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BK 2110 vom SG anerkannt, vom LSG aufgehoben

seenixe

Super-Moderator
Mitarbeiter
Registriert seit
31 Aug. 2006
Beiträge
8,875
Ort
Berlin
Hallo,
heute mal ein Urteil hier eingestellt, um einmal deutlich zu machen, wie schwierig die Anerkennung einer BK ist und welche Hebel die BG in Bewegung setzt, um Recht zu behalten und nicht zahlen zu müssen.:mad:

LSG Bayern L 2 U 397/07 v.18.6.2009 rechtskräftig
durch BSG B 2 U 222/09 v.12.11.2009 Revision verworfen
Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. Oktober 2007 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 6. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Mit der Berufskrankheitenanzeige der AOK Bayern wurde eine Erkrankung des Klägers an der Lendenwirbelsäule bekannt. Der Kläger gab an, seit 1979 als Kraftfahrer im Baustellenverkehr tätig zu sein; seit 1993 sei er Kipperfahrer.
Eine Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule vom 23. Mai 2002 zeigte einen Bandscheibenvorfall und eine Osteochondrose im Segment LWK 4/5, im Segment L5/S1 Osteochondrose und Protrusionen. Die übrigen Bandscheibenräume zeigten initiale Bandscheibenprotrusionen. Der behandelnde Arzt, der Orthopäde Dr. D., bestätigte in der Berufskrankheitenanzeige vom 20. Oktober 2003 Schmerzen im Lendenbereich mit erheblicher Bewegungseinschränkung und Schmerzausstrahlung in das rechte Bein. Einen direkten Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit hielt Dr. D. nicht für gegeben. Es handle sich um eine degenerative Erkrankung der Lendenwirbelsäule. Im Juli 2002 sei eine Nukleotomie bei L4/5 durchgeführt, im Mai 2003 ein Rezidiv-Prolaps festgestellt worden, der am 24. Juli 2003 eine erneute Nukleotomie veranlasst habe. Röntgenologisch sei ein Nucleusprolaps im Segment L5/S1 festgestellt.
Der beratende Arzt der Beklagten, der Chirurg Dr. B., erklärte in der Stellungnahme vom 7. März 2004, es sei von einer schicksalhaften Bandscheibenerkrankung an typischer Stelle auszugehen. Bei Fehlen belastungsadaptiver degenerativer Veränderungen im Bereich der übrigen Lendenwirbelsäule sei ein belastungskonformes Schadensbild nicht erkennbar. Eine berufsbedingte Verursachung sei auch unter Berücksichtigung der beruflichen Anamnese nicht wahrscheinlich.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. April 2004 die Anerkennung einer Berufskrankheit ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2004 zurück.
Im Klageverfahren ernannte das Sozialgericht den Orthopäden Dr. F. zum ärztlichen Sachverständigen. Im Gutachten vom 23. Juni 2006 führte Dr. F. aus, eine bandscheibenbedingte Erkrankung sei gesichert. Der Bandscheibenvorfall im 4. Segment der Lendenwirbelsäule sei keine alterstypische Erkrankung. Auch der zeitliche Zusammenhang sei im Hinblick auf die mindestens zehnjährige Exposition gegeben. Dagegen fehle ein belastungsadaptives Schadensbild. Dies setze voraus, dass die Lendenwirbelsäule mehrsegmental in von oben nach unten zunehmender Intensität verschleißgeschädigt ist. Auf den Röntgenaufnahmen sei der hauptsächliche Verschleißschaden im 4. Segment zu sehen. Die Protrusion stelle einen Nebenbefund dar, da in fast jedem Kernspintomogramm bei Patienten ab dem 3. Lebensjahrzehnt Bandscheibenprotrusionen beschrieben würden. Zudem lasse sich der Nachweis einer von oben nach unten zunehmenden Verschleißschädigung nicht erbringen, da die 5. Bandscheibe deutlich weniger als die 4. degenerativ verändert sei. Darüber hinaus fehlten Randspornbildungen am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule. An der Brustwirbelsäule liege im mittleren Abschnitt eine Verschleißschädigung zweier Bandscheiben vor, auch an der Halswirbelsäule seien zwei Bandscheiben eindeutig verschmälert. Der etwa gleichartige Befall wenigstens zweier Wirbelsäulenabschnitte spreche gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit an der Lendenwirbelsäule. Zweifelhaft sei, ob konkurrierende Verursachungsmöglichkeiten auszuschließen seien. In den Konsensempfehlungen werde die Bedeutung von Nikotin und Alkohol sowie von Hypertonie und Übergewichtigkeit bei der Verursachung von Wirbelsäulenschäden bestritten. Zu berücksichtigen sei aber, dass Funktionsstörungen an beiden Schulter-, Hüft- und verstärkt an den Sprunggelenken und auch an den Großzehengrundgelenken, die im Wesentlichen metabolisch bedingt sein dürften, vorlägen. Eine Berufskrankheit an der Lendenwirbelsäule liege im Hinblick auf das Fehlen belastungsadaptiver Veränderungen nicht vor.

Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten erklärte in der Stellungnahme vom 27. Oktober 2006, die arbeitstechnischen Voraussetzungen bezüglich der Berufskrankheit 2110 seien erfüllt: bei einer gefährdenden Belastung von 16,7 Jahren sei eine Gesamtbelastungsdosis von 23104 (Richtwert von 14505) gegeben.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 6. Dezember 2006 erklärte Dr. F., die gesicherte haftungsbegründende Kausalität ändere nichts daran, dass die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. M. führte im Gutachten vom 7. Februar 2007 aus, inzwischen seien vier Bandscheibenoperationen im Segment L4/5 erfolgt. An der Halswirbelsäule bestünden keine wesentlichen degenerativen Veränderungen bis auf eine geringfügige Spondylarthrose, im Brustwirbelsäulenbereich bestehe eine deutliche Spondylose und eine Sklerosierung, im Bereich der Lendenwirbelsäule eine Spondylose, die von LWK1 bis LWK5 zunehme, jedoch nicht wesentlich über das altersentsprechende Maß hinausgehe. Eine Chondrose liege im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule nicht vor. Im Kernspintomogramm vom 23. Mai 2002 sehe man den Bandscheibenvorfall L4/5 sowie die Bandscheibenprotrusion bei L5/S1. Auch in den übrigen Bandscheibenräumen der Lendenwirbelsäule zeigten sich Bandscheibenprotrusionen. Man erkenne eine relativ deutliche Protrusion bei L 3/4. Der Kläger sei der Konstellation B 2 im Sinne der Konsensempfehlungen zuzuordnen, da die Begleitspondylose nicht sehr ausgeprägt sei. Das Verteilungsmuster der Schädigungen entspreche der biomechanischen Wahrscheinlichkeit, mit Betroffenheit vor allem der unteren Lendenwirbelsäulensegmente und Zunahme der Veränderungen von oben nach unten. Konkurrierende Ursachen kämen nicht zum Tragen. Eine berufliche Belastung sei eindeutig nachgewiesen. Es bestehe ein zwar nicht typisches, aber doch belastungskonformes Schadensbild. Daher sei die Anerkennung als Berufskrankheit zu empfehlen.
Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme des Chirurgen M. vom 25. Mai 2007, der wie Dr. M. eine Konstellation nach B 2 für gegeben hielt. Er wies aber darauf hin, dass ein ursächlicher Zusammenhang nach den Ausführungen in den Konsensempfehlungen nur dann wahrscheinlich sei, wenn zusätzlich in mindestens zwei angrenzenden Segmenten Bandscheibenschäden wie eine sogenannte Black disc vorlägen, wenn die Belastung besonders intensiv gewesen sei, d.h. wenn der Richtwert in weniger als 10 Jahren erreicht gewesen sei oder wenn das Gefährdungspotenzial besonders hoch gewesen sei. Der Kläger sei über einen Zeitraum von fast 17 Jahren belastet worden, d.h. dass eine Überschreitung des Richtwertes innerhalb von 10 Jahren nicht gegeben gewesen sei. Auch die Einzelbelastung habe nach den Angaben des TAD nicht im Extrembereich gelegen. Darüber hinaus fänden sich keine auffallenden degenerativen Veränderungen in den angrenzenden Segmenten. Die harmlosen Protrusionen in den Bandscheiben L 3/4 und L5/S1 könnten nicht als auffallende Degeneration angesehen werden. Eine sogenannte Black disc habe nicht vorgelegen. Die beginnenden degenerativen Veränderungen seien nur gering ausgeprägt und überschritten das alterstypische Maß mit Sicherheit nicht.
Im Hinblick auf die Mitteilung der BG-Bau, dass sie den letzten Arbeitgeber des Klägers zum 1. Januar 2007 übernommen habe, wurde die BG- Bau mit Beschluss vom 31. Juli 2007 zum Verfahren beigeladen.
Dr. M. erklärte in der Stellungnahme vom 20. August 2007, beim Kläger liege ein belastungskonformes Schadensbild vor, auch wenn es nicht absolut typisch sei. Eine entscheidende Bedeutung komme der Belastungsdosis zu, da der Technische Aufsichtsdienst eine Dosis ermittelt habe, die erheblich über dem Richtwert liege. Daher sei eine Berufskrankheit nach Nr. 2110 trotz Fehlens knöcherner Veränderungen nicht zu bezweifeln.
