen nicht zu begründen vermögen. Soweit diese Vorstellungen neben das als
naturwissenschaftliche Ursache der bestehenden psychischen Gesundheitsstörungen anzusehende Unfallereignis treten,
sind sie als konkurrierende Ursache zu würdigen und können nach dem oben Gesagten der Bejahung eines wesentlichen
Ursachenzusammenhangs zwischen der versicherten Ursache Unfallereignis und den psychischen Gesundheitsstörungen
entgegenstehen (BSGE 18, 173, 176 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; BSG Urteil vom 29. Januar 1986 - 9b RU 56/84 -;
BSG Urteil vom 5. August 1987 - 9b RU 36/86 - SozR 2200 § 581 Nr. 26; vgl. zum sozialen Entschädigungsrecht
BSGE 19, 275, 278 = Nr. 174 zu § 162 SGG; zum Zivilrecht: BGHZ 137, 142, 148 ff).
41
Da das BSG die aufgezeigten notwendigen Feststellungen nicht selbst nachholen kann, ist das Urteil des LSG
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Das LSG wird auf der Basis des aktuellen allgemein geltenden, wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu ermitteln haben,
an welchen Gesundheitsstörungen der Kläger, insbesondere auf psychiatrisch-neurologischem Fachgebiet leidet und
wodurch diese nach der naturwissenschaftlichen Bedingungstheorie verursacht wurden. Wenn das Unfallereignis vom
28. September 1993 direkt oder vermittels eines bestimmten Erstschadens oder einer bestimmten Behandlung eine solche
naturwissenschaftliche Ursache für eine bestimmte Gesundheitsstörung war, ist zu klären, ob es auch eine wesentliche
Ursache im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung nach aktuellem, allgemein geltenden, wissenschaftlichen
Erkenntnisstand war. Abschließend ist für die als Unfallfolge anzuerkennende(n), durch das Unfallereignis wesentlich
verursachte(n) Gesundheitsstörung(en) zu schätzen, in welcher Höhe und für welche Zeit sie zu einer MdE im Sinne der
gesetzlichen Unfallversicherung gefuhrt haben.
42
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
 
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