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BSG Urteil B 2 U 17/09 Löschungsanspruch

Der Charly

Erfahrenes Mitglied
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2 Juli 2007
Beiträge
539
@ alle

Der 2. Senat des BSG berichtet über die Ergebnisse seiner öffentlichen Sitzung vom 20.07.2010 aus dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung.

2. B 2 U 17/09 R
SG Köln - S 13 (16) U 5/04
LSG Nordrhein-Westfalen - L 17 U 46/07

Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen, weil er keinen Anspruch gegen die beklagte BG der Bauwirtschaft auf Löschung des von ihr im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens hat.
Das LSG hatte zulässig den Rechtsstreit über den Löschungsanspruch von dem Rechtsstreit über den Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit (BK) getrennt und gesondert über den streitigen Löschungsanspruch entschieden. Denn es handelt sich um zwei voneinander strikt getrennte Streitgegenstände. Insbesondere ist die Entscheidung über den Löschungsanspruch nicht vorgreiflich für die Entscheidung des anderen Streits, auch nicht für die Frage, ob das ärztliche Gutachten, das der Kläger gelöscht haben will, im Streit über den Feststellungsanspruch verwertbar ist. Umgekehrt ist auch die Frage der Verwertbarkeit des Gutachtens im Streit um die BK nicht vorgreiflich für den Löschungsanspruch.
Die zulässige Anfechtungsklage gegen die Feststellung der Beklagten, der Kläger habe keinen Löschungsanspruch gegen sie, ist unbegründet, weil dies zutrifft. Daher konnte offen bleiben, ob der Kläger sie (insoweit entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Senats) zulässig mit einer Verpflichtungsklage und hilfsweise mit einer unechten oder echten Leistungsklage verbunden hatte. Denn mit der rechtskräftigen Abweisung seiner Anfechtungsklage steht fest, dass der Kläger nicht einmal möglicherweise einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Anspruchs auf Löschung (gemäß der bisherigen Rechtsprechung des Senats) oder auf Löschung durch die Beklagte hat.
Die Voraussetzungen der einzigen in Betracht kommenden gesetzlichen Anspruchsgrundlage des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB X liegen nicht vor. Der Kläger hat nämlich die von ihm behauptete Verletzung seines verwaltungsverfahrensrechtlichen Auswahlrechts aus § 200 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB VII nicht unverzüglich, spätestens unver-züglich nach dem Zugang des Gutachtens des angeblich von ihm nicht ausgewählten Gutachters, bei der Beklagten gerügt. Schon deshalb konnte die Aufnahme dieses Gutachtens in die Akte der Beklagten keine "unzulässige Speicherung von Sozialdaten" sein. Die Beklagte war zuständig und befugt verbindlich festzustellen, der Kläger habe den erhobenen Löschungsanspruch gegen sie nicht. Denn ua § 83 Abs. 4 bis 6 SGB X zeigt zur Ablehnung eines Auskunftsanspruchs, dass das Gesetz im Sinne des Gesetzesvorbehalts des § 31 SGB I es (positiv) "zulässt", dass der Verwaltungsträger über das Bestehen eines gegen ihn erhobenen Anspruchs bezüglich gespeicherter Daten selbst verbindlich entscheiden darf.
Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB X sind Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Dies ist eine Anspruchsgrundlage. Der Bürger kann eine Löschung beanspruchen, obwohl § 38 SGB I nicht gilt. Die Norm hat drittschützenden Charakter. Sie soll dem Schutz der von einem Informationseingriff betroffenen Bürger, einem von der Allgemeinheit abgegrenzten Personenkreis, dienen und ihnen gegen die Verwaltung die Rechtsmacht zuweisen, das Ergebnis des Eingriffs, die gespeicherten Sozialdaten, löschen zu lassen, sie also unkenntlich machen zu lassen.
Das BSG hat aber offen gelassen,