Mit Urteil vom 16. Oktober 2007 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte, eine Berufskrankheit nach der Ziff. 2110 der Anlage zur BKV ab 1. Dezember 2002 (Tätigkeitsaufgabe) anzuerkennen und nach einer MdE um 20 v.H. zu entschädigen. Beim Kläger habe eine besonders langjährige und intensive Belastung durch Ganzkörperschwingungen vorgelegen. Der Richtwert sei bei weitem überschritten. Längerdauernde Expositionszeiten mit hoher Intensität, bei denen der Richtwert stets überschritten worden sei, lägen vor. Die Tagesdosis habe an nahezu allen Arbeitstagen über dem Wert, ab dem von einem Gesundheitsrisiko auszugehen sei, gelegen. Der Kläger sei teilweise bis zu 60 Stunden pro Woche belastend tätig gewesen. Dr. M. gehe überzeugend von einem belastungskonformen Schadensbild aus. Die Konstellation B 2 der Konsensempfehlungen sei gegeben: eine Höhenminderung und ein Bandscheibenvorfall an mehreren Bandscheiben, nämlich im Segment L4/5 und L5/S1.
Zur Begründung der Berufung übersandte die Beigeladene eine Stellungnahme der Orthopäden Dr. T. und Dr. S. vom 28. Januar 2008. Beim Akutwerden der bandscheibenbedingten Erkrankung im Jahr 2002 seien noch keine Merkmale einer Chondrose vorhanden gewesen. Diese hätten sich erst auf Röntgenaufnahmen im Jahr 2003 gezeigt. Selbst wenn man unterstelle, dass eine gewisse Chondrose schon Mitte 2002 vorhanden gewesen sei und das Segment L4/5 betroffen habe, so zeigten sich doch außerhalb dieses Segmentes keine auffälligen Signalveränderungen anderer Bandscheiben im Sinne der sogenannten Black disc. Auch seien keine vorauseilenden Bandscheibenschäden in wenigstens zwei weiteren Segmenten festzustellen.
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Unfallchirurg und Orthopäde Dr. R. führte im Gutachten vom 6. Oktober 2008 aus, eine bandscheibenbedingte Erkrankung mit einem altersvorauseilenden Befund im Segment L4/5 sei gegeben. Die radiologischen Untersuchungen zeigten aber, dass zum Zeitpunkt der Aufgabe der beruflichen Belastung eine Osteochondrose in nennenswertem Umfang ausschließlich im Segment L4/5 vorgelegen habe. Bezüglich der übrigen Segmente ergebe sich kein dem Alter vorauseilender Befund, weder relevante Osteosen oder Chondrosen noch spondylotische Veränderungen nennenswerter Ausprägung. Auch in den oberen Lendenwirbelabschnitten und dem unteren Brustwirbelsäulenbereich seien keine spondylotischen Veränderungen festzustellen. Insoweit könne nur eine monosegmentale bandscheibenbedingte Erkrankung als gesichert angesehen werden. Die von den Konsensempfehlungen geforderte Black disc in mindestens zwei angrenzenden Segmenten sei, wie die Röntgen- und Kernspintomographieaufnahmen zeigten, nicht gegeben. Eine außergewöhnlich hohe Belastung sei vom Technischen Aufsichtsdienst nicht bestätigt. Zu berücksichtigen sei auch die Art der Belastung, da bei Schwingungs- und Stoßbelastungen mehr als beim Heben und Tragen eine gleichmäßige Einwirkung auf mehrere Segmente auftrete und deshalb ein monosegmentaler Schaden nicht mit Wahrscheinlichkeit der Schwingungsbelastung zugeordnet werden könne. Wenn auch im Rahmen der Konsensempfehlungen Fettstoffwechselstörung, Alkohol- und Nikotinabusus, Übergewicht, Arteriosklerose und Bindegewebsschwäche nicht als bedeutsame konkurrierende Ursachen gesehen würden, so seien diese Erkrankungen in ihrer Gesamtheit mit sich potenzierender Schädigung durchaus bedeutsam. Eine Berufskrankheit nach Nr. 2110 liege daher nicht vor.
Der Kläger verwies im Schreiben vom 15. Dezember 2008 darauf, dass der Technische Aufsichtsdienst einen Belastungswert von 2310 ermittelt habe, der um 60% über dem Richtwert von 1450 liege. Dr. M. sei Gelegenheit zu geben, zum Gutachten Dr. R. eine Stellungnahme abzugeben. Dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 22. Januar 2009 abgelehnt.
