Schätzungen zufolge erleiden jedes Jahr 500.000 Patienten gesundheitliche Schäden in Krankenhäusern, rund 130.000 davon aufgrund fehlerhafter Behandlung. Die größte Gruppe unter den Fehlern seien in der Klinik erworbene Infektionen. Danach folgten Verschreibungsfehler und Vertauschung von Medikamenten. Rund 100 Mal im Jahr würden Patienten schlicht verwechselt. Weiterführende links
Jetzt haben 17 deutsche Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Therapeuten erstmals ihr Schweigen gebrochen: In einer Broschüre des Aktionsbündnisses Patientensicherheit geben sie öffentlich und ohne Schonung der eigenen Person ihre Fehler zu. Das Bündnis wirbt seit Jahren für einen offeneren Umgang mit Irrtümern oder Beinahe-Irrtümern. Die Broschüre soll an Universitäten und Krankenpflegeschulen verteilt werden. Das Spektrum der darin beschrieben Behandlungsfehler reicht von der zu spät erkannten Krebserkrankung bis zur Operation am falschen Knie.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt lobte den Mut der Bekenner: „Niemand kann garantieren, dass keine Fehler geschehen." Eine wichtige Voraussetzung für die Qualitätssicherung im Gesundheitswesen sei aber, sich den eigenen Fehlern zu stellen und aus ihnen zu lernen. „Wegzuschauen ist kein Weg“, sagte der Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Matthias Schrappe, in Berlin. „Nur, wenn wir über Fehler sprechen lernen, können wir sie vermeiden.“ Der Professor und Facharzt für Innere Medizin stellt in der Broschüre auch gleich einen eigenen Kunstfehler vor. Als frisch gebackener Assistenzarzt hatte er einer älteren Patientin mit Herzrasen ein Beruhigungsmittel verabreicht. Wie sich später herausstellte, hatte die Patientin aber eine Lungenembolie, also Blutgerinnsel in der Lunge. „Ich habe später bei Patienten mit Unruhe und Tachykardie immer an die Diagnose Lungenembolie gedacht“, so Schrappe. Mutiges Bekenntnis: Auch Ärztekammerpräsident Hoppe räumt Versagen einSelbst Bundesärztekammerpräsident Jörg-Dietrich Hoppe räumte bei der Präsentation der Broschüre einen Fehler ein. Zu Beginn seiner Karriere habe er einen Patienten mitbehandelt, der zuviel Barbiturate geschluckt hatte. Doch statt das Mittel Eukraton zur Behandlung schwerer Schlafmittelvergiftungen zu holen, habe er zum Narkosemittel Eunarkon gegriffen, einem Narkosemittel. Beide Mittel standen als braune Injektionsampullen in alphabetischer Ordnung im Medikamentenschrank nebeneinander. Hoppe sagte, der Patient habe überlebt. Die am Vorfall beteiligten Ärzte hätten dann das Narkosemittel an einen anderen Platz gestellt, besonders markiert und generell besser kontrolliert, was sie verabreichen. Der Chirurg Bertil Bouillon berichtet, wie er als junger Assistenzarzt in letzter Minute eine Gelenkspiegelung übernehmen musste. Merkwürdigerweise fand er am Knie der Patientin nicht den erwarteten Miniskusschaden. Später stellte sich heraus, dass er wegen eines Verwaltungsfehlers am falschen Knie operiert hatte. „Seit diesem Vorfall markiere ich am Morgen der Operation immer beim wachen Patienten die zu operierende Extremität mit einem nicht abwaschbaren Stift“, schreibt Bouillon. Die Krankenschwester Christel Bienstein bekennt sich zu einer Fehleinschätzung, die möglicherweise sogar zum Tod ihres Patienten beitrug: Während einer Nachtschicht rief sie mehrmals vergeblich den diensthabenden Arzt zu Hilfe. Als dieser nicht auftauchte, entfernte sie mehrfach selbstständig einen Schleimpropfen aus den Atemwegen eines schwer kranken Patienten. Beim Schichtwechsel berichtete sie der Ablösung zwar von den Zwischenfällen, unternahm aber nichts, um dauerhaft Abhilfe zu schaffen. Der Patient erstickte noch am selben Tag. Laut dem Aktionsbündnis Patientensicherheit erleben fünf bis zehn Prozent der Krankenhauspatienten ein „unerwünschtes Ereignis“, das nicht mit dem zugrunde liegenden Gesundheitszustand, sondern mit der Behandlung zusammenhängt. Den größten Anteil stellen jährlich 500.000 im Krankenhaus erworbene Infektionen, gefolgt von falschen Arzneimittelverordnungen. In jedem dritten Fall stellte sich laut Schrappe heraus, dass ärztliches Versagen die Ursache war.