• Herzlich Willkommen beim Forum für Unfallopfer, der größten Gemeinschaft für Unfallopfer im deutschsprachigen Raum.
    Du besuchst unser Forum gerade als Gast und kannst die Inhalte von Beiträgen vieler Foren nicht lesen und so leider nützliche Funktionen nicht nutzen.
    Klicke auf "Registrieren" und werde kostenlos Mitglied unserer Gemeinschaft, damit du in allen Foren lesen und eigene Beiträge schreiben kannst.

BGH: Urlaubs-Mehraufwand erstattungspflichtig

Isländer

Sponsor
Registriert seit
11 Nov. 2012
Beiträge
1,730
Ort
Bayern
Liebe Freunde!

Ich habe ein BGH-Urteil gefunden, reiner Zufall: VI ZR 316/19 vom 10.03.2020, da steht:

01
Jemand hat einen schweren Unfall und war schwer eingeschränkt. Er wollte aber trotzdem in Urlaub fahren. In Urlaub war er früher immer gefahren, also: warum jetzt nicht auch? Das wurde aber für den Rollstuhlfahrer aber teuer. Er brauchte eine Begleitperson, auch das spezialisierte Hotel war nicht gerade billig - jedenfalls sehr viel teurer als das, was der Verletzten früher einmal im Hotel ausgegeben hat, als er noch nicht verunglückt war. Um diese Mehrkosten ist es gegangen.

02
Der BGH hat entschieden: Alles, was jetzt der Urlaub deswegen teurer ist, weil es den Unfall gegeben hat, muss die gegnerische Versicherung bezahlen.

03
Was ist an dem Urteil wichtig?

Wichtig ist: Die Versicherung hat gesagt, dass Urlaub nicht notwendig ist.

(a)
Nun...das stimmt ja durchaus. Urlaubsreisen sind nicht notwendig. Damit wird keine Not abgewendet. Die Behauptung ist also zunächst einmal wahr.

(b)
Wahr schon - aber unerheblich.

Im Gesetz steht nicht, dass Schaden nur soweit ersetzt wird, als es gebraucht wird, um eine Not abzuwenden. Die Grenzen liegen woanders. Vor allem: die Grenze der Fairness darf nicht überschritten werden. Keine Schadenstreiberei, § 254 BGB!

(c)
Wir alle haben vor dem Unfall unser Leben selbst gestaltet. Es gilt nicht als grob unvernünftig, als sinnlose Verschwendung, wenn man im Urlaub verreisen will. Auch dann, wenn es in die Karibik geht. Also sind die Mehrkosten, die durch den Urlaub entstanden sind, nicht durch Unvernunft entstanden. Dann sind sie auch keine Schadenstreiberei. Also muss es bezahlt werden.

04
Ich habe einen Freund, der war gar nicht überrascht. Der hat nur gebrummelt, dass er das schon kennt, nämlich vom sogenannten "Schlossherrenurteil" des BGH. Was war da?

Da war ein Mann zum Rollstuhlfahrer geworden. Er hatte 2 Wohnungen. Die Wohnung unten in der Stadt hat er auf Kosten der Versicherung behindertengerecht umbauen lassen. DAs war schon erledigt. Bei der Wohnung oben in der Burg hat sich die Versicherung gesperrt: „Das ist nicht notwendig...!". Der BGH hat gesagt: Der Mann hatte vorher 2 Wohnungen, dann hat er nachher auch 2 Wohnungen. Es gilt nicht in Deutschland als grob unvernünftig, 2 Wohnungen haben zu wollen. Das haben viele Leute! Also hat der BGH die Versicherung verurteilt, auch die Kosten für den Umbau der 2. Wohnung zu übernehmen
(BGH VI ZR 83/04, Urteil vom 12.07.2005). Das ist die "Schlossherrenentscheidung".

05
Trotzdem ist das neue Urteil wertvoll. Denn es ist zu herrlich deutlich. Und so nah am Leben. „Urlaub“, den wollen wir alle! Es ist offensichtlich, dass Urlaubsreisen nicht zwingend erforderlich sind: Aber dass man gerne in Urlaub fahren will, das besteht jeder.

Also, Freunde: Kommt der Einwand "nicht notwendig", muss man fragen, ob es darauf ankommt!

(Übrigens: Nicht überall, auf was die Versicherung "Schadensminderungspflicht verletzt!" draufschreibt, war auch eien Pflichtverletzung drin!)


Noch Fragen?


ISLÄNDER
 
Hallo Isländer,

wieso überrascht es mich nicht, dass es erst ein BGH -Urteil braucht - welches von LG`s und RA`s ignoriert wird oder schlicht nicht in der ständigen Rechtsprechung erscheint ... so wie der Rentenschaden , etc.

Es sollte allen Gerichten bekannt sein, dass ein Rollifahrer meist ein GB hat, also Gehbehindert +BEGLEITPERSON!

Leider muß ich berichten. daß selbst am Sozialgericht der Gutachter (der angebl. alle Gutachten gelesen hat, in denen meine stänige Anwesendheit bekundet wird ! ) ,sowie anschl. der Richter 3 mal nachgefragt haben, warum ich meinen Lebensgefährte zum Termin begleite, bzw. anwesend bin! ?

Männe ist öfter im Urlaub- immer mit 2-3 guten Freunden , die halt aufpassen, Hilfestellungen geben, nach Laufwegen , Eingängen, nach Machbarkeit suchen, zum Glück hat noch keiner von denen nach Entlohnung gefragt! Die Gegnerische + unser Anwalt bekäme sicher sich Schnappatmung!


LG
Aramis
 
Grüß Dich, Aramis!