  • ob die Einfügung eines in Papierform erstellten Gutachtens in eine Akte ein "Speichern" i.S.d. § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 SGB X ist und
  • ob der Löschungsanspruch entgegen dem Gesetzeswortlaut überhaupt auf die Löschung des ganzen Gutachtens gerichtet sein oder gemäß dem Gesetzeswortlaut nur die Löschung von (vom Bürger zu benennender) Sozialdaten umfassen darf.
Unterstellt, es habe sich um eine Speicherung gehandelt und der Anspruch sei zulässig auf die Löschung des ganzen Gutachtens gerichtet, hat die Beklagte nach den Maßstäben des Sozialdatenschutzes des § 35 SGB I i.V.m. §§ 67 ff. SGB X zulässig gehandelt (§ 67c Abs. 2 Satz 1 SGB X). Denn das Einfügen des Gutachtens in die Verwaltungsakte war erforderlich zur Vorbereitung und Verteidigung der das Verfahren abschließenden Entscheidung darüber, ob der Kläger die medizinischen Voraussetzungen einer BK erfüllt. Nach dem SGB X war diese "Speicherung" zulässig.
Es gibt keine Rechtsnorm, welche die Speicherung eines Gutachtens datenschutzrechtlich für unzulässig erklärt, wenn das Gutachten von einem Arzt erstellt wurde, den der Bürger nicht als Sachverständigen ausgewählt hat. Auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, ein Abwehrrecht, verbietet eine Gutachtenspeicherung in solchen Fällen nicht und gebietet dem Gesetzgeber grundsätzlich auch nicht, ein verletztes einfachgesetzliches Auswahlrecht als Unzulässigkeitsgrund für eine Gutachtenspeicherung einzuführen. Allerdings spricht viel dafür, dass die Beklagte das einfachgesetzliche verwaltungsverfahrens-rechtliche Auswahlrecht des Klägers aus § 200 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB VII verletzt haben könnte, das keine Entsprechung in den anderen Büchern des SGB hat. Nach dieser Vorschrift soll (d.h. im Regelfall, dass mehrere geeignete Gutachter vorhanden sind, "muss") der Unfallversicherungsträger vor Erteilung eines Gutachtenauftrags dem Versicherten mehrere Gutachter "zur Auswahl benennen".
Die Gutachter, zwischen denen der Versicherte auswählen darf, müssen also "benannt" werden. Dies spricht dafür, dass sie genau mit ihrem Namen zu benennen sind, damit der Versicherte sich über sie informieren und eine sachlich begründete Auswahl treffen kann. Wird eine Gemeinschaftspraxis nur mit dem Namen eines ihrer Ärzte bezeichnet, werden die anderen gerade nicht benannt. Ob die Benennung der Ärzte einer "Gemeinschaftspraxis" nur unter dem Namen eines ihrer Ärzte ausnahmsweise zulässig sein könnte, konnte offen bleiben. Das gilt auch für die Fragen, ob der Kläger erkannt hatte, dass die "Gemeinschaftspraxis Prof. Dr. A." aus mehreren Ärzten bestand und ob er durch sein eigenhändiges Schreiben, er wähle diese Gemeinschaftspraxis, alle Ärzte der Gemeinschaftspraxis als Gutachter "auswählen" wollte. Der Kläger hätte nämlich unverzüglich, als nicht Prof. Dr. A., sondern Dr. St. die Begutachtung übernahm, spätestens aber, als ihm das Gutachten des Dr. St. bekannt wurde, der Beklagten mitteilen müssen, dass er sein Auswahlrecht verletzt sieht. Dann hätte diese sofort die Lage klären und notfalls rechtzeitig ein Gutachten eines vom Kläger ausgewählten Sachverständigen einholen und bei ihrer Entscheidung verwerten können.
Das Auswahlrecht des § 200 Abs. 2 Halbsatz 1 SGB VII ist verwaltungsverfahrensrechtlicher Natur. Es ermöglicht dem Bürger eine qualifizierte Mitwirkung bei der Sachverhaltsermittlung von Amts wegen und dient der Förderung der Akzeptanz des das Verwaltungsverfahren abschließenden Verwaltungsakts des Unfallversicherungsträgers, soweit er dem Gutachten des von Bürger ausgewählten Gutachters folgt.
Von (dem Versuch) einer Begutachtung durch einen nicht ausgewählten Arzt muss der Träger unverzüglich erfahren, um die Rechtsverletzung zu beseitigen und das Verfahren unter Beachtung des Auswahlrechts durchführen zu können. Der Bürger, der bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihm bekannte Tatsachen angeben soll (§ 21 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X), ist hier der einzige, der den Verfahrensfehler rechtzeitig abwenden oder seine zügige Heilung anstoßen kann.
Da der Kläger die ihm eröffnete Möglichkeit, den (angeblichen) Verfahrensmangel im Verwaltungsverfahren rechtzeitig heilen zu lassen, bis zu dessen Abschluss nicht und auch nicht, wenn dies noch unverzüglich gewesen wäre, im Widerspruchsverfahren wahrgenommen hat, kann es für die Zulässigkeit der im Verwaltungsverfahren erfolgten Speicherung des Gutachtens des Dr. St. auf diesen erst vor dem SG gerügten Mangel nicht ankommen.

Das vollständige Urteil könnte ich noch nicht Ausfindig machen!

Grüssle
 
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