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Gesetzliche Krankenversicherung darf keine Wahltarife anbieten 100.000 Kassenpatienten betroffen

seenixe

Super-Moderator
Mitarbeiter
Registriert seit
31 Aug. 2006
Beiträge
8,846
Ort
Berlin
Hallo,
Gerade kam im News-Ticker folgender Beitrag:
Continentale Krankenversicherung a.G. ./. AOK Rheinland/Hamburg - Die Gesundheitskasse
Vorinstanzen:Sozialgericht Dortmund - S 40 KR 234/08, 26.02.2014
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 251/14, 14.06.2018
Der Senat hat die Revision der beklagten KK zurückgewiesen und auf die Anschlussrevision des klagenden privaten Krankenversicherungsunternehmens der Beklagten das Bewerben und Anbieten aller angegriffenen Wahltarife untersagt. Erweitert eine KK ohne gesetzliche Ermächtigung ihren Tätigkeitskreis durch Gestaltungsleistungen kraft Satzung mittels Wahltarif-Regelungen, hat ein Unternehmen der PKV aufgrund des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs das Recht, ihr das Bewerben und Anbieten gerichtlich untersagen zu lassen. So lag es bei den von der Beklagten angebotenen Wahltarifen

Nach jahrelangem Streit zwischen privaten und gesetzlichen Krankenversicherern stellt das BSG nun klar: Die GKV darf keine Wahltarife für besondere Leistungen – etwa Chefarztbehandlung – anbieten. Hunderttausende Kassenpatienten sind betroffen.

Gesetzliche Krankenkassen dürfen ihren Versicherten Extras – wie etwa einen besonderen Auslandskrankenschutz – nicht als Wahltarif anbieten, soweit sie dadurch ohne gesetzliche Ermächtigung ihren Tätigkeitskreis erweitern. Das entschied das Bundessozialgericht (BSG) in einem Revisionsverfahren (Urt. v. 30. Juli 2019, Az. B 1 KR 34/18 R).

Geklagt hatte die Continentale Krankenversicherung, eine private Krankenversicherung (PKV) gegen die AOK Rheinland/Hamburg, eine gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Die AOK Rheinland/Hamburg hatte ihren Versicherten Wahltarife angeboten, dazu gehörten ein Wahltarif für die Krankenversicherung im Ausland und einer für die gehobene Unterbringung im Krankenhaus. Das BSG hat der AOK Rheinland/Hamburg das Bewerben und Anbieten aller angegriffenen Wahltarife untersagt.

Kern des Streits war die Auslegung von § 53 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) V. Demnach dürfen gesetzliche Krankenkassen einen Wahltarif zur Kostenerstattung anbieten. In diesem Fall werden dem Mitglied die Behandlungskosten wie einem Privatpatienten in Rechnung gestellt und erstattet, also ggf. auch für den 2,3-fachen Satz nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ).
Gesetzgeber wollte Wettbewerb stärken

Diese Regelung wurde 2007 durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführt. Der Gesetzgeber wollte damit den Wettbewerb unter den Krankenkassen und zwischen den Leistungserbringern (Krankenhäuser, Ärzte etc.) intensivieren.

Bisher war allerdings umstritten, ob die gesetzlichen Krankenkassen durch § 53 Abs. 4 SGB V auch ermächtigt werden, ihren Versicherten „bessere Leistungen“ anzubieten, wie beispielsweise einen Kostenerstattungstarif für „Chefarztbehandlung und Zweibettzimmer“ oder auch spezielle Auslandskrankenversicherungen, wie sie früher ausschließlich die privaten Krankenversicherer anboten. Die privaten Krankenversicherer sahen sich durch den Wettbewerb mit den Krankenkassen in ihrer Berufsfreiheit behindert. Die Ausweitung der Wahltarife auf immer mehr Leistungen ist aus Sicht der PKV rechtswidrig.

Diesen Streit hat das BSG nun letztinstanzlich zugunsten der privaten Krankenversicherer entschieden: Mit Einführung der Wahltarife habe der Gesetzgeber die gesetzlichen Krankenversicherer nicht in den Wettbewerb mit der PKV treten lassen wollen. Die AOK Rheinland/Hamburg habe ihren Tätigkeitsbereich unzulässig erweitert. Aus dem Urteil folgt, dass gesetzliche Krankenversicherungen ihren Versicherten bestimmte Zusatzversicherungen wie speziellen Auslandskrankenversicherungsschutz nicht anbieten dürfen.
Bereits abgeschlossene Zusatzversicherungen ungültig

Produkte wie der besondere Auslandskrankenversicherungsschutz bleiben den Anbietern der privaten Krankenversicherung (PKV) vorbehalten. Besonders misslich ist das Urteil des BSG für solche Krankenversicherer der GKV, die mit ihren Versicherten solche Wahltarife bereits vereinbart haben, die nunmehr unzulässig sind. So hat beispielsweise die AOK Rheinland/Hamburg mit mehreren Hunderttausend Versicherten einen nunmehr unzulässigen speziellen Auslandskrankenschutz vereinbart.

Die AOK Rheinland/Hamburg dürfte vertraglich gegenüber diesen Mitgliedern mit speziellem Auslandskrankenversicherungsschutz verpflichtet sein, diesen Auslandskrankenversicherungsschutz zu gewähren, darf dies aber nicht mehr. Die zugrundeliegenden Verträge sind ungültig. Einige gesetzliche Krankenversicherer sind nun also in der Zwickmühle, dass sie Leistungen versprochen haben, die sie nicht mehr anbieten und gewähren dürfen. Versicherte, die einen gleichwertigen Versicherungsschutz nicht bei einem anderen (privaten) Anbieter zum gleichen Preis erhalten, könnten in der Folge gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen die Krankenkasse geltend machen.