Die Beigeladene stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 6. April 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2004 abzuweisen.
Die Beklagte schließt sich diesem Antrag an.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise, die mündliche Verhandlung zu vertagen und unter Bezugnahme auf seine Schriftsätze vom 15. Dezember 2008 und 26. März 2009 nach § 109 SGG ein Gutachten von Herrn Dr. M. einzuholen. Auf die dortige Begründung nimmt er Bezug und verweist im Übrigen auf den Schriftsatz vom 19. März 2008.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und sachlich begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung (§ 55 SGG) einer Berufskrankheit. Die beim Kläger bestehende Erkrankung an der Lendenwirbelsäule ist keine Berufskrankheit im Sinne von Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV). Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass der Bandscheibenvorfall bei L4/5 ursächlich auf berufsbedingte Einwirkungen bei der Tätigkeit als Baustellenfahrer, insbesondere Kipperfahrer, zurückzuführen ist. Dies ergibt sich insbesondere aus den schlüssigen Gutachten des Orthopäden Dr. F., des Chirurgen M. und des Unfallchirurgen und Orthopäden Dr. R ...
Ein Beweisverwertungsverbot für die Stellungnahme des Chirurgen M. vom 25. Mai 2007 und 20. August 2007, die Stellungnahme des Dr. T. und Dr. S. vom 28. Januar 2008 sowie für das Gutachten des Dr. R. vom 6. Oktober 2008 ist nicht gegeben.
Wenn im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren die Beklagte ein Gutachten einholt, ist sie gemäß § 200 Abs. 2 SGB VII verpflichtet, dem Kläger mehrere Gutachter zur Auswahl zu benennen; der Kläger ist außerdem auf sein Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 SGB X hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren.
Diese Regelung gilt aber, worauf das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2008 (B 2 U 8/07 R) ausdrücklich hingewiesen hat, nur für Gutachten im klassischen Wortsinn. Nur auf solche umfassenden Gutachten kann sich das in § 200 Abs. 2 Halbs. 1 SGB VII normierte Auswahlrecht beziehen. Der Begriff des Gutachtens in § 200 Abs. 2 SGB VII ist eng auszulegen. Ein Gutachten liegt vor, wenn ein solches angefordert oder ausweislich seiner Selbstbezeichnung "Gutachten" erstellt und übersandt oder abgerechnet wurde. Unabhängig von dieser rein äußerlichen Bezeichnung ist zur weiteren Unterscheidung vom Bezugspunkt der schriftlichen Äußerung des Sachverständigen auszugehen: Enthält sie vornehmlich eine eigenständige Bewertung der verfahrensentscheidenden Tatsachenfragen, z.B. des umstrittenen Ursachenzusammenhangs, ist es ein Gutachten. Setzt sich die schriftliche Äußerung des Sachverständigen im Wesentlichen mit dem eingeholten Gerichtsgutachten auseinander, insbesondere im Hinblick auf dessen Schlüssigkeit, Überzeugungskraft und Beurteilungsgrundlage, ist es nur eine beratende Stellungnahme. Dass eine derartige Stellungnahme auch Aussagen zum Ursachenzusammenhang und dem einschlägigen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand enthält, ergibt sich aus der Materie. Entscheidend sind daher der Bezugspunkt der umstrittenen ärztlichen Äußerung, die an den Arzt gestellten Fragen und die von ihm gegebenen Antworten.