01
Es ist schön, mal wieder von Dir zu hören. Freut mich!

02
Die Schnappatmung wird gegen das Urteil des BGH wenig ausrichten. Wir stehen nun vor drei BGH-Urteilen, die die Frage beleuchten: Was hat es damit auf sich, dass ein Gegner eine Maßnahme als "nicht notwendig" bezeichnet?

Nun: Je tiefer die Unfallfolgen in das eigene Leben des Verunglückten eingreifen, desto mehr Recht auf Ausgleich entsteht.

(a)
Ein Schwerverletzter braucht nicht in's Heim zu gehen - auch wenn die Hilfe zu Hause deutlich teuerer kommt. Aber der Verletzte hat vorher zu Hause mit seinem eigenem Intimbereich gelebt, dann tut er's nach dem Unfall auch. Sagt der BGH

BGH VersR 98/366

(b)
Das "Schlossherrenurteil" habe ich schon oben besprochen.

(c)
Jetzt zeigt das "Urlaubsurteil", die Versicherung muss entschädigen, was ein Urlaub wegen der Verletzungen mehr kostet: z.B. für ein rollstuhlgerechtes Hotel, für - Begleitperson(en).


03
Eine gefestigte Rechtsprechung des BGH hat -gegenüber einem einzelnen Urteil des BGH- nochmal gesteigerte Leuchtwirkung. Ich kann mir, nach 42 Berufsjahren im Unfallwesen, nicht vorstellen, dass ein Gericht dennoch davon abweicht. Das macht kein Richter. Er darf zwar, aber er tuts nicht. Weil er dann etwas erlebt, was er nicht haben will: Die nächste Instanz zerreißt sein Urteil in der Luft. Da müßte er schon ganz neue Argumente haben, die man noch nie gehört hat und alles in einem anderen Licht darstellen. Das Risiko kann man als "nahe Null" bezeichnen.

ISLÄNDER
 
Hallo Isländer,

auch hier Dank für deine Ausführung!

Weißt, ich habe seit 8 Jahren deine Erklärungen im Kopf und geg. parat.
Doch 1 Regressgespräch in 2014 und 2 LG -Verhandlungen , Hinweisbeschluß und Reaktion der Gegnerischen (Heß) lassen mich am System zweifeln!

Klar ist: alle Anwälte (auch unserer) Versicherung und Gericht verdienen an uns. Aber wir leben seit 10 Jahren in diesem aktuell schlimmen Coronamodus- sicher viele von uns UO`s geht es genauso ( es fehlt das Geld um sich zu bewegen, umzubauen, öffentliches Leben nicht möglich!).
Ständiger Sparzwang, weil Versicherungen nicht zahlen!

Lg
Aramis
 
Grüß Dich, Aramis!

Was ist denn der nächste geplante Schritt im Prozess Deines Lebensgefährten?
Seit wann ist nichts mehr passiert?

Das Verfahren scheint mir nun so lange anhängig zu sein, dass man einmal an eine Verzögerungsrüge denken muss. Wenn ein Teil des Verfahrens schon entscheidungsreif ist, könnte das ein wichtiger Grund sein, Teilentscheidung durch Teilurteil zu treffen. Das machen Gerichte ungern, gelegentlich aber gelingt es, indem man Druck macht: Wieviel Jahre und Aberjahre wollen Sie ein Unfallopfer denn noch dem Kampf um jeden Cent aussetzen, noch 5 Jahrem oder 10 oder 20? Besteht ein nachvollziehbarer Plan, dafür zu sorgen, dass Prozessende erlebt werden kann?
Ein Verfahren muss in angemessener Zeit fertig werden, Art. 6 EMRK, und der Justizgewährungsanspruch besteht jetzt im Grundgesetz: Nicht erst in Jahrzehnten. Und: Je länger das dauert, desto mehr muss das Verfahren beschleunigt werden (Budnesverfassungsgericht, 1 BvR 352/00) ! Die Terminierung ist also vorzuziehen - denn man hofft doch wohl: Ein noch steinälteres Verfahren wird man ja hoffentlich nicht haben.

Das kann man mal sagen. Auch im Gericht. Und ich habe einmal erlebt, dass jemand mal gesagt hat: "Ich will, dass Sie mir ins Gesicht schauen, wenn ich mit Ihnen rede! Damit ich sehe, ob Sie überhaupt Notiz von mir nehmen!"

Manchmal muss man Dornröschen wachküssen.

ISLÄNDER
 
Hallo zusammen, gern kann ich hier auch ein Urteil beitragen. Es ist im Namen des Volkes im Jahr 2013 gesprochen worden, dass ich die Kosten für die Begleitperson auf einer Schiffsreise komplett erstattet bekomme. (z.B. Auch Kosten für Ausflüge, die die Begleitperson mitgemacht hat)

Aber auch andere Reisen werden erstattet, wenn man der Versicherung das Urteil unter die Nase reibt. Da ich sage, dass ich ohne Unfall keine Hilfe benötigt hätte. Ob das nun auf einem Schiff ist oder in einem Hotel auf dem Festland, ist da egal. Ich muss so gestellt werden, als hätte ich den Unfall nicht gehabt.

Durch einen Unfall bin ich querschnittsgelähmt und bin zu 100% schwerbehindert und auf Hilfe angewiesen (Merkzeichen H auch vorhanden).

Wer das Urteil benötigt, kann sich gern melden.
 
Hallo Roll,

auf welcher Gerichtsebene wurde das Urteil gefällt?

Du kannst das auch hier einstellen. Einfach die Namen schwärzen und dann geht das.

Herzliche Grüße vom RekoBär :)
 
Top