Diese gesetzlichen Krankenversicherer dürften versuchen, das Problem durch eine Kooperation mit privaten Krankenversicherern zu lösen, die dann diesen Versicherungsschutz zu möglichst unveränderten Konditionen und ohne erneute ärztliche Gesundheitsprüfung dem Versicherten der GKV anbieten.

Eine Folge aus dem Urteil des BSG könnte mittel- bis langfristig eine verstärkte Kooperation von gesetzlichen Krankenversicherern mit (ausgewählten) privaten Krankenversicherern sein, die dann besondere Zusatzleistungen in Kooperation mit der GKV anbieten, wie beispielsweise eine spezielle Auslandskrankenversicherung oder die Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer im Krankenhaus.

Gruß von der Seenixe
 
hallo @seenixe,

danke für die einstellung des beitrags.

den lto-beitrag habe ich auch gelesen. es ist zwar eine letztinstanzliche entscheidung, aber sie ist nach meiner überzeugung vor allem eine politische. und ob sie bestand behalten wird, oder nicht doch gegen (anscheinend nicht im urteil berücksichtigtes) recht verstösst, halte ich auch für fraglich.

zur diskussion stand, wie die bestimmung über wahltarife (SGB 5) auszulegen ist und was der gesetzgeber vorgesehen hat. weiter scheinen die richter auch nicht gelesen zu haben, vor allem nicht den letzten satz des absatzes 4

"(4) Die Krankenkasse kann in ihrer Satzung vorsehen, dass Mitglieder für sich und ihre nach § 10 mitversicherten Angehörigen Tarife für Kostenerstattung wählen. Sie kann die Höhe der Kostenerstattung variieren und hierfür spezielle Prämienzahlungen durch die Versicherten vorsehen. § 13 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt nicht."

denn dieser 3. satz sagt in dem zusammenhang mit dieser bestimmung (negativ-bestimmung) genau das gegenteil des urteils

"Eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen ist möglich."

also in der verneinung heisst das, dass eine einschränkung nach diesem satz 3 im fall der wahltarife eben NICHT möglich ist.

da ich weiss, dass es auch andere interessiert:
schaut man die weitere (politische) entwicklung an, entstehen auch andere differenzen mit neueren politischen entscheidungen in der öffnung beamtenrechtlicher leistungen zu PKV/GKV, wie in einem weiteren beitrag von lto zu finden unter

Wahlrecht zwischen Beihilfe und Arbeitgeberzuschuss zur GKV

was die entscheidungsdiskussion sicher nicht beendet.


gruss

Sekundant
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo

Danke an Seenixe für den Beitrag.

Anders als der Beitrag von Seenixe betrifft der Artikel im letzten Link von Sekundant nur Beamte, die in der GKV versichert sind. Zu dem Artikel möchte ich anfügen, dass der Text der Einleitung mindestens missverständlich ist. Dort steht:

„Seit August 2018 bietet Hamburg für neu eingestellte Beamte und Richter ein Wahlrecht zwischen privater Krankenversicherung (PKV) und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) an, ...“​

Ein Wahlrecht zwischen GKV und PKV besteht und bestand für Beamte immer.
Die GKV ist für Beamte jedoch etwa doppelt so teuer wie die PKV, weil die beamtenrechtliche Beihilfefähigkeit bei der GKV unberücksichtigt bleibt. I.d.R. schließen Beamte deswegen eine PKV ab. Das ist in dem Artikel dann auch richtig dargestellt.
Für eine weitere Recherche zu diesem (nur Beamte betreffenden) Thema ist „Pauschale Beihilfe“ der richtige Suchbegriff.
Übrigens können nicht nur „neu eingestellte Beamte“ die Pauschale Beihilfe wählen, diese Möglichkeiten haben alle Beamten, die sich in der GKV versichert haben - allerdings nur in wenigen Bundesländern (m.W. hat nicht nur Bremen inzw. nachgezogen).

Seenixes Beitrag ist für mich insofern interessant, weil ich überlegt hatte, zu einer GKV zu wechseln, die genau das anbietet, was als nicht zulässig festgestellt wurde. Ich werde darauf achten, was diese GKV nun an ihrer Werbung und ihrem Angebot ändert.

LG
 
Zuletzt bearbeitet:
hallo,

interessant, weil ich überlegt hatte, zu einer GKV zu wechseln, die genau das anbietet, was als nicht zulässig festgestellt wurde

deswegen hatte ich auf den bericht reagiert. ich erwarte dazu auch öffentlich und politisch eine diskussion. und auch dass sich verbände damit befassen; ggf wäre eine normenkontrollklage möglich.


gruss

Sekundant
 
Das ist doch wohl ausschließlich eine politisch motivierte Entscheidung des Gerichts. Denn die PKV steht vor dem Abgrund. Es können sich fast nur noch Beamte die PKV leisten. Selbstständige und Freiberufler können sich die Beiträge nicht leisten, da die Tarife nicht finanziell subventioniert werden. Angestellte erreich in der Regel fast nie die Bemessungsgrenze. Es wäre ja auch zu schön, wenn die GKV mehr leisten würde, als sie müsste. Zumal der Versicherte hier selbst dafür zahlt...Das bringt kein gutes Licht auf die PKV und wie immer nicht auf die Continentale.
 
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