Unter Berücksichtigung dieser vom Bundessozialgericht gegebenen Auslegungsregel ist die Stellungnahme des Chirurgen M. vom 25. Mai 2007 ebenso wie diejenige vom 20. August 2007 nicht als "Gutachten" zu beurteilen. Diese Frage kann allerdings dahinstehen, da der Kläger sein Rügerecht verloren hat. Gemäß § 295 ZPO kann die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Die Vorschriften der ZPO über die Rüge von Verfahrensmängeln sind gemäß § 202 SGG im sozialrechtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden. Einen Verstoß gegen § 200 Abs. 2 SGB V II durch die Stellungnahmen des Sachverständigen M. hat der von einem sachkundigen Rechtsanwalt vertretene Kläger weder während des Klageverfahrens noch in der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts Landshut vom 16. Oktober 2007 gerügt, sondern erstmals im (seit 12. November 2007 anhängigen) Berufungsverfahren mit Schreiben vom 26. Februar 2009. Die Einwendungen, die der Kläger während des Klageverfahrens gegen die Beurteilung durch den Chirurgen M. erhoben hat, betrafen lediglich den Inhalt seiner Ausführungen, nicht aber die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift im Sinne von § 295 ZPO i.V.m. § 202 SGG (vgl. BSG vom 26. Januar 2006, B 2 U 204/05B).
Die Stellungnahme von Dr. T. und Dr. S. vom 28. Januar 2008 stellen keine Gutachten dar, vor deren Einholung der Kläger auf sein Auswahl- und Widerspruchsrecht hinzuweisen gewesen wäre. Für die Frage nach dem Vorliegen eines Gutachtens ist, wie das BSG erläutert hat, auf dessen Inhalt abzustellen. Der Bezeichnung durch den Verfasser als "Gutachten" kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Abzustellen ist vielmehr auf den Inhalt der Äußerung. Bezugspunkt der ärztlichen Äußerung von Dr. S. und Dr. T. ist der Auftrag der Beigeladenen vom 3. Januar 2008, in dem ausdrücklich um eine Stellungnahme nach Aktenlage zum Vorliegen einer Berufskrankheit der Nr. 2110 gebeten wird. Zur Beantwortung der sich hieraus ergebenden Fragen haben Dr. T. und Dr. S. eine ausführliche Stellungnahme nach Aktenlage abgegeben, wobei sie sich mit dem vorliegenden Sachverhalt, den übersandten ärztlichen Unterlagen und Befunden einschließlich Röntgenaufnahmen auseinander gesetzt, sowie auch die bereits vorliegenden ärztlichen Gutachten von Dr. F. und Dr. M. berücksichtigt haben. In diesem Zusammenhang sind sie zu der Auffassung gekommen, dass die Anerkennung einer Bandscheibenerkrankung nicht vertretbar ist. Dies macht ihre Äußerung aber nicht zu einem Gutachten, da hier keine umfassende wissenschaftliche Bearbeitung einer fachlichen Fragestellung erfolgte, sondern eine spezielle Stellungnahme zu dem im vorliegenden Verfahren streitigen Problemkreis und den hierzu gemachten ärztlichen Äußerungen. Da Gegenstand der Stellungnahme vom 28. Januar 2008 im Wesentlichen die Auseinandersetzung mit den sozialgerichtlichen Gutachten und Stellungnahmen hinsichtlich ihrer Schlüssigkeit und ihrer Beurteilungsgrundlagen - hierbei insbesondere die Konsensempfehlungen - war, liegt kein Gutachten, sondern eine ausführliche ärztliche Stellungnahme mit Aussagen zum Ursachenzusammenhang vor.
Da diese ärztliche Äußerung kein Gutachten ist, ist sie auch nicht aus Gründen des Beweisverwertungsverbots aus der Gerichtsakte zu entfernen.
Unstreitig sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der Nr. 2110 der Anlage zur BKV gegeben. Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten hat festgestellt, dass der Kläger in der Zeit von 1982 bis 2002 16,7 Jahre Schwingungsbelastungen mit einer Gesamtdosis von 2310 ausgesetzt war.
Einig sind sich die gehörten Sachverständigen, auch der Chirurg Dr. M., auf dessen Argumentation das Sozialgericht sein Urteil stützte, darin, dass ein Fall der Konstellation B 2 im Sinne der Konsensempfehlungen gegeben ist. Dies ist dann der Fall, wenn eine bandscheibenbedingte Erkrankung L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und im Sinne einer Chondrose Grad II oder höher und/oder eines Vorfalls ausgeprägt ist. Wenn keine Begleitspondylose vorliegt, muss zumindest eines der folgenden Kriterien erfüllt sein: Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben, bei monosegmentalem Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "Black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten oder besonders intensive Belastung mit Erreichen des Richtwertes für die Lebensdosis in weniger als 10 Jahren oder besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen mit Erreichen der Hälfte der MDD-Tagesdosis durch hohe Belastungsspitzen.
Dass eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Segment L4/5 beim Kläger gegeben ist, ist unstreitig. Bei dem Bandscheibenvorfall handelte sich nicht um einen alterstypischen Befund. Auch der zeitliche Zusammenhang ist im Hinblick auf die mehr als zehnjährige Exposition gegeben.
Problematisch ist die Frage, ob ein belastungsadaptives Schadensbild gegeben ist. Dies haben der Chirurg M., Dr. F. und Dr. R. mit überzeugender Begründung verneint.
Bei der bandscheibenbedingten Erkrankung insbesondere der beiden unteren Bandscheibensegmente handelt es sich, worauf insbesondere Dr. R. hinweist, um ein häufiges und auch in der nicht belasteten Bevölkerung in dieser Art auftretendes, mithin schicksalhaftes Krankheitsbild. Das bradytrophe Bandscheibengewebe ist ab dem 3. Lebensjahrzehnt einer zunehmenden Degeneration ausgesetzt, die sich in häufigen Bandscheibenerniedrigungen und Vorwölbungen der Bandscheiben als altersgemäß zu wertendem Normalbefund äußert. Hinsichtlich der Beurteilung der beruflichen Belastungseinwirkung von mechanischen Schwingungen ist vorauszusetzen, dass sie sich nicht auf ein spezielles Segment fokussieren lassen, sondern gleichmäßig auf die verschiedenen Segmente der Wirbelsäule einwirken und unter zusätzlicher Maßgabe der von oben nach unten zunehmenden Gewichtsbelastung ein in dieser Weise auch zunehmendes Schadensbild hervorrufen. Dabei ist eine Adaption des Organismus an die Einwirkungen gegeben. Sie zeigt sich an der Wirbelsäule insbesondere in zunehmenden Sklerosierungen der Grund- und Deckplatten der Wirbelkörper, die umso stärker ausgeprägt sind, je höher die einwirkenden Belastungen ausfallen. Vorwiegend sind die unteren Bewegungssegmente betroffen mit Ausziehungen der Grund- und Tragplatten in Form von Spondylosen, weil der Organismus hierdurch die druckaufnehmende Fläche der Grund- und Deckplatten der Wirbelkörper vergrößert.
Bei der Beurteilung der Röntgen- und Kernspintomographiediagnostik zeigt sich beim Kläger aber, dass eine Osteochondrose in nennenswertem Umfang ausschließlich im Segment L4/5 vorlag, wo es auch zum Bandscheibenvorfall kam. Bezüglich der übrigen Segmente ergab sich, wie Dr. R. betont, kein dem Alter vorauseilender Befund. In den unteren Segmenten der Lendenwirbelsäule, das monosegmentale Schadensbild ausschließend, zeigten sich keine relevanten Osteosen oder Chondrosen, selbst spondylotische Veränderungen fanden sich nur bei L4/5. Auch in den oberen Lendenwirbelsäulenabschnitten und in den unteren Brustwirbelsäulenbereichen waren keine spondylotischen Veränderungen im Sinne einer Begleitspondylose zu erheben. Insofern kann nur von einer schicksalhaften monosegmentalen bandscheibenbedingten Erkrankung gesprochen werden.
Ein monosegmentales Schadensbild an der Lendenwirbelsäule ist nach den Konsensempfehlungen nur dann als Berufskrankheit anzuerkennen, wenn die weiteren Bedingungen erfüllt sind. Eine Bandscheibenschädigung im Sinne einer "Black disc" - einer degenerierten, ausgetrockneten und somit nicht mehr funktionstüchtigen Bandscheibe, die sich im MRT schwarz darstellt - in zumindest zwei angrenzenden Segmenten ist beim Kläger nicht festzustellen. Dabei ist im Hinblick auf die Schwingungsbelastung eine gleichmäßige Einwirkung auf mehrere Segmente gegeben gewesen, so dass der monosegmentale Schaden schon darum nicht mit Wahrscheinlichkeit der Schwingungsbelastung zugeordnet werden kann.
Die in den Konsensempfehlungen weiter angeführten Belastungskriterien sind gleichfalls nicht erfüllt. Der Kläger hat die gefährdende Belastungsdosis erst nach 11,3 Belastungsjahren erreicht, also nicht in weniger als 10 Jahren. Anhaltspunkte dafür, dass ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen, nämlich Erreichen der Hälfte des Tagesdosisrichtwertes durch hohe Belastungsspitzen, gegeben gewesen wäre, ergeben ist, sich aus dem Gutachten des Technischen Aufsichtsdienstes nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die reale Lenkzeit, also die Zeit, in der sich das Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit bewegt, bei der gefährdende Schwingungen auftreten können, im Baustellenverkehr bei Kipper-Fahrzeugen circa 60% der Arbeitszeit beträgt. Die restliche Arbeitszeit ist hauptsächlich Lade-, Abkipp- und Wartezeit.
Eine berufliche Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung ist nicht wahrscheinlich und die Anerkennung als Berufskrankheit nicht begründet.
Im Hinblick auf die vorliegenden umfangreichen ärztlichen Befunde, Stellungnahmen und Gutachten sieht der Senat keine Veranlassung zur weiteren Sachaufklärung.
Dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG von Dr. M. war nicht stattzugeben, da er verspätet ist. Dem Kläger wurde auf seinen Antrag, eine Stellungnahme von Dr. M. im Rahmen des § 106 SGG einzuholen, bereits mit Schreiben vom 22. Januar 2009 mitgeteilt, dass das Gericht bei einander widersprechenden Gutachten nicht verpflichtet ist, ein weiteres Gutachten oder eine Stellungnahme einzuholen. Bei der Frage, ob einem Gutachten zu folgen ist oder nicht, handelt es sich um eine Auseinandersetzung mit der Beweiswürdigung hinsichtlich der beiden Gutachten. Liegen für das Gericht die Kriterien einer unterschiedlichen Bewertung offen, ist das Gericht nicht gehindert, die erforderliche Beweiswürdigung ohne weitere Nachfrage vorzunehmen. Die Tatsache divergierender Gutachten allein ist kein hinreichender Anlass zur Einholung weiterer Gutachten, sofern ein Gutachten vorliegt, auf das das Gericht seine Entscheidung stützen kann und eine Auseinandersetzung mit den divergierenden Gutachten stattfindet.
Daher bestand keine Veranlassung zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts.
Mit der Ladung vom 29. April 2009 zu dem beabsichtigten Termin vom 27. Mai 2009 musste dem sachkundig vertretenen Kläger klar sein, dass das Gericht den Rechtsstreit als entscheidungsreif ansah und daher terminierte. Auch nach Umladung auf Antrag des Bevollmächtigten des Klägers wegen Terminskollision vom 13. Mai 2009 zum 18. Juni 2009 stellte er keinen Beweiserhebungsantrag, sondern erst in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2009 und damit verspätet.
Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht weiter darauf einzugehen, dass die vom Sozialgericht zudem ausgesprochene Verurteilung der Beklagten - nicht der Beigeladenen -, die Berufskrankheit nach einer MdE um 20 v.H. zu entschädigen, deshalb aufzuheben ist, weil eine Anfechtungs- und Leistungsklage unzulässig ist. Die Beklagte, deren Handeln sich die Beigeladene zurechnen lassen muss, befasste sich in den angefochtenen Bescheiden erkennbar ausschließlich mit der Feststellung, dass die Lendenwirbelsäulenbeschwerden des Klägers keine Berufskrankheit seien. Eine Auseinandersetzung, ab wann bzw. welche Leistungen und in welcher Höhe solche Leistungen in Betracht kämen, ist den Verwaltungsentscheidungen nicht zu entnehmen. Da damit ein Verwaltungsakt fehlt, war die Anfechtung- und Leistungsklage unzulässig (BSG Urteil am 28. April 2004 - B 2 U 21/03 R und Urteil vom 16. November 2005 - B 2 U 28/04 R).
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Durch das BSG wurde die Revision verworfen. Die "Spielchen", die hier geschildert sind lassen tief blicken.


Gruß von der Seenixe
 
Hallo,

gute Arbeit meine Herren. Da steckt mächtig "Energie" dahinter...

"Bei der bandscheibenbedingten Erkrankung insbesondere der beiden unteren Bandscheibensegmente handelt es sich, worauf insbesondere Dr. R. hinweist, um ein häufiges und auch in der nicht belasteten Bevölkerung in dieser Art auftretendes, mithin schicksalhaftes Krankheitsbild."

Grüße
moglerfreund
 
Hallo,

das erinnert mich an das Hin und her bei meinem Verfahren zur Anerkennung der BK 2110.
Das belastungskonforme Schadensbild, die schicksalhafte Erkrankung....
Ein Arzt schrieb sogar in einer Stellungnehme, dass der Mensch, seit er auf zwei Beinen geht, eben anfällig in dieser Region sei.... Liegt halt an der Evolution :D

Naja. Ist halt schlecht für den Kläger, dass eine Revision nicht zugelassen wurde, aber es gibt ja noch die Nichtzulassungsbeschwerde.....

Gruß Ramona
 
Hallo,

wobei der Kläger sich dafür von einem guten Anwalt sehr gut beraten lassen und stichhaltige Gründe aufführen muß!

Grüße von
IngLag
 
Hallo IngLag,

die Gründe für die Nichtzulassungsbeschwerde, die die Anwälte "meiner" BG vorbrachten, waren dem BSG auch nicht stichhaltig genug. Zum Glück für mich. ;)

Gruß Ramona
 
Zuletzt bearbeitet:
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